Ein Abend voll künstlerischer Vielfalt in der Völklinger Hütte
Zwischen Glas-Harfen- Gesängen und Strichmännchen-Tanz: Eindrücke vom neunten Abend des Freistil Festivals des Netzwerks freie Szene.
VÖLKLINGEN Behutsam kreisen die Finger von Claudia Kemmerer über den Rand von Weingläsern, deren Gesang mit ihrer eigenen Stimme verschmilzt – hinter Gerüsten aus Bambusholz, wo in schwarzen Kübeln Tomaten und andere Gemüse heranreifen: Das Duett aus Mezzosopran und Glasharfe versetzt das Gewächshaus der neuen „Plant Factory“im Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Schwingungen.
Mit einer in dieser Interpretation berückend ätherisch anmutenden, zierlichen Ballata des mittelalterlichen Komponisten Johannes Ciconia bog am Freitag das Freistil Festival des Netzwerks Freie Szene Saar ins letzte Viertel ein. Endspurt für eine bis dato einzigartige elftägige Leistungsschau, die eigentlich bereits im November hätte stattfinden sollen, Pandemie-bedingt jedoch verschieben werden musste.
Und weil Raumnot, namentlich im Zeichen von Corona, ein chronisches Problem der Off-Szene ist, stellte das
Weltkulturerbe als Kooperationspartner die geräumige Erzhalle und deren Umgebung als Spielort zur Verfügung. Bei insgesamt 20 Darbietungen mit über 50 Beteiligten konnten so jeweils 48 erlaubte Zuschauer längere Einzel-Aufführungen erleben oder Abende, bei denen Kurzformate verschiedenster Genres zu abwechslungsreichen Päckchen gebündelt wurden.
Abgerundet wurde das Programm durch drei Podiumsdiskussionen, bei denen die kulturellen Auswirkungen von Strukturwandel und Corona sowie Chancen, Defizite und Potenziale der großregionalen freien Szene hinterfragt wurden.
Der Gläserspiel-Auftakt bildete an diesem neunten Festivalabend, der mit längeren Pausen erneut reichlich Gelegenheit zum Austausch bot, das passende Intro zu Samuel Meystres Choreographie „Gortec“, die als Zwitter aus Tanz und Cartoon ebenfalls eine unwirklich flüchtige Symbiose skizzierte: einen surrealen Pas de Deux für einen Tänzer ( Tom Diener) und eine Comicfigur, die als staksiges Strichmännchen auf Leinwand daherkommt.
Wie wurde dieses bereits 2004 in Zürich uraufgeführte, ulkige Kurzstück realisiert? War hier ein zweiter Tänzer in ein Kostüm geschlüpft und gefilmt worden? Oder wurde die Figur mit Stift auf Papier gebannt und als Partner für den live agierenden Tänzer projiziert? So rätselte man. Tatsächlich handele es sich um eingeblendete Zeichnungen, versichert Meystre, der auch Film und Musik verantwortet: keine digitalen Tricks, alles analoge Technik. Und entsprechend störanfällig – wie zum Beweis verweigerte der olle 16-Millimeter-Kinoprojektor anfangs den Dienst.
Zum Abschluss entwarfen Katharina Bihler ( Texte/Stimme), Lucyna Zwolinska ( Tanz/Video) und die beiden Kontrabassisten Gabriele Basilico und Stefan Scheib mit „All the room is a stage“(inspiriert von einem Monolog Shakespeares) eine Welt, in der Corona den eigenen Lebensraum stark limitiert.
Das wurde hier symbolisiert durch abgeklebte Bereiche in einem durch Licht und Video skizzierten Raum, innerhalb dessen determinierter Flächen sich die Protagonisten so eingeschränkt und fremdgesteuert bewegen wie die Figuren eines Brettspiels. Was macht das mit einem? Will man vielleicht irgendwann gar keinen Kontakt mehr zur Außenwelt? Nach zunächst eher schroffer Interaktion wagen zumindest die beiden improvisierenden Musiker eine harmonische Wiederannäherung – das macht Hoffnung. www.freistil-festival-saar.de