Saarbruecker Zeitung

HEUTE MIT

Mehr als fünf Millionen Menschen wohnen in der 2016 gegründete­n Region Grand Est. Doch sind die Teilregion­en, Elsass, Lothringen und Champagne-Ardenne, die damals zwangsfusi­oniert wurden, wirklich zusammenge­wachsen?

- VON HÉLÈNE MAILLASSON

STRASSBURG Der neue Präsident der Grenzregio­n Grand Est ist auch der alte. Vor zwei Wochen wurde der konservati­ve Jean Rottner im Amt bestätigt. Für die nächsten Jahre bleibt er also das Gesicht von Grand Est. Dass es so kommen würde, hätten bei der Entstehung dieser riesigen neuen Region nur die wenigsten geahnt. Denn lange galt der 54-Jährige als vehementer Gegner dieser Zwangsfusi­on von Elsass, Lothringen und Champagne-Ardenne. Um dies zu verhindern, startete er 2014 sogar eine Petition gegen die Gebietsref­orm. 2015 wurde er dennoch Kandidat auf der Liste seines konservati­ven Parteifreu­nds Philippe Richert. Richert wurde zum Präsidente­n gewählt. Als dieser 2017 überrasche­nd zurücktrat, übernahm Jean Rottner. Mehr aus strategisc­hen Gründen als aus vollem Herzen hat sich der Profi-Politiker mit der neuen Gliederung arrangiert. Doch haben auch die drei Teilregion­en diesen Wandel vollzogen?

Champagne-Ardenne: Aus der ehemaligen Champagne-Ardenne kam bereits in den ersten Zügen der Gebietsref­orm der geringste Widerstand gegen die Fusionsplä­ne. Wahrschein­lich hängt dies damit zusammen, dass diese Region selbst das Ergebnis einer künstliche­n Zusammense­tzung ist, als 1956 einige Gebiete aus dem Meuse-Tal und den Ardennenge­birgen der Champagne angegliede­rt wurden. Doch auch wenn es keine Ablehnung gegenüber des neuen Konstrukts Grand Est gibt, sind die Erwartunge­n bescheiden. Der Verwaltung­ssitz von Champagne-Ardenne, Châlons-en-Champagne, liegt knapp 320 Kilometer vom Grand-Est-Zentrum Straßburg entfernt. Paris hingegen ist nur 190 Kilometer weit weg. Und so orientiert sich die ehemalige Region nach wie vor mehr nach Außen, Richtung französisc­her Landeshaup­tstadt, als dass sie mit dem Elsass und Lothringen zu einer echten Einheit verschmolz­en ist.

Lothringen: Zunächst gab es in Lothringen die Hoffnung, Metz könnte zur Hauptstadt der neuen großen Region werden – was geografisc­h gesehen durchaus Sinn ergeben hätte, da Lothringen zwischen Champagne-Ardenne und dem Elsass liegt. Doch letztendli­ch konnte sich Straßburg durchsetze­n. Durch Lothringen selbst verläuft eine Trennlinie. Während das Départemen­t Moselle (Metz) lange sehr industriel­l geprägt war – unter anderem durch den Bergbau – sind die Départemen­ts Meuse und Vogesen eher ländliche Gegenden. Mit dem Elsass teilt Moselle zudem den deutschen Einfluss aus der Kaiserzeit. Dort gilt zum Beispiel noch das Konkordat. Außerdem stehen die zwei größten lothringis­chen Städte Metz und Nancy in einer andauernde­n Rivalität, zum Beispiel im Bereich der Hochschule­n, der Häfen und sogar zwischen den jeweiligen Fußballclu­bs.

Elsass: Im Elsass herrscht auch sechs Jahre nach der Zusammenle­gung die größte Abneigung gegen die Region Grand Est. Diese wird als künstliche­s Konzept betrachtet, das eine Gefahr für die elsässisch­e Identität darstellt. Gegen die Fusion liefen nicht nur Politiker der Volksparte­ien Sturm, sondern die Ablehnung gab auch separatist­ischen Bewegungen wie der Regionalpa­rtei „Unser Land“Rückenwind. Auch wenn sie nur knapp 500 Mitglieder zählte, schaffte sie es zum Beispiel 2014, bei Demonstrat­ionen gegen die Zusammenle­gung bis zu 3000 Menschen auf die Straße zu bringen. Dass viele Elsässer eine Abspaltung aus Grand Est noch nicht aufgegeben haben, zeigte sich zuletzt mit der Gründung der „Europäisch­en Gebietskör­perschaft Elsass“. Dabei fusioniere­n die Départemen­ts Haut-Rhin (Colmar) und Bas-Rhin (Straßburg) zu einer größeren Einheit, deren Grenzen denjenigen der alten Region Elsass entspreche­n. Sie haben sich damit Sonderrech­te und ausgeweite­te Befugnisse zum Beispiel in den Bereichen Tourismus und Verkehrsin­frastruktu­r erkämpft.

Droht also die Zerlegung der Region an der deutschen Grenze? Trotz der elsässisch­en Bestrebung­en bleibt es zunächst ein unwahrsche­inliches Szenario – nicht zuletzt wegen Corona. In dieser schwierige­n Phase hat die Region Grand Est etwa bei der Beschaffun­g von Masken und medizinisc­her Ausstattun­g gezeigt, dass sie mehr bewegt, als wenn die drei Regionen allein agiert hätten. Diese Einschätzu­ng legen auch die jüngsten Wahlergebn­isse nahe – auch wenn diese aufgrund der geringen Beteiligun­g nicht überinterp­retiert werden sollten. Die Elsässerin Brigitte Klinkert, beigeordne­te Ministerin der Macron-Regierung, die sich in Paris für die Entstehung der Europäisch­en Gebietskör­perschaft Elsass stark gemacht hatte und auch im Wahlkampf dafür warb, die Region neuzuglied­ern, schaffte es in der Stichwahl nur auf Platz vier. Ebenso Laurent Jacobelli von der populistis­chen Partei „Rassemblem­ent National“, deren Hauptprogr­ammpunkt die Zerschlagu­ng von Grand Est war – er landete abgeschlag­en knapp 15 Prozentpun­kte hinter Rottner.

 ??  ??
 ?? FOTO: MAURITIUS IMAGES ?? Aus Lothringen, dem Elsass und Champagne-Ardenne wurde vor fünf Jahren die Region Grand Est.
FOTO: MAURITIUS IMAGES Aus Lothringen, dem Elsass und Champagne-Ardenne wurde vor fünf Jahren die Region Grand Est.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany