Metz zeigt in Nächten bezaubernde Digitalpoesie
Die Stadt startet mit dem Festival Constellations in einen poetischen Stadtsommer und macht ihr Zentrum zur Freilichtbühne.
METZ Es scheint, als sei Metz nie schöner und aufregender gewesen als in den Nächten dieses Sommers. Es liegt sicher daran, dass das französische Savoir-vivre nach der dritten Welle und strengen Ausgangssperren wieder geballt auf Plätze, Terrassen und in Kultursäle zurückschwappt. Auch die städtische Aktion, das historische Zentrum mit Bäumen und Blumenkübeln mehr zu begrünen, tut etwas bei. Vor allem aber werden die Nächte mit dem Festival Constellations auf faszinierende Weise zum Tag gemacht. Das mittlerweile etablierte Festival bedeutet digitale Kunst an Hauswänden, Kirchenfassaden, in aufgebauten Zelten und in versteckten Höfen, die sich im öffentlichen Raum als Videomapping oder interaktive Installationen ausbreitet. Los geht es mit dem Einbruch der Nacht. Vor der Oper erlebt man in einem runden Zelt auf Liegekissen einen spacigen Flug durchs Innere der Kathedrale: „Cosmic Uroboros“von dem franko-kanadischen Duo C4rt0 und Ena Eno wird einem dabei, wie in einem Planetarium, über den Kopf projiziert. Dann geht es weiter in die nahe Kirche Temple Neuf, in der es scheint, als sei man gerade unter unsichtbare Aliens geraten, die sich mittels greller Lichtstrahlen und dumpfer Blobtöne unterhalten. Was würde danach besser passen, als durch die Nacht zum Hôtel de Ville zu laufen, in dessen Hof Luke Jerrams riesiger, orangefarben leuchtender „Mars“schwebt?
Tatsächlich besteht das Festival Constellations aus drei Teilen. Neben diesen digitalen Kunstwerken ist auch ein Parcours mit Werken der Street Art und mit Installationen in Parks und Grünflächen eingerichtet. 2019 kamen 1,4 Millionen Besucher, wobei die Stadt das Plus aus ökonomischen und touristischen Einnahmen auf 6,4 Millionen Euro beziffert – bei einem konstanten Festivalbudget von zwei Millionen Euro.
Auch diesmal ist der Parcours der digitalen Kunst mit 13 Standorten der umfangreichste und spektakulärste. „Das verbindende Thema des Festivals ist Wasser, seine Wellen und Spiegelungen, aber auch Wasser als Quelle außerirdischen Lebens, die das Vordringen in den Weltraum antreibt“, sagt Jérémie Bellot, Kommissar des digitalen Parcours. Diesmal werden 22 Werke von 41 internationalen Künstlern gezeigt – darunter 18 Werke, die extra für das Festival entstanden. Viel ist im Freien zu beobachten. Abschreiten können Besucherinnen und Besucher 2,5 Kilometer, wobei selbst Ortskundige an einem Abend aufgrund der Menge nicht alle Stationen schaffen können. Gut also, dass es auf der Internetseite des Festivals einen Plan des Zentrums gibt, auf dem die Kunstorte eingetragen sind und mit dem man seinen ganz persönlichen Metzer Sommernachtskunsttrip planen kann.
Den Anfang könnte Videomapping machen, dabei werden clipartige Videos mit Musik auf Fassaden projiziert. Es gibt zwei besonders beeindruckende: Während die Seitenfassade der großen Kathedrale Saint-Étienne mit dem imposanten Mehrminüter „Osmosis 2“erneut von dem Künstler Vincent
Masson und dem Collectif Sin~ bespielt wird, sind auf der Fassade der kleinen Kirche Église Saint-Clément gleich zehn kurze Videomappings in einem Wettbewerb zu sehen. Mal galaktische Bilderflut mit kosmischen Nebeln, mal strenges, an der neoklassizistischen Fassade orientiertes Linienspiel – man kann sogar in der App des Festivals für seinen Favoriten abstimmen.
Absolut sehenswert sind auch diese beiden Werke: „Exo“, die eingangs erwähnte Alienshow, im Temple Neuf und „Reflexion“in der Église des Trinitaires. „Exo“wirkt wie ein kurzweiliger Ausflug in eine imaginierte Aliensprache mittels Licht und Ton, dessen Atmosphäre zwischen ehrfürchtiger Spannung und leichtem Grusel angenehm oszilliert. „Wir haben anderthalb Jahre mit einem 3D-Modell der Kirche gearbeitet und berechnet, wie sich unsere künstlichen Lichtstrahlen verhalten“, erklärt Santiago Vicanova vom katalanischen Künstlerkollektiv Playmodes, das die Show über eigens programmierte Software steuert. Vor Ort folgt Feinarbeit: „Wir stellen sicher, dass wir die Lichtquellen genau da aufstellen, wo sie in unserem 3D-Modell platziert waren, aber es benötigt zwei Tage des
Messens und Feinjustierens.“Dabei muss die Architektur des Raumes stets im Blick sein – auch die Tonverzögerung von fünf Sekunden, die bei der eingespielten Tonkulisse keine echoanfälligen Inhalte wie Danceelemente oder Percussions zulässt. Das macht die Show zu einer Maßanfertigung genau für diese Kirche.
Minutiöse Vorarbeit und viel Programmierkünste stecken auch in „Reflection“. In dieser Installationsskulptur hat das tschechische Duo Petr Vacek und Adam Cigler insgesamt 91, sechseckige, sich bewegende Spiegel montiert. „Alles dreht sich um Wasser, das als Regen in einem See landet, für Wellen sorgt, friert, taut, sich zu Wolken formiert und wieder abregnet“, sagt Cigler. Die 91 Spiegel werden, synchron zur Musik, auf Rahmen aus dem 3D-Drucker über 182 kleine Servomotoren gedreht und gekippt, ihrerseits angetrieben durch eine Software über Wifi. Doch von der Technik sieht man nichts. Die Installation scheint wie eine große, spiegelglatte Wabe, auf der ein hypnotisches Farbenspiel stattfindet und das tanzende Schatten auf die Wände der kleinen Église des Trinitaires wirft.
Überhaupt sind die Spielorte des Festivals architektonisch reizvoll, unverhofft heimelig oder kulturell bedeutend – und damit quasi die Sahneschnitten des steinernen Erbes der Stadt. Wer kann, sollte ihnen bis zum 4. September an einem warmen und trockenen Donnerstag-, Freitag- oder Samstagabend einen Besuch abstatten, um einen sommerlichen Kunstabend zu verbringen. Kurzweilig, verlockend und bunt wie ein Fruchtsorbet.