Saarbruecker Zeitung

Ein Abend voll künstleris­cher Vielfalt in der Völklinger Hütte

Zwischen Glas-Harfen- Gesängen und Strichmänn­chen-Tanz: Eindrücke vom neunten Abend des Freistil Festivals des Netzwerks freie Szene.

- VON KERSTIN KRÄMER Produktion dieser Seite: Michael Emmerich Frank Kohler

VÖLKLINGEN Behutsam kreisen die Finger von Claudia Kemmerer über den Rand von Weingläser­n, deren Gesang mit ihrer eigenen Stimme verschmilz­t – hinter Gerüsten aus Bambusholz, wo in schwarzen Kübeln Tomaten und andere Gemüse heranreife­n: Das Duett aus Mezzosopra­n und Glasharfe versetzt das Gewächshau­s der neuen „Plant Factory“im Weltkultur­erbe Völklinger Hütte in Schwingung­en.

Mit einer in dieser Interpreta­tion berückend ätherisch anmutenden, zierlichen Ballata des mittelalte­rlichen Komponiste­n Johannes Ciconia bog am Freitag das Freistil Festival des Netzwerks Freie Szene Saar ins letzte Viertel ein. Endspurt für eine bis dato einzigarti­ge elftägige Leistungss­chau, die eigentlich bereits im November hätte stattfinde­n sollen, Pandemie-bedingt jedoch verschiebe­n werden musste.

Und weil Raumnot, namentlich im Zeichen von Corona, ein chronische­s Problem der Off-Szene ist, stellte das

Weltkultur­erbe als Kooperatio­nspartner die geräumige Erzhalle und deren Umgebung als Spielort zur Verfügung. Bei insgesamt 20 Darbietung­en mit über 50 Beteiligte­n konnten so jeweils 48 erlaubte Zuschauer längere Einzel-Aufführung­en erleben oder Abende, bei denen Kurzformat­e verschiede­nster Genres zu abwechslun­gsreichen Päckchen gebündelt wurden.

Abgerundet wurde das Programm durch drei Podiumsdis­kussionen, bei denen die kulturelle­n Auswirkung­en von Strukturwa­ndel und Corona sowie Chancen, Defizite und Potenziale der großregion­alen freien Szene hinterfrag­t wurden.

Der Gläserspie­l-Auftakt bildete an diesem neunten Festivalab­end, der mit längeren Pausen erneut reichlich Gelegenhei­t zum Austausch bot, das passende Intro zu Samuel Meystres Choreograp­hie „Gortec“, die als Zwitter aus Tanz und Cartoon ebenfalls eine unwirklich flüchtige Symbiose skizzierte: einen surrealen Pas de Deux für einen Tänzer ( Tom Diener) und eine Comicfigur, die als staksiges Strichmänn­chen auf Leinwand daherkommt.

Wie wurde dieses bereits 2004 in Zürich uraufgefüh­rte, ulkige Kurzstück realisiert? War hier ein zweiter Tänzer in ein Kostüm geschlüpft und gefilmt worden? Oder wurde die Figur mit Stift auf Papier gebannt und als Partner für den live agierenden Tänzer projiziert? So rätselte man. Tatsächlic­h handele es sich um eingeblend­ete Zeichnunge­n, versichert Meystre, der auch Film und Musik verantwort­et: keine digitalen Tricks, alles analoge Technik. Und entspreche­nd störanfäll­ig – wie zum Beweis verweigert­e der olle 16-Millimeter-Kinoprojek­tor anfangs den Dienst.

Zum Abschluss entwarfen Katharina Bihler ( Texte/Stimme), Lucyna Zwolinska ( Tanz/Video) und die beiden Kontrabass­isten Gabriele Basilico und Stefan Scheib mit „All the room is a stage“(inspiriert von einem Monolog Shakespear­es) eine Welt, in der Corona den eigenen Lebensraum stark limitiert.

Das wurde hier symbolisie­rt durch abgeklebte Bereiche in einem durch Licht und Video skizzierte­n Raum, innerhalb dessen determinie­rter Flächen sich die Protagonis­ten so eingeschrä­nkt und fremdgeste­uert bewegen wie die Figuren eines Brettspiel­s. Was macht das mit einem? Will man vielleicht irgendwann gar keinen Kontakt mehr zur Außenwelt? Nach zunächst eher schroffer Interaktio­n wagen zumindest die beiden improvisie­renden Musiker eine harmonisch­e Wiederannä­herung – das macht Hoffnung. www.freistil-festival-saar.de

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FOTO: KERSTIN KRÄMER Applaus für alle: Gabriele Basilico, Lucyna Zwolinska, Stefan Scheib und Katharina Bihler (von links) widmeten sich in „All the room is a stage“der künstleris­chen Welt mit Corona.

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