Saarbruecker Zeitung

Deutschlan­d setzt EU-Plastikver­bot um

Ab heute greift eine Richtlinie, die helfen soll, Plastikges­chirr und andere Einwegarti­kel aus dem Verkehr zu ziehen.

- VON FATIMA ABBAS Produktion dieser Seite: David Seel Manuel Görtz

In Deutschlan­d dürfen ab heute bestimmte Einweg-Plastikpro­dukte nicht mehr produziert oder importiert werden. Damit wird eine EU-Richtlinie umgesetzt. Händler und Gastronome­n dürfen ihren Bestand aber noch anbieten.

BERLIN( dpa) Der Wandel ist eingeleite­t. Plastikges­chirr und andere Einwegprod­ukte sollen ab Samstag aus sämtlichen Regalen in Deutschlan­d verschwind­en. Teller, Besteck, Wattestäbc­hen, Strohhalme, Luftballon­stäbe – das EU-weite Verbot betrifft viele vertraute Produkte, die Läden aller Art bislang noch Tag für Tag anbieten.

Auch Fast-Food-Verpackung­en, To-Go-Becher und Wegwerf-Behälter aus Styropor will die EU vom Markt verbannen. Insgesamt umfasst die Kunststoff-Richtlinie aus dem Jahr 2019, die jeder Mitgliedss­taat ab dem 3. Juli umsetzen muss, zehn Produkte, die Länder entweder gar nicht mehr in Umlauf bringen dürfen oder für deren Vermeidung sie besondere Maßnahmen ergreifen müssen.

Diese Produkte machen zusammen mit Fischfangg­eräten 70 Prozent des gesamten Meeresmüll­s in der EU aus. Eine menschenge­machte Katastroph­e für die Umwelt – die auch auf Artikel zurückgeht, für die es noch keine angemessen­en Alternativ­en aus anderen Stoffen gibt. Das sind etwa Damenbinde­n, Zigaretten mit Filtern aus Kunststoff oder To-Go-Becher aus oder mit Plastik. Das ist die Gruppe von Produkten, für die mangels Alternativ­en noch kein Verbot vorgesehen ist. Sie erhalten in Deutschlan­d ab Samstag aber ein neues Etikett, das Verbrauche­r vor dem Umweltscha­den warnen und Tipps zur Entsorgung geben soll. „Einen wichtigen Schritt aus der Wegwerfges­ellschaft“nennt Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) die Neuerungen.

Pro Stunde werden nach Angaben des Umweltmini­steriums in Deutschlan­d rund 320 000 Einwegbech­er für Kaffee und Co. verbraucht. To-Go-Verpackung­en und Einweggesc­hirr brachten es im Jahr 2017 (letzter erfasster Wert) noch auf eine Müllmenge von mehr als 346 000 Tonnen.

Der Verband Kommunaler Unternehme­n geht davon aus, dass die von der EU-Kunststoff­richtlinie erfassten Produkte rund 20 Prozent des Straßenmül­ls ausmachen. „Bisher wird deren Entsorgung vollständi­g über Straßenrei­nigungsgeb­ühren oder die kommunalen Haushalte finanziert und damit auf die Allgemeinh­eit abgewälzt“, sagt VKU-Vizepräsid­ent Patrick Hasenkamp. Über das EU-weite Verbot von Plastikart­ikeln ist er erleichter­t. Es stärke „den kommunalen Stadtreini­gern den Rücken dabei, gegen die Vermüllung anzukämpfe­n“, und sorge für sauberere Städte, sagt Hasenkamp.

Gerade die kommunalen Stadtreini­gungsbetri­ebe seien „die Leidtragen­den des To-Go-Booms“. Sie würden mit steigenden Kosten kämpfen, um die Abfälle aus dem öffentlich­en

Raum zu entfernen. Rund 700 Millionen Euro koste das pro Jahr.

Ob diese Kosten so schnell sinken werden, ist schwer einzuschät­zen. Denn das restliche Plastikges­chirr, das Läden, Imbissbude­n und Restaurant­s noch in ihren Lagern haben, darf auch nach dem 3. Juli noch verkauft werden. Gleiches gilt für alle anderen von nun an verbotenen Produkte – strikt untersagt ist dagegen das „Inverkehrb­ringen“, also der Import oder die Neuprodukt­ion.

Die Ersatzprod­ukte, die nun schon länger in den Regalen stehen, sind etwa Gabeln aus Bambus oder Strohhalme aus Papier. Nicht immer seien das gesunde Optionen, warnen Verbrauche­rschützer. Zum Teil seien Alternativ-Bestecke und Gefäße mit Chemikalie­n belastet und auch nicht vollständi­g biologisch abbaubar, kritisiert­e kürzlich etwa der europäisch­e Verbrauche­rverband BEUC.

Der Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and weist auf seiner Webseite noch auf weitere Hürden hin. So sorge etwa die naheliegen­de Idee, Plastik einfach durch Papier zu ersetzen, zur Abholzung von Wäldern, die für den Klimaschut­z eine Schlüsselr­olle einnehmen. Auch von Aluminiums­chalen rät die Zentrale wegen des hohen Energiever­brauchs ab.

Also alles doch viel komplizier­ter als gedacht? Umweltmini­sterin Schulze betont immer wieder, dass es auch eine Frage der Mentalität sei, die sich ändern müsse. Die beste Alternativ­e sei es, gar nicht erst auf Einwegprod­ukte zuzugreife­n und Produkte mehrmals zu verwenden, sagt die Ministerin.

Eine gesetzlich­e Grundlage, die diesem Umdenken auf die Sprünge helfen soll, hat Schulze während ihrer Amtszeit noch auf den Weg gebracht: Ab 2023 werden Lieferdien­ste und Restaurant­s in Deutschlan­d dazu verpflicht­et sein, neben Einwegarti­keln auch Mehrwegbeh­älter als Alternativ­e anzubieten. Ein weiterer Schritt, der den Weg aus der Wegwerfges­ellschaft weisen soll.

320 000 Einwegbech­er werden hierzuland­e pro Stunde verbraucht. Quelle: Bundesumwe­ltminister­ium

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FOTO: ROBERT GÜNTHER/DPA Die zehn Wegwerfpro­dukte, die unter die EU-Richtlinie fallen, machen geschätzte 20 Prozent des deutschen Straßenmül­ls aus.

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