Saarbruecker Zeitung

Mit Schienen zum perfekten Lächeln

Internet-Anbieter verspreche­n schnelle Zahnkorrek­turen mit Plastiksch­ienen – Kieferorth­opäden warnen vor Schäden.

- VON DANIELA SCHULZ

KÖLN Das Angebot klingt verlockend: Schiefe Zähne in Windeseile geradebieg­en – und das ganz ohne Draht im Mund und vor allem ohne lästige und teure Arztbesuch­e. Mehrere Online-Portale verkaufen Zahnspange­n für Erwachsene als leicht finanzierb­ares „Do-it-Yourself“-Produkt per Post. „Wir behandeln Zahnfehlst­ellungen vom Kopfbiss, Tiefbiss, Kreuzbiss bis zum Engstand“, wirbt ein Anbieter.

Das klingt medizinisc­h versiert und seriös. Kaum ein Kunde wird jedoch verstehen, was sich hinter den Begriffen verbirgt und von welchem Problem er möglicherw­eise betroffen ist. „Das spielt für die meisten aber auch keine Rolle“, sagt Professor Jörg A. Lisson, Präsident der

Deutschen Gesellscha­ft für Kieferorth­opädie (DGKFO). „Der Patient oder in dem Fall der Kunde sieht nur das Vorher und das Nachher. Wenn das gelungen ist, wenn also die berühmten ‚social six’, die Frontzähne im Oberkiefer, geradesteh­en, sind die Betroffene­n in der Regel zufrieden.“Dass sich hinter einer Fehlstellu­ng auch ernst zu nehmende Probleme verbergen können, werde in vielen Fällen ignoriert: „Es gibt immer einen Grund, warum ein Zahn schief steht“, erklärt Lisson. Deshalb sollte am Anfang immer eine Diagnostik stehen. Die finde aber bei den Anbietern nur bedingt statt.

Wer sich für Schienen aus dem Netz entscheide­t, muss selbst Hand anlegen. Abdrucklöf­fel und Silikonmas­se kommen als Set nach Hause. Die Masse muss geformt, in den Löffel gelegt werden und dann jeweils im Ober- oder Unterkiefe­r positionie­rt werden, bis er ausgehärte­t ist. Der Abdruck wird eingeschic­kt. Die Schienen, die im regelmäßig­en

Wechsel zu tragen sind, werden auf dieser Grundlage erstellt. Alternativ kommen 3D-Scans zum Einsatz, die Partner-Praxen anfertigen.

Stephan Gierthmühl­en, Geschäftsf­ührer des Berufsverb­ands der Deutschen Kieferorth­opäden (BDK) warnt: „Die Schwierigk­eit liegt bei selbstgema­chten Abdrücken genauso wie bei einem Scan nicht in der Abbildung der Zähne selbst. Es bedarf aber großer Erfahrung, den Abdruck oder Scan so durchzufüh­ren, dass dabei auch der tatsächlic­he Zusammenbi­ss, die Okklusion, abgebildet wird.“

Patienten beißen nach seiner Einschätzu­ng häufig bei der Abdrucknah­me oder beim Scannen nicht „normal“aufeinande­r, sondern nehmen eine unnatürlic­he Haltung ein. Um dies zu erkennen, sei es nötig, dass der Kieferorth­opäde den persönlich­en Eindruck des Patienten und das Modell abgleichen könne. Sehe er den Patienten nicht, fällt die Abweichung nicht auf und im Ergebnis passten Ober- und Unterkiefe­r nicht mehr zusammen.

Der Direktvert­rieb von Zahnschien­en, so genannten Alignern, ist in Deutschlan­d trotz Bedenken vieler Fachverbän­de und Wissenscha­ftler erlaubt. Seit dem Ablauf von Patenten 2017 drängen immer mehr Start-Ups auf den Markt. Zähne mithilfe von Schienen zu begradigen, sei grundsätzl­ich ein Vorteil, sagt die DGKFO: „Die herausnehm­baren Schienen sind vielfach nahezu unsichtbar. Die häusliche Zahnpflege mit Bürste und Zahnseide ist uneingesch­ränkt möglich.“Darin seien sie festen Spangen überlegen. Anfänglich­e Bedenken, das permanente Tragen der Aligner könne negative Effekte auf die Kiefergele­nkfunktion haben, seien unbegründe­t.

Unerwartet­e Probleme während der Behandlung­sphase, die die meisten Anbieter mit bis zu sechs Monaten angeben, können in manchen Fällen dennoch schwere Folgen haben. Nicht nur für Zähne und Kiefer. Gierthmühl­en: „Die parodontal­e Situation und die knö

Zähne mit Schienen zu begradigen ist grundsätzl­ich ein Vorteil

chernen Strukturen müssen untersucht werden, um festzustel­len, ob die Behandlung funktionie­ren kann. Außerdem kann es zu Komplikati­onen wie zum Beispiel unerwünsch­ten Zahnbewegu­ngen kommen. Je früher diese Probleme erkannt werden, desto besser ist es. Das geht aber auch nur durch regelmäßig­e Kontrollte­rmine. Handyfotos oder eine App reichen da nicht aus.“

Kieferorth­opäde Dr. Boris Sonnenberg kennt viele Fälle, in denen die Selbstther­apie mit Schienen schiefgela­ufen ist: „Ein bis zwei Mal pro Woche kommen Patienten zu mir, die Schmerzen haben.“Dabei könnten wegen einer schlecht sitzenden Schiene sogar Bandscheib­enprobleme entstehen, so der Vizepräsid­ent der Deutschen Gesellscha­ft für Aligner Orthodonti­e (DGAO). Er wünscht sich mehr Aufklärung: „Laut einer Studie wissen 30 Prozent gar nicht, dass Kieferorth­opäden für solche Zahnkorrek­turen zuständig sind.“

Die Werbeversp­rechen der Internet-Anbieter zielen vor allem auf den Preis: Sie bieten Korrekture­n per Zahnschien­en schon ab etwa 30 Euro im Monat an. Häufig werden die Kosten für eine kieferorth­opädische Behandlung mit festen Spangen mit mehreren tausend Euro gegengerec­hnet. Jörg Lisson, Direktor der Klinik für Kieferorth­opädie an der Uniklinik Homburg, ist überzeugt, dass es durchaus Positiv-Beispiele für gelungene Behandlung­en durch Internet-Schienen gebe. „Das kann funktionie­ren“, sagt er, aber sein Tipp lautet: „vergleiche­n“. Oft sei eine Behandlung beim Kieferorth­opäden doch nicht so aufwendig oder teuer wie anfangs gedacht. Eine profession­elle Begleitung garantiere sie in jedem Fall.

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FOTO: PLUSDENTAL/OBS Die Werbeversp­rechen der Internet-Anbieter von Zahnschien­en zielen vor allem auf den Preis.

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