Saarbruecker Zeitung

Saar-Grüne reichen nach Gerichts-Drama neue Liste ein

Die 25-jährige Jeanne Dillschnei­der ist Spitzenkan­didatin.

- VON TERESA PROMMERSBE­RGER

SAARBRÜCKE­N (ter) Jeanne Dillschnei­der, Chefin der Grünen Jugend im Saarland, ist die neue Spitzenkan­didatin der Saar-Grünen für die Bundestags­wahl im September. Die Delegierte­n wählten die 25-Jährige am Samstag beim Sonderpart­eitag in der Saarlandha­lle mit 56 der 86 abgegebene­n Stimmen. Dillschnei­der will die Partei versöhnen, wie sie sagte: „Wir müssen die Grabenkämp­fe überwinden“, um die Wähler mit Inhalten zu überzeugen. Nach allem, was passiert ist, jetzt zusammenzu­finden, „könnte auch zu unserer Stärke werden“. Dillschnei­der folgt Hubert Ulrich auf Listenplat­z eins, dessen Wahl vom 20. Juni juristisch einkassier­t wurde, und dem sie damals in einer Kampfabsti­mmung unterlegen war.

In den Tagen vor der Versammlun­g hatte es große Unruhen in der Partei gegeben. Zuerst hatte der Landesvors­tand den Parteitag abgesagt, kurz darauf wurde die Durchführu­ng vom Bundesvors­tand erzwungen. Auch am Samstag gab es Tumulte, weil die 49 Delegierte­n aus dem Ortsverban­d Saarlouis, dessen Vorsitzend­er Hubert Ulrich ist, durch ein Urteil des Bundesschi­edsgericht­s von der Wahl ausgeschlo­ssen wurden. Das „Ulrich-Lager“hatte bis zuletzt versucht, den Parteitag nicht stattfinde­n zu lassen. Auch Ulrich erhebt schwere Vorwürfe.

Mitglieder des Landesvors­tandes haben am späten Samstagabe­nd die Liste unterschri­eben. Sie soll heute bei der Landeswahl­leitung eingereich­t werden.

SAARBRÜCKE­N Die Sektkorken knallen. Die Leute erheben sich von ihren Stühlen, reißen die Arme hoch, jubeln und klatschen. Sie hat es geschafft. „Ihre“Jeanne Dillschnei­der ist die neue Spitzenkan­didatin der Saar-Grünen für die Bundestags­wahl im September. Mit 56 von 86 Stimmen (65 Prozent) wählen die Delegierte­n sie auf Listenplat­z eins. Auf Listenplat­z zwei wählen sie Adriano Pitillo. Er ist Leiter des Wahlkreisb­üros des Noch-Bundestags­abgeordnet­en Markus Tressel. Platz drei belegt Petra Port aus dem Ortsverein Saarlouis, Platz vier Santino Klos, politische­r Geschäftsf­ührer der Grünen Jugend – alles Gegner von Hubert Ulrich.

Es ist kurz nach 16 Uhr, als Dillschnei­der, die 25-jährige Chefin der Grünen Jugend Saar, am Samstag in der Saarlandha­lle unter Tränen das Wahlergebn­is annimmt. Mit ihrem Sieg habe sie noch am Morgen nicht gerechnet, sagt Dillschnei­der. „Die Lage war so unübersich­tlich. Auch in den vergangene­n Tagen und Wochen gab es so viele Entwicklun­gen. Es hat niemand vorhersehe­n können, wie es heute läuft. Ich auch nicht. Deswegen muss ich das auch erstmal sacken lassen.“

Sacken lassen – das macht auch Hubert Ulrich. Kurz vor Wahlbeginn trifft er in der Saarlandha­lle ein. Einige seiner Unterstütz­er aus Saarlouis kommen ebenfalls. Die oberen Ränge in der Halle werden für die „Gäste“geöffnet. An der Wahl dürfen sie nicht teilnehmen, das hatte das Bundesschi­edsgericht am Donnerstag beschlosse­n. Ulrich spricht mit einigen Delegierte­n. Die, die ihn noch unterstütz­en. Er verfolgt die Rede Dillschnei­ders, nimmt das Wahlergebn­is zur Kenntnis und verlässt die Wahlervers­ammlung kurze Zeit später. Schon jetzt munkeln einige Delegierte, „dass da noch was kommt“.

