DGB-Boss warnt vor Verlust von Jobs
Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) über den Strukturwandel an der Saar, Tarifbindung und mehr Mitbestimmung.
Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, spricht im Interview mit der Saarbrücker Zeitung über den Strukturwandel. Was die Politik tun muss, um die Zukunft klima- und sozialverträglich zu gestalten.
SAARBRÜCKEN Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, wird im Interview mit der Saarbrücker Zeitung deutlich, wenn es um den Strukturwandel auch hier an der Saar geht. Hoffmann führt aus, was die Politik jetzt liefern muss, um die Zukunft klima- und sozialverträglich zu gestalten.
Herr Hoffmann, wie sind die Arbeitnehmer durch die Corona-Krise gekommen?
Insgesamt relativ gut. Aber wir haben gesehen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die eh schon in zum Teil prekären Arbeitsverhältnissen sind, am stärksten von der Pandemie betroffen waren. Dennoch ist Vieles gelungen. Es war ein Kraftakt, das Kurzarbeitergeld aufzustocken. Das ist ein Erfolg der Gewerkschaften. Aber die Hilfen haben den Arbeitsmarkt stabilisiert. Ohne das Kurzarbeitergeld wäre der Arbeitsmarkt weggerutscht.
Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf, um die Situation der prekär Beschäftigten für die Zukunft zu stabilisieren?
Elementar wird sein, dass auch diese Menschen unter den Schutz von Tarifverträgen fallen. Dadurch sind sie deutlich besser abgesichert, das hat auch die Pandemie gezeigt. Wir haben sieben Millionen Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten. Es ist richtig, den Mindestlohn auf zwölf Euro anzuheben. Besser wäre aber, die Tarifbindung deutlich zu erhöhen. Es kann nicht sein, dass wir mit Steuergeldern öffentliche Aufträge an Unternehmen vergeben, die meinen, sich nicht an Spielregeln halten zu müssen. Das Lohndumping, das viel zu viele Arbeitgeber praktizieren, ist auch ein erheblicher Wettbewerbsnachteil für diejenigen, die die Menschen ordentlich bezahlen. Außerdem zahlt der Steuerzahler nochmal, wenn die Menschen am Ende des Monats ihren Lohn mit Hartz IV oder Grundsicherung aufstocken müssen.
Es gibt immer noch viele Betriebe, die keine Gewerkschaftsvertretung haben oder Gewerkschaften regelrecht verhindern. Woran liegt das?
Das sind kapitalistische Vorstellungen von den „Herren im Hause“, dass Beschäftigte nichts zu sagen hätten. Deswegen werden Betriebsratswahlen behindert. Das ist jetzt zum Glück mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz in Angriff genommen worden: Bevor eine Wahl initiiert wird, greift der Kündigungsschutz. Das ist ein Anfang, auch wenn eigentlich ein Betriebsrätestärkungsgesetz geplant war. Das hatte der Union aber nicht gepasst. Aber die Änderung des Gesetzes geht in die richtige Richtung. Die Verhinderung von Betriebsräten muss aber endlich strafrechtlich geahndet werden.
Die Auto- und die Stahlindustrie sind die wichtigsten Stützen der Saar-Wirtschaft. Die EU-Kommission und der Bund setzen sich mit dem Ende des Verbrennungsmotors bis 2035 und der frühzeitigen Umstellung auf grünen Stahl ehrgeizige Ziele. Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Politik die Zerstörung der Industrie herbeiführt und den Bürgern Voraussetzungen vorgegaukelt, die noch gar nicht da sind…
Es reicht nicht, anspruchsvolle Ziele zu setzen, ohne gleichzeitig Konzepte zur Umsetzung auf den Tisch zu legen. Wir haben riesige Versäumnisse beim Ausbau erneuerbarer Energien. Der Stromverbrauch zur Herstellung von grünem
Stahl wird das 13-fache höher sein als der traditionelle Strombedarf. Wenn ein Bundeswirtschaftsminister bei der Frage nach Windkraftanlagen noch irrsinnige Abstandsgebote aufrechterhält, hat man Zielkonflikte. Die muss man offenlegen. Man muss ehrlich sein, dass wir das alles nicht zum Nulltarif erreichen. Und dann ist die entscheidende Frage, wie wir den sozialen Ausgleich schaffen. Wir fordern: Green Deal nur mit Social Deal und nur mit massiven Investitionen. Da drückt sich die Politik vorbei. Wenn sie jetzt vorgaukelt, die Arbeitgeber könnten steuerlich entlastet werden, halte ich das für die völlig falsche Botschaft.
Halten Sie die Ziele überhaupt für erreichbar?
Wir stellen die Ziele nicht infrage. Man muss jetzt aber Gas geben und wichtige Voraussetzungen schaffen, ansonsten wird man scheitern.
Welche Voraussetzungen?
Erstens, erneuerbare Energien müssen jetzt massiv ausgebaut werden. Zweitens, es darf keine Kleinstaaterei beim Auf- und Ausbau der Wasserstofftechnologie geben. Das ist ein gesamteuropäisches Projekt. Wenn immer mehr Regionen Wasserstoffzentren der Welt werden wollen, ist das Quatsch. So viel Wasserstoff werden sie gar nicht herstellen können. Weder hier an der Saar, noch im Ruhrgebiet, noch in Italien oder Frankreich. Es braucht dafür europäische Kooperationen, außerdem eine staatliche Flankierung. Die ist nach wie vor unzureichend. Drittens, wenn wir weiter massenhaft Stahl importieren aus Ländern, die jenseits unserer ökologischen Kriterien produzieren, haben wir überhaupt nichts gewonnen für das Klima, machen aber unsere Stahlindustrie tot.
Dennoch sehen Sie die Zukunft der Stahl- und Automobilindustrie nicht so pessimistisch, wie man meinen könnte?
Nein. Wir haben riesige Potenziale. Wir sind Technologieführer in vielen Bereichen. Man muss diese Potenziale jetzt nur nutzen. Ob über die Dekarbonisierung oder die Digitalisierung. Zwar gibt es immer das Risiko, dass es zu Verlusten von Arbeitsplätzen kommt. Das können wir bewältigen, wenn wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen, die Politik massiv investiert und wir ermöglichen, dass neue Produkte und damit neue Arbeitsplätze entstehen. Wer meint, den Strukturwandel mit der Schwarzen Null und der Schuldenbremse organisieren zu können, hat die Herausforderungen nicht verstanden. Immer mehr Ökonomen sagen das heute aus guten Gründen.
„Wir werden das alles nicht zum Nulltarif erreichen.“
Reiner Hoffmann DGB-Chef