Saarbruecker Zeitung

Der unendliche Kapitän jagt seinen Titel „Wenn man gewinnen will, braucht man jemanden, der die Drecksarbe­it macht.“

Giorgio Chiellini ist trotz seiner 36 Jahre nicht aus der italienisc­hen Abwehr wegzudenke­n. Heute Halbfinale gegen Spanien.

- VON MIRIAM SCHMIDT

Die Zeitung Tuttosport über Giorgio Chiellini

(dpa) Die Trainer wechselten, das Spielsyste­m veränderte sich, Teamkolleg­en kamen neu dazu – nur er ist immer noch da: Giorgio Chiellini, 36 Jahre alt, Kapitän, und aus der italienisc­hen Fußball-Nationalma­nnschaft nicht wegzudenke­n. So sehr Italien bei dieser EM mit mutigem Offensiv-Fußball begeistert, so sehr benötigt das Team auch die defensive Stabilität, die Chiellini mit seinem Nebenmann Leonardo Bonucci im Abwehrzent­rum garantiert. Auch im ersten Halbfinale an diesem Dienstag (21 Uhr/ARD und Magenta TV) im legendären Wembleysta­dion gegen Spanien. „Es war ein Generation­enwechsel“, sagt Nationaltr­ainer Roberto Mancini über die Veränderun­gen in der Mannschaft in den vergangene­n Jahren. „Aber die Defensive ist immer wichtig, es braucht eine gute Balance.“

Vor fast zwei Jahrzehnte­n, am 17. November 2004, gab Chiellini sein Debüt in der Squadra Azzurra. Seitdem war er oft nah dran am großen Ziel, vor allem das 0:4 gegen Spanien im EM-Finale 2012 blieb in schmerzhaf­ter Erinnerung und weckte den Wunsch nach Wiedergutm­achung auf der großen Bühne. „Es ist wohl mein letztes Turnier mit der Nationalma­nnschaft“, sagte Chiellini vor der EM über seine Zeit im Nationaltr­ikot. Krönen will der Profi von Juventus Turin diese Ära natürlich mit dem Titel. „Ein Traum, der noch gelebt werden muss“, schrieb Chiellini.

Gegen die mit zwölf Toren beste Offensive des Turniers wird wieder viel von Chiellini abhängen, der im Viertelfin­ale gegen Belgien mit seinem gewohnt kompromiss­losen Spiel Torjäger Romelu Lukaku ausschalte­te. Als „Naturgewal­t“lobte Trainer Walter Mazzarri den 1,87 Meter großen Linksfuß einst, „Tuttosport“urteilte: „Wenn man gewinnen will, braucht man jemanden, der die Drecksarbe­it macht.“

So robust und knallhart Chiellini seit Beginn seiner Profi-Karriere vor mehr als 20 Jahren verteidigt, so wenig ist über seine andere Seite neben dem Platz bekannt. Sein Privatlebe­n hält der Vater von zwei Töchtern weitgehend aus der Öffentlich­keit heraus, nur seinen Uni-Abschluss in Wirtschaft­swissensch­aften gab der Verteidige­r 2017 auf seinem Instagram-Account bekannt, wo er auch öffentlich Stellung gegen Rassismus bezieht. Im Team genießt er nicht nur als Sportler hohe Wertschätz­ung. „Er hat ein großes Charisma und großartige Erfahrung. Er gibt dir sofort Sicherheit“, sagte Leonardo Spinazzola.

In Bonucci hat Chiellini auf dem Platz den idealen Partner gefunden, mehr als 300 Spiele absolviert­en die „Senatoren“, wie sie in Italien genannt werden, gemeinsam für Juve und die Azzurri. „Bonucci und Chiellini sind derzeit die besten Innenverte­idiger der Welt“, lobte zuletzt 2014-Weltmeiste­r Bastian Schweinste­iger das Duo, das auch zur jüngsten Serie Italiens von 1169 Minuten ohne Gegentor beitrug.

Trotz seiner überzeugen­den Leistungen bei dieser EM ist Chiellinis Zukunft ungeklärt. Sein Vertrag bei Juve lief aus, eine Verlängeru­ng soll nur Formsache sein. Ob es in der Nationalel­f nach der EM weitergeht, ist ebenso offen. Mancini würde das Team gerne um den Routinier weiterentw­ickeln, heißt es. „Mit fast 37 Jahren ist er auch für die Zukunftspl­äne unabdingba­r“, schrieb der „Corriere dello Sport“: „Er ist der unendliche Kapitän.“

Nach dem bislang begeistern­den EM-Auftritt mit dem 2:1 in einem hochklassi­gen Viertelfin­ale gegen Belgien als Höhepunkt wollen Chiellini und Co. nun auch den nächsten

Schritt gehen. Das erste EM-Finale seit dem 0:4 gegen Spanien 2012 ist das Ziel. Ersetzen muss Trainer Mancini den nach einem Achillesse­hnenriss abgereiste­n Spinazzola, für ihn dürfte hinten links Emerson verteidige­n. Die Italiener sind seit 32 Spielen (27 Siege, davon 13 in Serie) ungeschlag­en. Mancini ist es nach der verpassten WM 2018 gelungen, das Team rundzuerne­uern – und das mit einer ungewohnt offensiven Spielweise bei stabiler Abwehr.

Allseits gelobt wird der Trainer für seine Fähigkeit, eine Einheit aus den Spielern zu formen. Nur der altbekannt­e Hang zur Schauspiel­erei und Zeitschind­erei ist auch unter Mancini geblieben.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Giorgio Chiellini, Kapitän der aktuell herausrage­nden Italiener, bildet in der Abwehr mit Leonardo Bonucci ein kaum zu überwinden­des Bollwerk.
FOTO: IMAGO IMAGES Giorgio Chiellini, Kapitän der aktuell herausrage­nden Italiener, bildet in der Abwehr mit Leonardo Bonucci ein kaum zu überwinden­des Bollwerk.

Newspapers in German

Newspapers from Germany