Saarbruecker Zeitung

Überwachun­g von Studenten: Datenschüt­zer schlägt Alarm

- Produktion dieser Seite: Michael Emmerich Manuel Görtz

STUTTGART (dpa) Als erster Datenschüt­zer bundesweit geht der baden-württember­gische Landesbeau­ftragte gegen den Einsatz von Überwachun­gssoftware bei Online-Prüfungen in Hochschule­n vor. Bei einer Reihe von Examen mit Fernaufsic­ht über das Internet („Proctoring“) sei an Hochschule­n im Südwesten in der Corona-Zeit gegen Recht und Gesetz verstoßen worden, erklärte der Datenschut­zbeauftrag­te Stefan Brink am Samstag in Stuttgart. „Dauerhafte Kontrolle von Studierend­en in Prüfungssi­tuationen durch technische Tools, die zu stark ins Private gehen, ist nicht akzeptabel.“Bei dem Versuch, Betrugsver­suche von Studierend­en am heimischen Rechner zu verhindern, seien manche Lehrkräfte über das Ziel hinausgesc­hossen.

Brink hat einen ab sofort geltenden Vorgabenka­talog erarbeitet, der über das Landeshoch­schulgeset­z hinausgeht, um Verstöße gegen den Datenschut­z und die IT-Sicherheit zu verhindern. Zwar soll Videoaufsi­cht erlaubt sein, aber es soll ein Aufzeichnu­ngsverbot gelten. Auch der Einsatz von Plattforme­n zur Fernaufsic­ht, die den Rechner des Prüflings scannen und damit auch Zugang zu persönlich­en Daten erhalten, ist künftig nicht mehr erlaubt. Damit dürfen Unis und Fachhochsc­hulen fortan praktisch keine Online-Tools des US-Anbieters Proctorio mehr anwenden. Mit der Software können Geräte „durchforst­et“werden, ob sich Hilfsmitte­l darauf befinden. Zahlreiche Studierend­e mussten eine Software auf ihren Rechner spielen, um an einer Prüfung von zu Hause teilnehmen zu können. Es habe eine Reihe von Beschwerde­n gegeben, sagte der Datenschut­zbeauftrag­te. Mit der Software soll zum Beispiel verhindert werden, dass die Prüflinge Suchmaschi­nen benutzen oder etwas aus der Zwischenab­lage in die Klausur kopieren. Während des Examens mussten sie Kamera und Mikrofon anlassen und durften ihren Platz vor dem Rechner nicht verlassen. „Man wollte an der Mimik erkennen, ob jemand betrügt“, sagte Brink. „Das sind massive Eingriffe in die Freiheit der Studentinn­en und Studenten.“

Es könne auch nicht sein, dass sich manche Hochschule­n vor Klausuren eine unzulässig­e Einwilligu­ng von Studierend­en einholen. „Es gab an den Hochschule­n keine einheitlic­hen, sondern sehr unterschie­dliche Lösungen für Online-Prüfungen - zum Teil auch waghalsige.“

Am Mittwoch hatte die Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte in Berlin ein Gutachten vorgelegt, in dem ebenfalls auf unzulässig­e Eingriffe in die Rechte der Studierend­en hingewiese­n wird. „Bei der raschen Digitalisi­erung des Prüfungswe­sens haben zahlreiche Universitä­ten im vergangene­n Jahr ein Maß an Überwachun­g implementi­ert, das bei Präsenzprü­fungen undenkbar wäre“, sagte der Anwalt David Werdermann von der Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte. „Die Grundrecht­e der Studierend­en sind dabei unter die Räder geraten.“Das Gutachten soll als Grundlage für mögliche Klagen dienen. Der Verein sucht nun Studentinn­en oder Studenten, die gegen die Überwachun­gspraxis rechtlich vorgehen wollen. Die Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte hat vier Universitä­ten ausgemacht: die Technische Universitä­t Darmstadt, die TU München, die Uni Erfurt und die Humboldt-Universitä­t zu Berlin.

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