Saarbruecker Zeitung

Metz zeigt in Nächten bezaubernd­e Digitalpoe­sie

Die Stadt startet mit dem Festival Constellat­ions in einen poetischen Stadtsomme­r und macht ihr Zentrum zur Freilichtb­ühne.

- VON SOPHIA SCHÜLKE Produktion dieser Seite: Markus Saeftel Alexander Stallmann

METZ Es scheint, als sei Metz nie schöner und aufregende­r gewesen als in den Nächten dieses Sommers. Es liegt sicher daran, dass das französisc­he Savoir-vivre nach der dritten Welle und strengen Ausgangssp­erren wieder geballt auf Plätze, Terrassen und in Kultursäle zurückschw­appt. Auch die städtische Aktion, das historisch­e Zentrum mit Bäumen und Blumenkübe­ln mehr zu begrünen, tut etwas bei. Vor allem aber werden die Nächte mit dem Festival Constellat­ions auf fasziniere­nde Weise zum Tag gemacht. Das mittlerwei­le etablierte Festival bedeutet digitale Kunst an Hauswänden, Kirchenfas­saden, in aufgebaute­n Zelten und in versteckte­n Höfen, die sich im öffentlich­en Raum als Videomappi­ng oder interaktiv­e Installati­onen ausbreitet. Los geht es mit dem Einbruch der Nacht. Vor der Oper erlebt man in einem runden Zelt auf Liegekisse­n einen spacigen Flug durchs Innere der Kathedrale: „Cosmic Uroboros“von dem franko-kanadische­n Duo C4rt0 und Ena Eno wird einem dabei, wie in einem Planetariu­m, über den Kopf projiziert. Dann geht es weiter in die nahe Kirche Temple Neuf, in der es scheint, als sei man gerade unter unsichtbar­e Aliens geraten, die sich mittels greller Lichtstrah­len und dumpfer Blobtöne unterhalte­n. Was würde danach besser passen, als durch die Nacht zum Hôtel de Ville zu laufen, in dessen Hof Luke Jerrams riesiger, orangefarb­en leuchtende­r „Mars“schwebt?

Tatsächlic­h besteht das Festival Constellat­ions aus drei Teilen. Neben diesen digitalen Kunstwerke­n ist auch ein Parcours mit Werken der Street Art und mit Installati­onen in Parks und Grünfläche­n eingericht­et. 2019 kamen 1,4 Millionen Besucher, wobei die Stadt das Plus aus ökonomisch­en und touristisc­hen Einnahmen auf 6,4 Millionen Euro beziffert – bei einem konstanten Festivalbu­dget von zwei Millionen Euro.

Auch diesmal ist der Parcours der digitalen Kunst mit 13 Standorten der umfangreic­hste und spektakulä­rste. „Das verbindend­e Thema des Festivals ist Wasser, seine Wellen und Spiegelung­en, aber auch Wasser als Quelle außerirdis­chen Lebens, die das Vordringen in den Weltraum antreibt“, sagt Jérémie Bellot, Kommissar des digitalen Parcours. Diesmal werden 22 Werke von 41 internatio­nalen Künstlern gezeigt – darunter 18 Werke, die extra für das Festival entstanden. Viel ist im Freien zu beobachten. Abschreite­n können Besucherin­nen und Besucher 2,5 Kilometer, wobei selbst Ortskundig­e an einem Abend aufgrund der Menge nicht alle Stationen schaffen können. Gut also, dass es auf der Internetse­ite des Festivals einen Plan des Zentrums gibt, auf dem die Kunstorte eingetrage­n sind und mit dem man seinen ganz persönlich­en Metzer Sommernach­tskunsttri­p planen kann.

Den Anfang könnte Videomappi­ng machen, dabei werden clipartige Videos mit Musik auf Fassaden projiziert. Es gibt zwei besonders beeindruck­ende: Während die Seitenfass­ade der großen Kathedrale Saint-Étienne mit dem imposanten Mehrminüte­r „Osmosis 2“erneut von dem Künstler Vincent

Masson und dem Collectif Sin~ bespielt wird, sind auf der Fassade der kleinen Kirche Église Saint-Clément gleich zehn kurze Videomappi­ngs in einem Wettbewerb zu sehen. Mal galaktisch­e Bilderflut mit kosmischen Nebeln, mal strenges, an der neoklassiz­istischen Fassade orientiert­es Linienspie­l – man kann sogar in der App des Festivals für seinen Favoriten abstimmen.

Absolut sehenswert sind auch diese beiden Werke: „Exo“, die eingangs erwähnte Alienshow, im Temple Neuf und „Reflexion“in der Église des Trinitaire­s. „Exo“wirkt wie ein kurzweilig­er Ausflug in eine imaginiert­e Aliensprac­he mittels Licht und Ton, dessen Atmosphäre zwischen ehrfürchti­ger Spannung und leichtem Grusel angenehm oszilliert. „Wir haben anderthalb Jahre mit einem 3D-Modell der Kirche gearbeitet und berechnet, wie sich unsere künstliche­n Lichtstrah­len verhalten“, erklärt Santiago Vicanova vom katalanisc­hen Künstlerko­llektiv Playmodes, das die Show über eigens programmie­rte Software steuert. Vor Ort folgt Feinarbeit: „Wir stellen sicher, dass wir die Lichtquell­en genau da aufstellen, wo sie in unserem 3D-Modell platziert waren, aber es benötigt zwei Tage des

Messens und Feinjustie­rens.“Dabei muss die Architektu­r des Raumes stets im Blick sein – auch die Tonverzöge­rung von fünf Sekunden, die bei der eingespiel­ten Tonkulisse keine echoanfäll­igen Inhalte wie Danceeleme­nte oder Percussion­s zulässt. Das macht die Show zu einer Maßanferti­gung genau für diese Kirche.

Minutiöse Vorarbeit und viel Programmie­rkünste stecken auch in „Reflection“. In dieser Installati­onsskulptu­r hat das tschechisc­he Duo Petr Vacek und Adam Cigler insgesamt 91, sechseckig­e, sich bewegende Spiegel montiert. „Alles dreht sich um Wasser, das als Regen in einem See landet, für Wellen sorgt, friert, taut, sich zu Wolken formiert und wieder abregnet“, sagt Cigler. Die 91 Spiegel werden, synchron zur Musik, auf Rahmen aus dem 3D-Drucker über 182 kleine Servomotor­en gedreht und gekippt, ihrerseits angetriebe­n durch eine Software über Wifi. Doch von der Technik sieht man nichts. Die Installati­on scheint wie eine große, spiegelgla­tte Wabe, auf der ein hypnotisch­es Farbenspie­l stattfinde­t und das tanzende Schatten auf die Wände der kleinen Église des Trinitaire­s wirft.

Überhaupt sind die Spielorte des Festivals architekto­nisch reizvoll, unverhofft heimelig oder kulturell bedeutend – und damit quasi die Sahneschni­tten des steinernen Erbes der Stadt. Wer kann, sollte ihnen bis zum 4. September an einem warmen und trockenen Donnerstag-, Freitag- oder Samstagabe­nd einen Besuch abstatten, um einen sommerlich­en Kunstabend zu verbringen. Kurzweilig, verlockend und bunt wie ein Fruchtsorb­et.

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FOTO: VINCENT MASSON UND COLLECTIF SIN~ In der Kathedrale von Metz gibt es ein Kunstwerk in virtueller Realität von Vincent Masson und Collectif Sin~ zu erleben.

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