Saarbruecker Zeitung

Merkel sagt für Katastroph­enregion umfassende Hilfe zu

In vielen Orten der schwer getroffene­n Flut- und Hochwasser­gebiete ist die unmittelba­re Gefahr vorüber. Das Aufräumen allerdings fängt gerade erst richtig an. Kann es je wieder so werden wie vor der Katastroph­e?

- VON ANJA GARMS, ULRIKE HOFSÄHS UND JENS ALBES

SCHULD (epd/kna) Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am Sonntag das Unwetterge­biet im Nordwesten von Rheinland-Pfalz besucht. Sie zeigte sich tief betroffen von den „fast surrealen“Zerstörung­en in dem Ort Schuld. Schon am Mittwoch werde in Berlin ein Hilfsprogr­amm in dreistelli­ger Millionenh­öhe auf den Weg gebracht. Am Wochenende stieg die Zahl der Todesopfer nach dem Hochwasser in Westdeutsc­hland auf mindestens 156. Zahlreiche Menschen werden noch vermisst.

Auch Bayern wird inzwischen vom Hochwasser heimgesuch­t. Der Landkreis Berchtesga­dener Land rief den Katastroph­enfall aus. Flüsse traten über die Ufer, einige Straßen waren überschwem­mt, es kam zu Hangstürze­n. Mindestens zwei Menschen kamen ums Leben.

BERLIN (dpa) Schlamm, Schutt und Schmutz überall. Trümmer türmen sich teils meterhoch. Zwischen Autowracks und Möbelreste­n versuchen Anwohner, ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen. Mit dem Zurückweic­hen des Wassers wird in den vom Unwetter verwüstete­n Regionen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz das ganze Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Es wird Wochen, Monate dauern, bis allein die sichtbaren Folgen der Katastroph­e beseitigt sind.

Allein im Landkreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz haben mindestens 110 Menschen bei der Flutkatast­rophe ihr Leben verloren. Auch am Sonntag suchten Rettungskr­äfte in den teils völlig zerstörten Ortschafte­n nach Opfern – auch mit Hilfe von Luftbildau­fnahmen, die vom Hubschraub­er aus gemacht wurden. Es sei zu befürchten, dass die Zahl der Toten weiter steigt, berichtet die Polizei in Koblenz.

Auch das kleine Städtchen Bad Neuenahr-Ahrweiler gleicht einem Trümmerfel­d. Bagger heben Autos an, die sich in den Gassen verkeilt haben, vor den Häusern stapeln sich Tische, Stühle und anderer zerstörter Hausrat. Anwohner wie Thomas Bähr schaufeln Schlamm aus ihren Häusern. „Das haben wir gerade erst gekauft“, erzählt der Besitzer eines 300 Jahre alten Hauses.

Das Strom- und Telefonnet­z ist auch am Sonntag in vielen Orten noch ausgefalle­n. Frei liegende Stromleitu­ngen gefährdete­n die Menschen, warnt die Polizei. Viele Straßen seien nicht befahrbar.

Angesichts der gewaltigen Zerstörung­en und der vielen persönlich­en Schicksale weitet das Land Rheinland-Pfalz sein psychosozi­ales Hilfsangeb­ot aus. „Wir wollen die Menschen, die durch das katastroph­ale Unwetter den Verlust eines Menschen betrauern, selbst in existenzie­lle Not geraten sind oder durch die Naturgewal­ten ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben, nicht allein lassen“, erklären Sozialmini­ster Alexander Schweitzer (SPD), der Opferschut­zbeauftrag­te Detlef Placzek und Bildungsmi­nisterin Stefanie Hubig (SPD).

Inmitten der Tragödie scheint es schwer vorstellba­r, dass das Leben sich bald wieder normalisie­rt. „Unsere Dörfer werden nie wieder so sein, wie sie waren“, sagte etwa Pfarrer Michael Schaefer zu Beginn der Sonntagsme­sse im Eifel-Ort Adenau. Glückliche­rweise habe man dort keine Toten zu beklagen. Zur Pfarreieng­emeinschaf­t Adenauer Land gehört auch das teilweise zerstörte Dorf Schuld, in dem am Sonntagmit­tag Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) eintraf, um sich ein Bild von der Lage zu machen.

Auch in Nordrhein-Westfalen scheint eine Rückkehr zur Normalität in weiter Ferne zu liegen. Hier ist das große Aufräumen ebenfalls in vollem Gange. Auf der Bundesstra­ße 265 liegen am Samstag Autos wie riesiges Strandgut herum, zwischen und unter Lastwagen gedrückt. Die Bundeswehr hilft mit Panzern beim Aufräumen. In der 50 000-Einwohner Stadt Erftstadt seien 6000 Menschen unmittelba­r von der Katastroph­e betroffen, berichtet Bürgermeis­tern Carolin Weitzel (CDU) am Samstag. Die Infrastruk­tur der Stadt müsse wieder aufgebaut werden.

Im gesamten Land NRW starben nach Stand Sonntagmit­tag 46 Menschen bei der Flutkatast­rophe. Und noch immer suchen viele nach vermissten Angehörige­n. Besonders angespannt ist die Lage im Stadtteil Erftstadt-Blessem, wo Fachleute die Abbruchkan­ten eines Erdrutsche­s untersuche­n. Dort war infolge der Fluten ein riesiger Krater entstanden, mindestens drei Wohnhäuser und ein Teil der historisch­en Burg stürzten ein. Auch die von einem Bruch bedrohte Steinbacht­alsperre bereitet den Experten am Sonntag weiter Sorge.

Erst traf es den Westen Deutschlan­ds und dann plötzlich mit voller Wucht den Süden Bayerns: Ungläubig starrten die Menschen dort auf die Verwüstung­en, die die reißenden Fluten am Samstagabe­nd hinterließ­en. Mit Schaufeln räumten sie Schlamm und Geröll im Landkreis Berchtesga­dener Land beiseite. Sintflutar­tige Regenfälle hatten dort den Fluss Ache über die Ufer treten und Hänge abrutschen lassen. Häuser drohten einzustürz­en, Straßen wurden überflutet. Der Landkreis rief den Katastroph­enfall aus. Der örtliche Einsatzlei­ter Anton Brandner sprach am Sonntag von dramatisch­en Szenen: „Fahrzeuge auf den Straßen wurden zum Spielball der Wassermass­en.“

Mehr als 130 Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Zwei Menschen starben – einer davon an einer natürliche­n Ursache, die aber auch mit dem Hochwasser in Zusammenha­ng stehen könne, hieß es von den Behörden. Am Sonntagnac­hmittag machten sich Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU), Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) und andere Politiker ein Bild von der Situation in den Hochwasser­gebieten.

Riesengroß ist die Hilfsberei­tschaft im ganzen Land. Die Lager mit Lebensmitt­el- und Kleiderspe­nden seien gut gefüllt, berichten etwa die Kreise Euskirchen und RheinErft in Nordrhein-Westfalen. Sie haben Konten für Hochwasser-Hilfen eingericht­et und bitten um Geldspende­n. Denn Sachspende­n gebe es derzeit genug.

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FOTO: STACHE/AFP Kanzlerin Angela Merkel (Mitte) und Rheinland-Pfalz’ Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (7.v.r.) besuchen das vom Hochwasser verwüstete Schuld.
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FOTO: THOMAS FREY/DPA Im besonders von der Katastroph­e betroffene­n Ort Schuld im Ahrtal laufen am Sonntag die Aufräumung­sarbeiten auf Hochtouren.
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FOTO: THOMAS FREY/DPA Neben Baggern kommen sogar Panzer zum Einsatz.

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