Mit Schienen zum perfekten Lächeln
Internet-Anbieter versprechen schnelle Zahnkorrekturen mit Plastikschienen – Kieferorthopäden warnen vor Schäden.
KÖLN Das Angebot klingt verlockend: Schiefe Zähne in Windeseile geradebiegen – und das ganz ohne Draht im Mund und vor allem ohne lästige und teure Arztbesuche. Mehrere Online-Portale verkaufen Zahnspangen für Erwachsene als leicht finanzierbares „Do-it-Yourself“-Produkt per Post. „Wir behandeln Zahnfehlstellungen vom Kopfbiss, Tiefbiss, Kreuzbiss bis zum Engstand“, wirbt ein Anbieter.
Das klingt medizinisch versiert und seriös. Kaum ein Kunde wird jedoch verstehen, was sich hinter den Begriffen verbirgt und von welchem Problem er möglicherweise betroffen ist. „Das spielt für die meisten aber auch keine Rolle“, sagt Professor Jörg A. Lisson, Präsident der
Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO). „Der Patient oder in dem Fall der Kunde sieht nur das Vorher und das Nachher. Wenn das gelungen ist, wenn also die berühmten ‚social six’, die Frontzähne im Oberkiefer, geradestehen, sind die Betroffenen in der Regel zufrieden.“Dass sich hinter einer Fehlstellung auch ernst zu nehmende Probleme verbergen können, werde in vielen Fällen ignoriert: „Es gibt immer einen Grund, warum ein Zahn schief steht“, erklärt Lisson. Deshalb sollte am Anfang immer eine Diagnostik stehen. Die finde aber bei den Anbietern nur bedingt statt.
Wer sich für Schienen aus dem Netz entscheidet, muss selbst Hand anlegen. Abdrucklöffel und Silikonmasse kommen als Set nach Hause. Die Masse muss geformt, in den Löffel gelegt werden und dann jeweils im Ober- oder Unterkiefer positioniert werden, bis er ausgehärtet ist. Der Abdruck wird eingeschickt. Die Schienen, die im regelmäßigen
Wechsel zu tragen sind, werden auf dieser Grundlage erstellt. Alternativ kommen 3D-Scans zum Einsatz, die Partner-Praxen anfertigen.
Stephan Gierthmühlen, Geschäftsführer des Berufsverbands der Deutschen Kieferorthopäden (BDK) warnt: „Die Schwierigkeit liegt bei selbstgemachten Abdrücken genauso wie bei einem Scan nicht in der Abbildung der Zähne selbst. Es bedarf aber großer Erfahrung, den Abdruck oder Scan so durchzuführen, dass dabei auch der tatsächliche Zusammenbiss, die Okklusion, abgebildet wird.“
Patienten beißen nach seiner Einschätzung häufig bei der Abdrucknahme oder beim Scannen nicht „normal“aufeinander, sondern nehmen eine unnatürliche Haltung ein. Um dies zu erkennen, sei es nötig, dass der Kieferorthopäde den persönlichen Eindruck des Patienten und das Modell abgleichen könne. Sehe er den Patienten nicht, fällt die Abweichung nicht auf und im Ergebnis passten Ober- und Unterkiefer nicht mehr zusammen.
Der Direktvertrieb von Zahnschienen, so genannten Alignern, ist in Deutschland trotz Bedenken vieler Fachverbände und Wissenschaftler erlaubt. Seit dem Ablauf von Patenten 2017 drängen immer mehr Start-Ups auf den Markt. Zähne mithilfe von Schienen zu begradigen, sei grundsätzlich ein Vorteil, sagt die DGKFO: „Die herausnehmbaren Schienen sind vielfach nahezu unsichtbar. Die häusliche Zahnpflege mit Bürste und Zahnseide ist uneingeschränkt möglich.“Darin seien sie festen Spangen überlegen. Anfängliche Bedenken, das permanente Tragen der Aligner könne negative Effekte auf die Kiefergelenkfunktion haben, seien unbegründet.
Unerwartete Probleme während der Behandlungsphase, die die meisten Anbieter mit bis zu sechs Monaten angeben, können in manchen Fällen dennoch schwere Folgen haben. Nicht nur für Zähne und Kiefer. Gierthmühlen: „Die parodontale Situation und die knö
Zähne mit Schienen zu begradigen ist grundsätzlich ein Vorteil
chernen Strukturen müssen untersucht werden, um festzustellen, ob die Behandlung funktionieren kann. Außerdem kann es zu Komplikationen wie zum Beispiel unerwünschten Zahnbewegungen kommen. Je früher diese Probleme erkannt werden, desto besser ist es. Das geht aber auch nur durch regelmäßige Kontrolltermine. Handyfotos oder eine App reichen da nicht aus.“
Kieferorthopäde Dr. Boris Sonnenberg kennt viele Fälle, in denen die Selbsttherapie mit Schienen schiefgelaufen ist: „Ein bis zwei Mal pro Woche kommen Patienten zu mir, die Schmerzen haben.“Dabei könnten wegen einer schlecht sitzenden Schiene sogar Bandscheibenprobleme entstehen, so der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Aligner Orthodontie (DGAO). Er wünscht sich mehr Aufklärung: „Laut einer Studie wissen 30 Prozent gar nicht, dass Kieferorthopäden für solche Zahnkorrekturen zuständig sind.“
Die Werbeversprechen der Internet-Anbieter zielen vor allem auf den Preis: Sie bieten Korrekturen per Zahnschienen schon ab etwa 30 Euro im Monat an. Häufig werden die Kosten für eine kieferorthopädische Behandlung mit festen Spangen mit mehreren tausend Euro gegengerechnet. Jörg Lisson, Direktor der Klinik für Kieferorthopädie an der Uniklinik Homburg, ist überzeugt, dass es durchaus Positiv-Beispiele für gelungene Behandlungen durch Internet-Schienen gebe. „Das kann funktionieren“, sagt er, aber sein Tipp lautet: „vergleichen“. Oft sei eine Behandlung beim Kieferorthopäden doch nicht so aufwendig oder teuer wie anfangs gedacht. Eine professionelle Begleitung garantiere sie in jedem Fall.