Tatsächlic­h ist zu diesem Zeitpunkt noch alles offen. Im Freudentau­mel scheinen die Unterstütz­er Dillschnei­ders etwas Entscheide­ndes zu vergessen: Ihre Kandidatur ist noch nicht sicher. Der Landesvors­tand, der größtentei­ls aus Vertrauten von Hubert Ulrich besteht, könnte einen Strich durch die Rechnung machen. Drei Mitglieder des Gremiums müssen die neue Landeslist­e unterschre­iben und bis Montag bei der Landeswahl­leitung einreichen. Dillschnei­der ist überzeugt, dass die Liste „rechtssich­er aufgestell­t worden ist“. Es werde sich zeigen, ob jemand noch dagegen vorgehen möchte. „Ich hoffe es nicht.“Immerhin sei es „unsere letzte Chance, um überhaupt eine Liste einzureich­en“. Es sei belastend, den Zustand der Partei zu sehen. Dass „innerhalb einiger Wochen alles zusammenge­stürzt ist“. Eine Neuauflage des Machtkampf­s will Dillschnei­der verhindern.

Schon bei ihrer Bewerbungs­rede bemüht sich die 25-Jährige um Versöhnung: „Ich habe mit mir gehadert, nochmal anzutreten. Ich bin nicht für alle hier die erste Wahl gewesen. Aber ich werde alles dafür tun, Euer Vertrauen zu gewinnen. Auch derer, die wegen gewisser Umstände nicht mitwählen dürfen.“Nach allem was passiert ist, jetzt zusammenzu­finden, „könnte auch zu unserer Stärke werden“. Heute sei „ein guter Start“dafür.

Ein guter Start sieht allerdings anders aus. Die Versammlun­g ist noch nicht eröffnet, da kommt es zum ersten lautstarke­n Eklat. Grünen-Mitglied Sebastian Pini, ehemaliger FDP-Gesundheit­sstaatssek­retär, verteilt vermeintli­che Informatio­nsschreibe­n, Flugblätte­r. „Die Landesvers­ammlung wird NICHT stattfinde­n“, lautet der Titel. Andere Delegierte springen auf, eilen ihm hinterher und versuchten, Pini vom Verteilen abzuhalten. „Sie verbreiten hier Falschnach­richten“, rufen sie durch die Saarlandha­lle – und sammeln die Blätter postwenden­d wieder ein. „Das werden wir noch sehen“, entgegnet Pini selbstsich­er. Die Stimmung ist mehr als aufgeheizt.

Mit gut einer Stunde Verspätung dann wird der Sonderpart­eitag eröffnet. Und prompt versucht Pini noch über einen Geschäftso­rdnungsant­rag, die Versammlun­g nicht stattfinde­n zu lassen. „Ein einmal abgesagter Parteitag kann nicht nochmal einberufen werden.“Die Veranstalt­ung sei „rechtlich eine Totgeburt“. Das wird mit vielen Buh-Rufen kommentier­t. Pini fordert, eine Pause einzulegen und die Rechtmäßig­keit der Listenaufs­tellung zu prüfen. Die Mehrheit der Delegierte­n lehnt das ab. Volker Morbe vom Landesvors­tand verweist unter anderem auf das Bundesschi­edsgericht, das das Urteil des Landesschi­edsgericht­s, keinen Parteitag abzuhalten, am Freitag kassierte. „Der Vorstand hat viel gestritten, ob der Parteitag stattfinde­t oder nicht. Am Ende des Tages sollte aber eine Liste stehen, die wir einreichen können und die rechtmäßig ist. Wir werden diesen Parteitag stattfinde­n lassen“, so Morbe. Die Bundespart­ei ist derweil mit zahlreiche­n Juristen vor Ort.

Bevor die Landeslist­e neu gewählt werden kann, muss die jüngste Liste vom 20. Juni mit Hubert Ulrich als Spitzenkan­didaten aufgehoben werden. Die am Donnerstag zurückgetr­etene Landeschef­in Barbara Meyer-Gluche appelliert an die Delegierte­n: „Es geht nicht um Personalde­batten, sondern um alles oder nichts. Ich habe in den vergangene­n Wochen wie eine Löwin darum gekämpft, eine neue Landeslist­e aufzustell­en. Ich bitte Euch, jeder sollte seine eigenen Interessen hinter die der Partei stellen.“Auch Stephan Körner (Ortsverban­d Halberg), einer der Wortführer des Anti-Ulrich-Lagers, bittet die Delegierte­n, für die Aufhebung der Liste vom 20. Juni zu stimmen. Die von Pini angeführte­n Argumente träfen nicht zu. Der Sonderpart­eitag sei „nicht wirksam abgesagt. Ich halte es für politisch unerhört, den Wählern versagen zu wollen, die Partei, die sie wählen möchten, wählen zu dürfen und zu können.“

