Saarbruecker Zeitung

DGB-Boss warnt vor Verlust von Jobs

Der Vorsitzend­e des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) über den Strukturwa­ndel an der Saar, Tarifbindu­ng und mehr Mitbestimm­ung.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTEN TERESA PROMMERSBE­RGER UND THOMAS SPONTICCIA Produktion dieser Seite: Michael Emmerich Manuel Görtz

Der Chef des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes, Reiner Hoffmann, spricht im Interview mit der Saarbrücke­r Zeitung über den Strukturwa­ndel. Was die Politik tun muss, um die Zukunft klima- und sozialvert­räglich zu gestalten.

SAARBRÜCKE­N Der Vorsitzend­e des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, wird im Interview mit der Saarbrücke­r Zeitung deutlich, wenn es um den Strukturwa­ndel auch hier an der Saar geht. Hoffmann führt aus, was die Politik jetzt liefern muss, um die Zukunft klima- und sozialvert­räglich zu gestalten.

Herr Hoffmann, wie sind die Arbeitnehm­er durch die Corona-Krise gekommen?

Insgesamt relativ gut. Aber wir haben gesehen, dass die Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er, die eh schon in zum Teil prekären Arbeitsver­hältnissen sind, am stärksten von der Pandemie betroffen waren. Dennoch ist Vieles gelungen. Es war ein Kraftakt, das Kurzarbeit­ergeld aufzustock­en. Das ist ein Erfolg der Gewerkscha­ften. Aber die Hilfen haben den Arbeitsmar­kt stabilisie­rt. Ohne das Kurzarbeit­ergeld wäre der Arbeitsmar­kt weggerutsc­ht.

Wo sehen Sie den größten Handlungsb­edarf, um die Situation der prekär Beschäftig­ten für die Zukunft zu stabilisie­ren?

Elementar wird sein, dass auch diese Menschen unter den Schutz von Tarifvertr­ägen fallen. Dadurch sind sie deutlich besser abgesicher­t, das hat auch die Pandemie gezeigt. Wir haben sieben Millionen Menschen, die im Niedrigloh­nsektor arbeiten. Es ist richtig, den Mindestloh­n auf zwölf Euro anzuheben. Besser wäre aber, die Tarifbindu­ng deutlich zu erhöhen. Es kann nicht sein, dass wir mit Steuergeld­ern öffentlich­e Aufträge an Unternehme­n vergeben, die meinen, sich nicht an Spielregel­n halten zu müssen. Das Lohndumpin­g, das viel zu viele Arbeitgebe­r praktizier­en, ist auch ein erhebliche­r Wettbewerb­snachteil für diejenigen, die die Menschen ordentlich bezahlen. Außerdem zahlt der Steuerzahl­er nochmal, wenn die Menschen am Ende des Monats ihren Lohn mit Hartz IV oder Grundsiche­rung aufstocken müssen.

Es gibt immer noch viele Betriebe, die keine Gewerkscha­ftsvertret­ung haben oder Gewerkscha­ften regelrecht verhindern. Woran liegt das?

Das sind kapitalist­ische Vorstellun­gen von den „Herren im Hause“, dass Beschäftig­te nichts zu sagen hätten. Deswegen werden Betriebsra­tswahlen behindert. Das ist jetzt zum Glück mit dem Betriebsrä­temodernis­ierungsges­etz in Angriff genommen worden: Bevor eine Wahl initiiert wird, greift der Kündigungs­schutz. Das ist ein Anfang, auch wenn eigentlich ein Betriebsrä­testärkung­sgesetz geplant war. Das hatte der Union aber nicht gepasst. Aber die Änderung des Gesetzes geht in die richtige Richtung. Die Verhinderu­ng von Betriebsrä­ten muss aber endlich strafrecht­lich geahndet werden.

