Sie sind gekommen, um zu bleiben
Elf Tage lang gab es im Weltkulturerbe Völklinger Hütte das erste Freistil Festival. Zum Abschluss konnte man eine surrealistische Spurensuche mit Les Oniristes erleben und ein unendlich zufriedenes Organisations-Team, das gute Neuigkeiten hatte.
SAARBRÜCKEN/VÖLKLINGEN Können gelbe Zucchini etwas mit Kultur zu tun haben? Aber unbedingt! Und zwar ganz unmittelbar und als Sinnbild für dieses ganz und gar gelungene erste Freistil Festival des Netzwerks freie Szene Saar.
Am Eröffnungsabend dieser Leistungsschau der freien Bühnenkünstler im Land vor elf Tagen waren die gelben Früchtchen, die (im Rahmen des Future-Lab-Projekts der Kunsthochschule) in großen Hochbeeten vor der Erzhalle des Weltkulturerbes Völklinger Hütte wachsen, noch recht klein. Jetzt, beim Abschlussabend prangten da riesige, dicke, leuchtend gelbe Zucchini.
„Das war bestimmt Claudia Kemmerer mit ihrem Glasgesang“, meint Corinna Preisberg, Vorständin des Netzwerks freie Szene, und lacht. Die Sängerin und Glasharfen-Spielerin hatte an mehreren Festival-Abenden kleine Auftritte, und man weiß ja, dass Pflanzen Musik mögen.
Aber so oder so kann man die Gurkengewächse als Symbol dafür nehmen, dass hier kulturell etwas Großes gewachsen ist. Und so sind auch die Veranstalter vom Netzwerk zwar müde, aber mehr als zufrieden. „Fürs erste Mal hat das wunderbar geklappt“, schwärmt Corinna Preisberg. Das Festival habe einen enormen Schub für die Zukunft gegeben.
Und eine Zukunft wird es – die gute Nachricht sogleich – auch für das Freistil Festival geben. Und zwar schon im nächsten Jahr. „Im September 2022 wird es wieder Freistil geben“, verkündet Preisberg.
Anfangs hatte man überlegt, das Festival erst in zwei Jahren wieder anzugehen, „es ist ja ein sehr großer Aufwand, und wir machen es fast alles ehrenamtlich“. Aber dann lief es so beflügelnd in diesem Jahr. „Die Welle war so gut, den Schwung wollen wir mitnehmen.“
2022 will sich das Netzwerk dabei noch breiter aufstellen. Man hofft, dass die Erzhalle auch dann wieder zur Verfügung steht – „es wäre schön, wenn wir sie als unseren Festivalort etablieren könnten“–, will sich dann noch stärker auch nach Völklingen hinein vernetzen. Bereits in diesem Jahr gab es eine Kooperation mit dem Diakonie Kaufhaus. Die originelle Bestuhlung des Zuschauerraums kam von dort – und wer wollte, konnte seinen Stuhl oder Sessel kaufen. Diese soziokulturelle Richtung würde man gern ausbauen, meint Preisberg.
Und es wird noch größer gedacht: „Wir wollen großregionale Projekte machen, vielleicht könnten wir sogar Künstler-Residenzen anbieten, so dass Produktionen hier erst entstehen“. Kontakte zu Luxemburg und Frankreich wurden schon während des Festivals geknüpft. Auch eine Vernetzung Richtung Parc Explore Wendel in Petite Rosselle kann Preisberg sich vorstellen. Ein Festival, das die Industriekultur auf beiden Seiten der Grenze bespielt.
Aber nicht nur der Vorstand des Netzwerks spürt die kulturelle Welle, die das Festival ausgelöst hat. Es gab auch viele Impulse in die Kreativ-Szene hinein. „Da entsteht gerade ganz viel Neues“, erzählt Preisberg. Ganz viel Lust sei spürbar.
Auch kulturpolitisch war Freistil ein Erfolg. „Wir sind zum ersten Mal geschlossen aufgetreten, konnten uns politisch stärker aufstellen“, sagt Peisberg. Und mit diesem Schwung will man nun auf die Suche gehen nach einem Produktionshaus fürs
Netzwerk. Die freie Szene braucht einen Ort, an dem sie proben und möglichst auch auftreten kann. Mit einem Büro, an dem das Netzwerk auch organisatorisch arbeiten kann.
Die Signale aus der Politik sind gut. „Aus dem Kultusministerium bekommen wir Rückenwind. Wir sollen einen Ort finden, dann wird man uns unterstützen“, sagt Preisberg. Dieser Ort sollte im Großraum Saarbrücken liegen, weshalb man auf die Unterstützung auch von Oberbürgermeister Uwe Conradt hofft. „Unsere Ohren sind ganz weit offen“, meint Preisberg.
Wie groß und grenzüberschreitend das kreative Potenzial des Netzwerks bereits jetzt ist, demonstrierte eindrücklich die letzte große Produktion des Festivals. Das deutsch-französisch-luxemburgische Kollektiv Les Oniristes brachte als i-Tüpfelchen des Festivals die deutsche Erstaufführung seiner Produktion „Onirisée – Der weibliche surrealistische Traum“.
Élodie Brochier, Katharina Bihler, Sascha Ley und Stefan Scheib schickten das Publikum in der ausverkauften Erzhalle auf eine verwirrend-märchenhafte Bilder- und Klangreise, eine dadaeske Suche, deren Sinn sich naturgemäß nicht erschließen musste. Grandiose visuelle Eindrücke mit Papiertheater und faszinierenden optischen Spielereien, dazu Musik, die sich wimmernd und plätschernd, wispernd und raschelnd ins Bewusstsein schmiegte. Ein mehrsprachiges Zauber-Theater, das in seiner experimentellen Vielseitigkeit ein gutes Symbol und ein schöner Abschluss war für dieses gelungene, vielseitige Freistil-Experiment.
„Wir wollen großregionale Projekte machen, vielleicht könnten wir sogar KünstlerResidenzen anbieten.“Corinna Preisberg vom Vorstand des Netzwerks freie Szene über die ersten Pläne fürs nächste Freistil Festival