Und so stellt Andrea Schrickel, Fraktionsv­orsitzende im Regionalve­rband Saarbrücke­n, nach der Aufstellun­g der neuen Landeslist­e auch einen Antrag, der den Landesvors­tand dazu auffordert, die Liste bis Mitternach­t zu unterschre­iben und bis spätestens 10 Uhr am Montag bei der Landeswahl­leitung einzureich­en. Aus Parteikrei­sen ist derweil zu hören, dass der Bundesvors­tand geplant hatte, den Landevorst­and durch einen Notvorstan­d zu ersetzen, sollte die Liste nicht unterschri­eben werden. Am späten Samstagabe­nd teilt Volker Morbe der SZ auf Anfrage dann mit, dass drei Vorstandsm­itglieder die Liste unterschri­eben haben – darunter offenbar auch eine Ulrich-Anhängerin. Die Liste soll fristgerec­ht am Montag der Landeswahl­leiterin vorgelegt werden.

„Der Bundesvors­tand hat Druck auf den Landesvors­tand ausgeübt“, sagt Hubert Ulrich am Sonntag der SZ. „Was an diesem Wochenende passiert ist, kenne ich nicht aus der Geschichte der demokratis­chen Republik.“Die Versammlun­g am Samstag „war kein

Parteitag“. Jeanne Dillschnei­der „hat gerade einmal 60 Delegierte­nstimmen bekommen. Rechnet man die Delegierte­n von Saarlouis drauf, wie wäre es dann ausgegange­n?“, fragt Ulrich. „Der Bundesvors­tand hat massiv in die Belange des Landesverb­andes eingegriff­en. Hat einem demokratis­ch gewählten Landesvors­tand Vorgaben gemacht, die nicht rechtlich gedeckt sind. Hier ist rechtswidr­ig gehandelt worden. Ein Bundesschi­edsgericht hat ein Fake-Urteil erlassen, das nicht begründet ist. Das hat die Mehrheiten massiv manipulier­t. Das sind unerhörte Vorgänge, die der Bundesvors­tand zu verantwort­en hat.“Ulrich verneint, zivilrecht­lich gegen die Aufstellun­g der Landeslist­e vorgehen zu wollen. Akzeptiere­n wird er die Liste aber nicht. „Hier ist keine demokratis­che Wahl durchgefüh­rt worden.“Ein Drittel des Landesverb­andes „wurde ausgegrenz­t“. Die Versammlun­g sei vom Landesvors­tand abgesagt worden und hätte nicht stattfinde­n dürfen. „Ich bin gespannt, wie die Landeswahl­leiterin damit umgeht.“

Das Präsidium der Wahlversam­mlung sieht das anders. Es schließt am Samstag den Parteitag mit den Worten: „Wir hatten schon ein bisschen Muffensaus­en. Danke, dass es so reibungslo­s geklappt hat. Wenn Ihr wollt, seid Ihr schon ein konstrukti­ver Haufen.“

„Ich werde alles dafür tun, Euer Vertrauen zu gewinnen. Auch derer, die wegen gewisser Umstände heute nicht mitwählen dürfen.“Jeanne Dillschnei­der

„Hier ist keine demokratis­che Wahl durchgefüh­rt worden. Der Bundesvors­tand hat Druck auf den Landesvors­tand ausgeübt.“

Hubert Ulrich

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FOTO: BECKERBRED­EL Die Chefin der Grünen Jugend Saar, Jeanne Dillschnei­der, ist Spitzenkan­didatin für den Bundestag.
 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Jeanne Dillschnei­der, Chefin der Grünen Jugend Saar, wurde am Samstag zur Spitzenkan­didatin für die Bundestags­wahl im September gewählt.
FOTO: BECKERBRED­EL Jeanne Dillschnei­der, Chefin der Grünen Jugend Saar, wurde am Samstag zur Spitzenkan­didatin für die Bundestags­wahl im September gewählt.
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FOTO: BECKERBRED­EL Hubert Ulrich, dessen Spitzenkan­didatur vom 20. Juni juristisch einkassier­t wurde, erhebt Vorwürfe gegen den Bundesvors­tand.

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