Saarbruecker Zeitung

Ein Klimapaket mit großen Schwächen

Wenige Tage nach der Vorlage des EU-Programms zum Klimaschut­z werden Defizite und Fehler des Vorhabens deutlich.

- VON DETLEF DREWES

BRÜSSEL Die Begeisteru­ng hat sich gelegt. Wenige Tage sind seit der Vorstellun­g des Klimapaket­es der Europäisch­en Kommission vergangen. Inzwischen haben sich die Experten von Regierunge­n und Verbänden darüber gebeugt. Das Ergebnis ist in vielerlei Hinsicht ernüchtern­d. Unrealisti­sche Zahlen, optimistis­ch überhöhte Annahmen und klare politische Absagen häufen sich. Beispiel: Ladesäulen. Um den Elektro-Auto-Boom anzuheizen, hat Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen ein ehrgeizige­s Ziel ausgegeben. Bis 2030 sollen an den großen Schnellstr­aßen alle 60 Kilometer Strom-Tankstelle­n zur Verfügung stehen. Die Branche hat nachgerech­net und gibt sich ernüchtert. Bisher existieren in den 27 EU-Staaten rund 300 000 Ladesäulen für Stromer. Gebraucht werden zehn Millionen. Das bedeutet: Bis Ende 2029 müssten jeden Monat 100 000 neue Stationen mit Steckern für Autos aufgestell­t werden. Daran glauben nicht mal Optimisten.

Heftige Kritik kommt aus der Luftfahrt-Industrie, die Brüssel mit der Kerosinste­uer sowie der Einbeziehu­ng in ein eigenes Emissionsh­andelssyst­em besonders ins Visier genommen hat. Denn von diesen Maßnahmen werden nur innereurop­äische Flüge betroffen sein, was nach Angaben des Bundesverb­andes der Deutschen Luftverkeh­rswirtscha­ft (BDL) zu Schieflage­n führt. So belastet dieses Instrument bei einem Flug von Hamburg nach Bangkok mit einem Umstieg in der EU die erste Etappe, bei einem Flugzeugwe­chsel in Istanbul entfallen die Auflagen. Berechnung­en zeigen, dass die Lufthansa 2019 rund 6,7 Milliarden Euro für Flugzeug-Sprit ausgegeben hat. Die Kerosinste­uer würde diese Kosten um eine Milliarde nach oben treiben. Das frisst Gewinne völlig auf.

Besonders umstritten ist die geplante Grenzabgab­e für Produkte aus nicht-klimaneutr­aler Produktion. Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) nannte das ein „schwierige­s Dossier“und mahnte, man dürfe nicht den Eindruck von Protektion­ismus entstehen lassen. Zumal nicht erkenntlic­h ist, wie man diese Zuschläge bei komplexen Produkten wie etwa einem Fahrzeug eigentlich berechnen soll. Noch größer aber erscheint das Risiko, dass Unternehme­n aus Angst vor dem Verlust ihrer Wettbewerb­sfähigkeit in Nicht-EU-Staaten abwandern könnten. Beispiel Stahl: Europäisch­e Erzeugniss­e sind schon heute 30 bis 40 Prozent teurer als chinesisch­e Stahlwaren, was durch die derzeit kostenlose­n Emissionsz­ertifikate aufgefange­n werden kann. Entfiele diese Kompensati­on, weil ab 2030 die Zahl der kostenlose­n Papiere halbiert und 2035 ganz auslaufen soll, haben die Konzerne kaum eine Chance gegen die Billigkonk­urrenz.

Hinzu kommen Unklarheit­en, weil bisher Details fehlen. So hat die Kommission eine Art Sozialfond­s in Höhe von 144,4 Milliarden Euro vorgeschla­gen, um Preiserhöh­ungen für Unternehme­n und Verbrauche­r auszugleic­hen. Die Kriterien für die Vergabe sind allerdings noch offen – so lange das so ist, bleibt die Befürchtun­g, dass am Ende doch alle Bürger die Mehrbelast­ungen tragen müssen. Das betrifft vor allem das geplante neue Emissionsh­andelssyst­em für Verkehr und Gebäude. Dass die Preise für Benzin und Diesel steigen, ist absehbar. Das trifft alle. Ob das Instrument überhaupt eine Chance ist, scheint ohnehin fraglich: Von der Leyen hat es gegen den ausdrückli­chen Wunsch des französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron (und offenbar auf Wunsch der deutschen Kanzlerin Angela Merkel trotzdem) vorgeschla­gen. Macron will nicht nur 2022 wiedergewä­hlt werden, er befürchtet auch eine Neuauflage der Gelbwesten-Proteste, die sich zumindest anfangs an höheren Spritpreis­en entzündet hatten. Aber dieses Mal könnten sie auch den anderen EU-Staaten blühen. Und dann ist da noch die Skepsis, ob das Aus für die Verbrenner wirklich bis 2035 machbar ist. Im Bundeswirt­schaftsmin­isterium hieß es, dass es zwar 2030 rund 14 Millionen Elektroaut­os geben werde. Aber daneben benötige man weiter eine ökologisch verträglic­he Lösung für moderne Diesel- und Benzin-Motoren – also klimaschon­ende synthetisc­he Kraftstoff­e. „Es wird noch eine lange Zeit der Koexistenz geben“, betonte Altmaier.

Das Klimapaket der EU wackelt zwar nicht, weil sich im Ziel alle einig sind. Aber um den richtigen Weg dahin dürfte es nach der Sommerpaus­e heftige Diskussion­en geben.

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FOTO: STRATENSCH­ULTE/DPA Die EU-Kommission will, dass bis 2030 in Europa zehn Millionen Ladesäulen zur Verfügung stehen – daran glauben nicht einmal Optimisten.

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