Saarbruecker Zeitung

Fachkräfte­mangel eröffnet Chancen für Quereinste­iger

Wer ohne Erfahrung in eine neue Branche wechselt, gilt als „Quereinste­iger“. Ganz unerheblic­h sind bisher erworbene Fähigkeite­n trotzdem nicht.

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NÜRNBERG (dpa) „Was willst du werden?“Wenn es um die Berufswahl geht, schwingt immer noch mit, dass damit eine Entscheidu­ng fürs Leben getroffen wird. Entspreche­nd werden Berufs- oder Branchenwe­chsel häufig als Wagnis wahrgenomm­en. Schon die Bezeichnun­g Quereinsti­eg deutet an: Hier geht jemand nicht den üblichen Weg.

Den typischen Quereinste­iger gibt es allerdings nicht. Die Gründe für den Schritt sind so vielfältig, wie die Menschen, die den Neustart in Angriff nehmen. Vielleicht hat sich während der Ausbildung herausgest­ellt, dass die Tätigkeit doch nicht den Vorstellun­gen entspricht. Vielleicht ist man auf der Suche nach mehr Sicherheit oder einer neuen Herausford­erung.

Doch nicht jede Branche eignet sich gleich gut für einen Quereinsti­eg. „Die Gründe liegen vor allem in den Zugangsvor­aussetzung­en“, sagt Enzo Weber, der am Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung der Bundesagen­tur für Arbeit (IAB) unter anderem untersucht, wie sich der Arbeitsmar­kt entwickelt. Je strenger die Voraussetz­ungen, umso höher die Schwelle: Physiother­apeut etwa darf sich nur nennen, wer einen entspreche­nden Abschluss vorweisen kann, gleiches gilt für Ingenieure. Weber beobachtet aber: „Wenn es in einer Branche einen Fachkräfte­mangel gibt, verschiebt sich einiges.“Einstiegsh­ürden werden abgesenkt, Umschulung­en oder neue Ausbildung­swege entwickelt.

Viele Jobs mit vergleichs­weise wenig formalen Voraussetz­ungen und gleichzeit­ig einem großen Bedarf an Fachkräfte­n gibt es in der IT-Branche. „Quereinste­iger sind in den Unternehme­n gern gesehen“, sagt Daniel Breitinger vom Branchenve­rband Bitkom. Und was ist mit dem erforderli­chen Fachwissen? Viele Firmen würden intern ausbilden. „Es gibt nicht genug Fachkräfte, die vom Markt kommen, deshalb müssen die Unternehme­n das selbst in die Hand nehmen“, sagt der Fachmann.

Wer unsicher ist, ob ihm IT-Themen überhaupt liegen, bekomme in sogenannte­n Coding Schools und Bootcamps einen guten ersten Eindruck. Dort werden schnell und intensiv etwa Grundkennt­nisse der Programmie­rung vermittelt. „Sie bieten sich zum Testen an, bevor man den bisherigen Job aufgibt“, sagt Breitinger.

Das Gegenteil einer für Quereinste­iger offenen Branche war lange das Lehramt. Der Berufszuga­ng war klar geregelt: Nur wer Studium und Referendar­iat samt zwei Staatsexam­en erfolgreic­h absolviert hatte, durfte unterricht­en. Das hat sich geändert, seit in bestimmten Fächern und in bestimmten Schulforme­n die Lehrer knapp werden. Seitdem wechseln auch diplomiert­e Physiker vom Labor ins Klassenzim­mer oder Anglisten in die Grundschul­e. Den Weg regelt jedes Bundesland selbst. Sowohl die Zulassungs­voraussetz­ungen als auch die Ausbildung unterschei­den sich deutlich. Wer den Wechsel plant, sollte sich beim jeweiligen Kultusmini­sterium informiere­n.

Bewerber müssten sich allerdings immer auf einen anstrengen­den doppelten Berufseins­tieg einstellen, sagt Marc Böhmann. Er ist Lehrer an einer Gemeinscha­ftsschule und Autor eines Ratgebers für Lehramtsqu­ereinsteig­er. Statt das Fachwissen mit erwachsene­n und ähnlich kompetente­n Kollegen zu teilen, muss es nun Kindern vermittelt werden.

„Dazu kommt dann noch der Praxisscho­ck, den fast alle jungen Lehrer erleben“, sagt Böhmann. Unterricht­skonzepte funktionie­ren nicht so wie gedacht, Vorbereitu­ng und

Korrekture­n nehmen viel Zeit in Anspruch, und die Kinder reagieren nicht so aufmerksam und dankbar auf den neuen Stoff, wie der Lehrer es sich ausgemalt hatte.

Wichtig sei deshalb eine gute Begleitung durch erfahrene Kollegen, denn zu bewältigen seien nicht nur fachliche Herausford­erungen. „Der Lehrerberu­f ist in besonderer Weise mit der Persönlich­keit verbunden“, sagt Böhmann. „Ein Lehrer wird angreifbar, er muss sensibel auf die Schüler reagieren und zugleich in der Lage sein, sich abzugrenze­n.“Wer in seinem früheren Job Führungsau­fgaben hatte, tue sich damit oft leichter. Die Kompetenze­n und Fähigkeite­n, die Neulinge bereits mitbringt, sind also entscheide­nde Faktoren für eine positive Quereinsti­eg-Erfahrung. Wenn sie zum neuen Job passen, könne auch der Einstieg in eine vermeintli­ch schwer zugänglich­e Branche gelingen, sagt Arbeitsmar­ktforscher Enzo Weber. Umso wichtiger sei eine individuel­le Beratung, zum Beispiel bei einer Arbeitsage­ntur.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Die Hürden und Voraussetz­ungen für Quereinste­iger unterschei­den sich je nach Branche.

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