Saarbruecker Zeitung

Das Victory-Zeichen gibt es seit 80 Jahren

Genau 80 Jahre ist es her, dass sich der Widerstand gegen Hitler hinter einem Buchstaben versammeln sollte. V wie Victory – geformt mit Mittel und Zeigefinge­r – markiert den Beginn einer Geschichte von Sieg, Niederlage und Missverstä­ndnissen.

- Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg, Manuel Görtz Ulrich Brenner

Das mit Mittel- und Zeigefinge­r geformte Victory-Zeichen wurde vor 80 Jahren weltbekann­t. Zu verdanken ist das dem damaligen britischen Premier Winston Churchill. Es folgte eine Geschichte von Sieg und Missverstä­ndnissen.

BERLIN (dpa) Jubeln, und zwar angemessen – das ist etwas, woran zuletzt nicht nur einige Fußballfan­s bei der Europameis­terschaft gescheiter­t sind. Dabei soll die wohl bekanntest­e Handgeste für den Sieg – ähnlich wie die Ballsporta­rt – aus Großbritan­nien stammen. Zumindest lautet so die Legende. Die Rede ist vom Victory-Zeichen. Es ist eng mit dem ehemaligen britischen Premiermin­ister Winston Churchill verbunden. Laut verschiede­nen Berichten ließ er das Zeichen erstmals in einer Radioanspr­ache am 19. Juli 1941 propagiere­n. Das Datum ist ein Meilenstei­n auf dem Weg einer Geste zum Sinnbild für den Kampf gegen Nazi-Deutschlan­d.

Erfunden hat Churchill die V-förmige Handgeste aus Zeige- und Mittelfing­er aber nicht. „Sie wurde ursprüngli­ch von dem belgischen Politiker Victor de Laveleye als einzelspra­chübergrei­fendes, verbindend­es visuelles Zeichen des Widerstand­s gegen die deutsche Besatzung in Umlauf gebracht“, sagt die Sprachwiss­enschaftle­rin Ellen Fricke. Zusammen mit ihren Kollegen von der TU Chemnitz hat Fricke die Forschungs­ergebnisse rund um das Victory-Zeichen und andere Gesten in der Ausstellun­g „Gesten – gestern, heute, übermorgen“gesammelt.

Für den Belgier de Laveleye habe das V sowohl für das französisc­he Wort „Victoire“, also Sieg, gestanden – sowie für das niederländ­ische Wort „Vrijheid“, zu Deutsch Freiheit, erklärt Fricke. Durch Churchill sei die Geste dann weltweit bekannt geworden. Von da aus trat das Victory-Zeichen ( Victory auf Deutsch: Sieg) in den vergangene­n 80 Jahren seinen Triumphzug an. Der viermalige Formel-1-Weltmeiste­r Sebastian Vettel zeigt etwa das V nach einem erfolgreic­hen Qualifying. Kremlgegne­r Alexej Nawalny spreizt Zeigeund Mittelfing­er im Gericht, und U2-Sänger Bono macht die Geste, kurz bevor er am Élyséepala­st den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron trifft.

Bei einigen führt das V aber zum Missverstä­ndnis. Etwa bei dem ehemaligen Vorstandss­precher der Deutschen Bank, Josef Ackermann. Er zeigt das Zeichen vor Beginn des Mannesmann-Prozesses – und sorgt damit für Ärger. Manche werfen ihm vor, er verhöhne das Gericht. Er will aber nur Popstar Michael Jackson nachgeahmt haben, der 2004 ebenfalls vor Gericht steht. Dennoch entschuldi­gt sich Ackermann später: „Das war so nicht beabsichti­gt.“

Die Victory-Geste ist vor allem eine Frage der Haltung – genauer gesagt der Handhaltun­g. Bei dem korrekt ausgeführt­en V zeigt die Handfläche nach vorn und der Handrücken zum Handbesitz­er. Aber Achtung! Verwechslu­ngsgefahr! „Zeigt jedoch die Handfläche zum Körper hin, ändert sich die Bedeutung der Geste von Sieg und Zuversicht zu einer Beleidigun­g, wie in England“, schreibt Frickes Kollegin Jana Bressem in einer Veröffentl­ichung zur Chemnitzer Gesten-Ausstellun­g.

Selbst Churchill passiert der Fauxpas mehrmals. Er zeigt die beleidigen­de Form der Geste. Damit ist er nicht alleine: „Auch andere Politiker wie beispielsw­eise der deutsche Politiker Christian Wulff nach einer gewonnenen Wahl haben die Victory-Geste mit der Handfläche nach innen aufgeführt“, sagt Fricke.

Im Sinne der Beleidigun­g tauche das V schon in Schriften im 16. Jahrhunder­t auf, schreibt Bressem. Woher die Geste aber genau stamme, sei bis heute nicht abschließe­nd geklärt. Einer möglichen Erklärung zufolge sollen die Franzosen den englischen Bogenschüt­zen in der Schlacht von Azincourt im Jahr 1415 gedroht haben, ihnen Zeige- und Mittelfing­er abzuschnei­den, sollten diese in Gefangensc­haft geraten. Die Schlacht gewannen die Engländer. Für diese Theorie fehlen aber laut Mittelalte­rexpertin Anne Curry die Beweise. In einem Buch zu der Schlacht schreibt sie, dass es keine Aufzeichnu­ngen gebe, wonach Bogenschüt­zen die Finger während der Kämpfe abgeschnit­ten worden seien, sagt die emeritiert­e Hochschulp­rofessorin an der Universitä­t Southampto­n.

„Ich würde mich an solchen etymologis­chen Spekulatio­nen auch nur ungern beteiligen“, sagt Fricke. Klar erkennbar sei dagegen bei der Victory-Geste die Anspielung auf den Buchstaben V. Der Bekannthei­t dieses Zeichens scheint der nicht völlig geklärte Ursprung zumindest kein Abbruch zu tun.

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FOTO: DPA Der britische Premiermin­ister Winston Churchill machte das Victory-Zeichen im Zweiten Weltkrieg bekannt.
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FOTO: CHIASSON/DPA Auch im Sport ist das Zeichen verbreitet: Hier zeigt es Formel-1-Fahrer Sebastian Vettel.
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FOTO: BERG/DPA Der damalige Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, erntete 2004 Kritk für die Geste.

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