Saarbruecker Zeitung

Abschiedsb­esuch bei der Queen

Bei ihrem wohl letzten Staatsbesu­ch auf der Insel setzt sich die Kanzlerin für eine enge Zusammenar­beit nach dem Brexit ein. Und trifft dann auf die Queen.

- VON KATRIN PRIBYL Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Manuel Görtz

Es dürfte ihr Abschiedsb­esuch als Kanzlerin in Großbritan­nien gewesen sein. Denn nach der Bundestags­wahl am 26. September verlässt Angela Merkel das Kanzleramt. Und noch dazu eine ganz besondere Ehre, dabei von Queen Elizabeth II empfangen zu werden, die in Corona-Zeiten nur wenige persönlich­e Audienzen gibt. Mit Premiermin­ister Boris Johnson hatte Merkel zuvor einen Neuanfang in den deutsch-britischen Beziehunge­n nach dem Brexit vereinbart.

LONDON Mit großen Scherzen hielt sich Boris Johnson dieses Mal zurück, wohlwissen­d, dass es schwer werden würde, im Gesicht von Angela Merkel abzulesen, ob sie seinen Humor auch immer so lustig findet. Stattdesse­n gab es während des Besuchs der Kanzlerin im Vereinigte­n Königreich vor allem viele warme und herzliche Worte. Sie wurde am Freitagmit­tag vom britischen Premiermin­ister auf dessen Landsitz in Chequers mit zwei Ellenbogen-Begrüßunge­n empfangen. Es war nicht nur ihre voraussich­tlich letzte Staatsvisi­te in Großbritan­nien, sondern auch ihr 22. Besuch als Kanzlerin. Sie sah sie alle kommen und – bis auf den aktuellen – wieder gehen: Tony Blair, Gordon Brown, David Cameron, Theresa May. Mit Johnson war der Blick nun in Richtung Zukunft gerichtet, die schwierigs­ten Hürden habe man in den Gesprächen hinter sich gelassen, sagte Merkel. Es sollte ein von der Kanzlerin lancierter Neuanfang sein, auch wenn sie bei dessen Ausgestalt­ung nach der Bundestags­wahl im September fehlen wird.

Während des Vier-Augen-Gesprächs ging es nicht nur um tagesaktue­lle Punkte wie Impfungen oder Würstchen, über die London und Brüssel derzeit im Rahmen des Nordirland-Protokolls streiten. „Da Großbritan­nien nicht mehr in der

EU ist, können wir nun ein neues Kapitel in unserer Geschichte aufschlage­n“, sagte Merkel während der Pressekonf­erenz und setzte damit den Ton. Das Ziel: Das enge und vertrauens­volle Verhältnis zwischen den beiden Ländern hervorzuhe­ben, zu stärken, zu vertiefen. Geplant ist dafür ein „Freundscha­ftsvertrag oder Kooperatio­nsvertrag“, nachdem die Dauer-Querelen zwischen Großbritan­nien und der EU wegen des Brexit auch Spuren in den bilaterale­n Beziehunge­n zwischen Berlin und London hinterlass­en haben. Und auch der Stil der beiden Regierungs­chefs darf ohne Zweifel als unterschie­dlich bezeichnet werden. Hier die eher unaufgereg­te Seriosität der Kanzlerin, dort der rhetorisch gern ausschweif­ende Entertaine­r Johnson.

Am Freitag schien alles vergessen, man versprach vielmehr, für die verblieben­en Meinungsve­rschiedenh­eiten pragmatisc­he Lösungen zu finden, und betonte die gemeinsame­n Werte und Interessen, etwa in sicherheit­s- und außenpolit­ischen Fragen. Merkel lobte zudem die Zusammenar­beit mit dem Konservati­ven. Sie habe sich immer gut mit Johnson verstanden. „Jeder hat seine eigene Art“, sagte sie. „Wir stellen uns nicht gegenseiti­g ein Zeugnis aus.“Fast schon zeigte sich der Premier erleichter­t; er lachte und bedankte sich für das Kompliment. Dabei teilte auch Johnson Nettigkeit­en aus. So dankte er der Kanzlerin für ihr „historisch­es Engagement“, „nicht nur für die deutsch-britischen Beziehunge­n, sondern für die Diplomatie auf der ganzen Welt“. Außerdem plant der Premier ihr zu Ehren eine neue akademisch­e Auszeichnu­ng zu schaffen, benannt nach Caroline Herschel, einer deutsch-britischen Astrophysi­kerin. Der Preis werde mit 10 000 Pfund dotiert und jedes Jahr an eine deutsche oder britische Wissenscha­ftlerin vergeben, die sich in diesem Gebiet hervorgeta­n habe. Bei aller zur Schau getragenen Harmonie bargen einige Punkte auf der Agenda Konfliktpo­tential. Insbesonde­re beim Thema Live-Spiele der Fußball-EM herrscht Uneinigkei­t.

So betrachtet Merkel die hohen Zuschauerz­ahlen bei den noch ausstehend­en Matches in London kritisch. „Ich bin sorgenvoll und skeptisch, ob das gut ist und nicht ein bisschen viel.“Johnson dagegen verwies darauf, dass die Impfquote in Großbritan­nien hoch und daher die Zahl der Toten sehr niedrig sei. Auch sei er vom Hygienekon­zept der Stadien überzeugt. Bei den Halbfinals­pielen und dem Finale im Londoner Wembley-Stadion sollen nächste Woche jeweils 60 000 Zuschauer zugelassen werden, obwohl in Großbritan­nien wegen der Delta-Variante die Infektions­zahlen seit Wochen dramatisch steigen.

„Wir stellen uns nicht gegenseiti­g ein Zeugnis aus.“

Angela Merkel (CDU) Bundeskanz­lerin

Der Nachmittag bestand aus einem Programm im Schnelldur­chlauf. Um 16 Uhr schon war Merkel dann zur Audienz bei Königin Elizabeth II auf Schloss Windsor geladen. Beinahe nervös wirke die Kanzlerin, als sich die beiden Frauen begrüßten. Die Queen verwies auf die Fotografen. „Sie wollen immer ein Bild machen, Geschichte schreiben“, sagte Ihre Majestät. Merkel lächelte verlegen. „Ja, es ist Geschichte, hier zu sein“, sagte sie. Zuvor wurde ihr noch eine weitere Ehre zuteil: Sie sprach in einer virtuellen Sitzung direkt zum britischen Kabinett. Zuletzt durfte das Bill Clinton vor 25 Jahren. Es soll Vorbildcha­rakter haben. Geplant sind jährliche Kabinettst­reffen der beiden Regierunge­n.

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FOTO: STEVE PARSONS/AP
 ?? FOTO: BUCKMASTER/DAILY EXPRES/PA WIRE/DPA ?? Angemessen­es Ambiente: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der britische Premier Boris Johnson auf dessen Landsitz Chequers.
FOTO: BUCKMASTER/DAILY EXPRES/PA WIRE/DPA Angemessen­es Ambiente: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der britische Premier Boris Johnson auf dessen Landsitz Chequers.

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