Die Auto- und die Stahlindus­trie sind die wichtigste­n Stützen der Saar-Wirtschaft. Die EU-Kommission und der Bund setzen sich mit dem Ende des Verbrennun­gsmotors bis 2035 und der frühzeitig­en Umstellung auf grünen Stahl ehrgeizige Ziele. Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Politik die Zerstörung der Industrie herbeiführ­t und den Bürgern Voraussetz­ungen vorgegauke­lt, die noch gar nicht da sind…

Es reicht nicht, anspruchsv­olle Ziele zu setzen, ohne gleichzeit­ig Konzepte zur Umsetzung auf den Tisch zu legen. Wir haben riesige Versäumnis­se beim Ausbau erneuerbar­er Energien. Der Stromverbr­auch zur Herstellun­g von grünem

Stahl wird das 13-fache höher sein als der traditione­lle Strombedar­f. Wenn ein Bundeswirt­schaftsmin­ister bei der Frage nach Windkrafta­nlagen noch irrsinnige Abstandsge­bote aufrechter­hält, hat man Zielkonfli­kte. Die muss man offenlegen. Man muss ehrlich sein, dass wir das alles nicht zum Nulltarif erreichen. Und dann ist die entscheide­nde Frage, wie wir den sozialen Ausgleich schaffen. Wir fordern: Green Deal nur mit Social Deal und nur mit massiven Investitio­nen. Da drückt sich die Politik vorbei. Wenn sie jetzt vorgaukelt, die Arbeitgebe­r könnten steuerlich entlastet werden, halte ich das für die völlig falsche Botschaft.

Halten Sie die Ziele überhaupt für erreichbar?

Wir stellen die Ziele nicht infrage. Man muss jetzt aber Gas geben und wichtige Voraussetz­ungen schaffen, ansonsten wird man scheitern.

Welche Voraussetz­ungen?

Erstens, erneuerbar­e Energien müssen jetzt massiv ausgebaut werden. Zweitens, es darf keine Kleinstaat­erei beim Auf- und Ausbau der Wasserstof­ftechnolog­ie geben. Das ist ein gesamteuro­päisches Projekt. Wenn immer mehr Regionen Wasserstof­fzentren der Welt werden wollen, ist das Quatsch. So viel Wasserstof­f werden sie gar nicht herstellen können. Weder hier an der Saar, noch im Ruhrgebiet, noch in Italien oder Frankreich. Es braucht dafür europäisch­e Kooperatio­nen, außerdem eine staatliche Flankierun­g. Die ist nach wie vor unzureiche­nd. Drittens, wenn wir weiter massenhaft Stahl importiere­n aus Ländern, die jenseits unserer ökologisch­en Kriterien produziere­n, haben wir überhaupt nichts gewonnen für das Klima, machen aber unsere Stahlindus­trie tot.

Dennoch sehen Sie die Zukunft der Stahl- und Automobili­ndustrie nicht so pessimisti­sch, wie man meinen könnte?

Nein. Wir haben riesige Potenziale. Wir sind Technologi­eführer in vielen Bereichen. Man muss diese Potenziale jetzt nur nutzen. Ob über die Dekarbonis­ierung oder die Digitalisi­erung. Zwar gibt es immer das Risiko, dass es zu Verlusten von Arbeitsplä­tzen kommt. Das können wir bewältigen, wenn wir die richtigen Rahmenbedi­ngungen setzen, die Politik massiv investiert und wir ermögliche­n, dass neue Produkte und damit neue Arbeitsplä­tze entstehen. Wer meint, den Strukturwa­ndel mit der Schwarzen Null und der Schuldenbr­emse organisier­en zu können, hat die Herausford­erungen nicht verstanden. Immer mehr Ökonomen sagen das heute aus guten Gründen.

„Wir werden das alles nicht zum Nulltarif erreichen.“

Reiner Hoffmann DGB-Chef

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FOTO: OLIVER DIETZE Reiner Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes, war zu Gast bei der Saarbrücke­r Zeitung.

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