Altmaier schließt neuen Corona-Lockdown aus
Während Großbritannien öffnet, diskutiert Deutschland über die Folgen steigender Inzidenz. Derweil ist jeder zweite Saarländer voll geimpft.
BERLIN/SAARBRÜCKEN (afp) Trotz steigender Corona-Inzidenzzahlen schließt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) einen erneuten Lockdown in Deutschland aus. „Wir müssen und werden einen neuen Lockdown verhindern“, sagte Altmaier der Bild am Sonntag. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz bei den Neuinfektionen stieg weiter auf 10,0. Im Saarland liegt sie bei 7,3.
Altmaier sieht aktuell dennoch keinen Bedarf für weitere Maßnahmen: „Solange keine Überlastung des Gesundheitssystems droht, gibt es keinen Grund für neue Maßnahmen oder gar einen Lockdown.“Geimpfte oder Jüngere hätten bei einer Infektion meist gar keine Symptome, die Intensivbetten-Kapazität in
Deutschland sei weit von ihrer Auslastungsgrenze entfernt, sagte er.
Die SPD-Ministerpräsidentinnen Malu Dreyer aus Rheinland-Pfalz und Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern forderten in den Zeitungen der Funke Mediengruppe einen neuen Maßstab zur Beurteilung der pandemischen Lage. Sie verwiesen auf das in Mecklenburg-Vorpommern geltende Ampelmodell, das drei Dinge berücksichtige: die Inzidenz, die Zahl der Covid-Patienten im Krankenhaus und die Anzahl der Intensiv-Patienten. Dreyer sprach sich zudem dafür aus, bei der Ministerpräsidentenkonferenz im August über die Aufhebung sämtlicher Corona-Beschränkungen zu beraten.
Diesen Schritt geht England bereits an diesem Montag. Dort fallen dann fast alle Corona-Beschränkungen weg, darunter auch Maskenpflicht und Abstandsregeln.
Im Saarland hat derweil mehr als die Hälfte der Bevölkerung die Zweitimpfung bekommen. Am Samstag wurde die Marke von 50 Prozent überschritten. Sie lag laut Bundesgesundheitsministerium bei 50,1 Prozent. Nur Bremen war mit 50,6 Prozent noch besser.
GARCHING AN DER ALZ (dpa) Wenn Rosi Mittermeier an den ehemaligen Pfarrer ihrer Kirchengemeinde im oberbayerischen Garching an der Alz denkt, fallen ihr schöne Momente ein. „Er war ja ein gefeierter Star mit sehr viel Charme und einem großen Fankreis“, sagt sie. „Es gibt schöne Erinnerungen an große Feste und Veranstaltungen. Wir hatten eigentlich das, was man sich für eine lebendige Pfarrei wünschen würde“, erzählt sie. „Umso schlimmer, wenn dieses schöne Bild überschattet und zerstört wird von der Erkenntnis, dass das nur das eine Gesicht von ihm war. Bei dem anderen Gesicht tut sich ein Abgrund auf.“
Der katholische Priester, von dem Mittermeier spricht, hat Schlagzeilen gemacht. 2008 wurde er nach rund 20 Jahren aus der Gemeinde abberufen und erneut versetzt, dieses Mal nach Bad Tölz. Inzwischen ist er suspendiert und in sein Heimatbistum Essen zurückbeordert.
Erst zwei Jahre nach seinem Abschied aus Garching wurde bekannt: An früheren Wirkungsstätten – zuerst in Nordrhein-Westfalen, danach in Grafing nur knapp 60 Kilometer von Garching an der Alz entfernt – waren Vorwürfe laut geworden, er habe Kinder missbraucht. Für Taten in Grafing wurde er vom Amtsgericht Ebersberg rechtskräftig verurteilt. Die Kirche versetzte ihn daraufhin nach Garching, wo man von all dem nichts wusste.
Man wisse heute, „dass auch Missbrauch geschehen ist, dass der Pfarrer, der hier tätig war, ein Missbrauchstäter gewesen ist“, sagt der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, am Samstagabend nach einer Andacht mit Gemeindevertretern. „Das ist Verrat an der Botschaft Jesu, und es ist ein Versagen der Institution, für die ich um Entschuldigung bitte.“Sein Bistum hat nach Angaben eines Sprechers „derzeit Kenntnis von drei Betroffenen sexuellen Missbrauchs in Garching/Alz, bei denen es konkrete Hinweise auf Taten in den 80erund 90er-Jahren durch den in dieser Zeit in der Pfarrei eingesetzten Priester gibt“.
„Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich riesig, aber das kann keiner wissen“, sagt Mittermeier, die die Initiative „Sauerteig“mitgegründet hat, ein Zusammenschluss von Gemeindemitgliedern, die aufarbeiten wollen, was in ihrer Pfarrei passiert ist. „Leute, deren Kinder Ministranten waren, sind natürlich verunsichert. Man weiß ja, dass sich viele Missbrauchsopfer erst Jahre später dazu äußern können – wenn überhaupt.“Mit Marx’ Besuch in der Gemeinde verbindet sie die Hoffnung auf ehrliche Aufarbeitung und darauf, dass falsches Reagieren aufgedeckt werde. Marx selbst ist erst seit 2009 Erzbischof von München und Freising. Sein Vorgänger, der emeritierte Erzbischof Kardinal Friedrich Wetter hat im März 2010 um Entschuldigung gebeten. Aber auf Marx sind nun natürlich dennoch alle Augen gerichtet. Schließlich hat er sein – dann abgelehntes – Rücktrittsangebot an Papst Franziskus damit begründet, strukturelle Verantwortung für den seit Jahren andauernden Missbrauchsskandal übernehmen zu wollen.
Gerade erst wurde erneut Kritik an der Aufarbeitung innerhalb der katholischen Kirche laut, weil die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) am Freitag bekanntgab, dass erst ein Teil der Bistümer die vor mehr als einem Jahr vereinbarten unabhängigen Kommissionen zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch eingerichtet haben. Für diesen Herbst ist eine neue Missbrauchsstudie für das Bistum angekündigt, die den Fall
Garching aufarbeiten soll – ebenso wie andere Fälle. Auch solche aus Marx’ Zeit als Erzbischof. „Ich habe jetzt keinen konkreten Punkt, wo ich sage, da habe ich jetzt was vertuscht“, sagt der Kardinal. Aber: „Ich kann doch von mir nicht behaupten, ich hätte immer alles ganz genau gewusst.“Manchmal habe er womöglich nicht genau genug hingeschaut. „Hätte ich mich nicht anstrengen müssen, mehr zu wissen?“, fragt er. „Das empfinde ich als Schuld.“
Das Gutachten wird auch deshalb mit Spannung erwartet, weil Joseph Ratzinger, der spätere und inzwischen emeritierte Papst Benedikt XVI., von 1977 bis 1982 Erzbischof von München war. In diese Zeit fällt auch die erste Versetzung des späteren Garchinger Pfarrers von Nordrhein-Westfalen nach Bayern.