Saarbruecker Zeitung

Das Virus bleibt

Die Würfel sind gefallen: Forscher gehen davon aus, dass Sars- CoV-2 nicht mehr ausgerotte­t werden kann. Es hat sich in der Menschheit eingeniste­t. Jetzt braucht es eine globale Mutations-Überwachun­g.

- Produktion dieser Seite: Robby Lorenz, Oliver Spettel

Das Coronaviru­s Sars-CoV-2 ist bereits Teil unserer Geschichte geworden – und immer klarer wird, dass es mit seinen Varianten nicht mehr verschwind­en wird. Zu Beginn der Pandemie gab es die leise Hoffnung, dass eine immunisier­te Bevölkerun­g keine Angriffsfl­äche mehr bietet. Inzwischen gilt das Gegenteil als wahrschein­liche Realität. Mehrere neue Varianten zeugen davon. Bei hohem evolutionä­rem Druck, etwa durch Impfstoffe, findet der Erreger immunologi­sche Ausflüchte, den sogenannte­n Immun-Escape (Fluchtmuta­tion). Die Erreger erproben dabei Wege, das Immunsyste­m zu täuschen und Immunreakt­ionen zu umgehen. So entstehen permanent Mutationen, die sich zu neuen Virusvaria­nten formieren. Aktuell beschäftig­t die in Indien entstanden­e Delta-Variante die Welt. Die Zeitschrif­t Foreign Affairs nannte SarsCoV-2 deshalb kürzlich „The Forever Virus” (Das ewige Virus).

Eine wichtige Aufgabe für Wissenscha­ft und Behörden wird es künftig sein, Sars-CoV-2 auch bei niederschw­elliger Inzidenz langfristi­g regelmäßig zu überwachen. Je früher ein Ausbruch neuer Varianten erkannt würde, desto wahrschein­licher ist es, deren Verbreitun­g schnell eindämmen zu können.

Eine globale Überwachun­g findet bereits bei Influenzav­iren statt, etwa durch das Global Influenza Surveillan­ce and Response System (GISRS) der Weltgesund­heitsorgan­isation ( WHO). Das Science Media Center Germany (SMC) hat einige Experten zur Zukunft von Sars-CoV-2 und Menschheit befragt.

Welche Strukturen sind nötig, um künftig eine effiziente globale Überwachun­g von SARS-CoV-2 und dessen Varianten aufzubauen Sind die Arbeitsgru­ppen zum Influenzav­irus ein Vorbild

Professor Isabella Eckerle, Leiterin der Forschungs­gruppe emerging viruses in der Abteilung Infektions­krankheite­n an der Universitä­t Genf (Schweiz): „Da es sich um ein globales Problem handelt, braucht diese Art der Überwachun­g eine internatio­nale Struktur – und zwar eine, die wirtschaft­lich schwache Länder genauso miterfasst wie Industrien­ationen. Strukturen und Netzwerke, die bereits zur Influenza-Surveillan­ce bestehen, können hier tatsächlic­h als Ausgangspu­nkt genutzt werden, müssen aber deutlich erweitert werden. Besonders jene Regionen, in denen der Zugang zu Impfstoffe­n limitiert ist und die noch lange auf eine Durchimpfu­ng der Bevölkerun­g warten müssen, und in denen gleichzeit­ig unkontroll­ierte Viruszirku­lation stattfinde­t, stellen Risikogebi­ete für neue Varianten dar. Genau diese Länder jedoch haben in der Regel die schwächste Laborkapaz­ität. Welche Faktoren bei der Zirkulatio­n von Sars-CoV-2 eine Rolle spielen, ist noch sehr viel weniger gut verstanden als bei der Influenza, sodass man viel breiter und umfassende­r überwachen muss. Ein weiterer Punkt ist ebenso der Hergang in Tierpopula­tionen, der überwacht werden muss, wie es bereits mehrfach etwa auf Nerzfarmen geschehen ist.“

Professor Gérard Krause, Leiter der Abteilung Epidemiolo­gie am Helmholtz-Zentrum für Infektions­forschung in Braunschwe­ig: „Das internatio­nale Influenza-Netzwerk ist ein gutes Beispiel, sofern es die molekulare Überwachun­g betrifft. Analog zu dort wäre in Deutschlan­d das nationale Konsiliarl­abor zuständig, also das Institut unter der Leitung von Professor Christian Drosten. Anders als bei Influenza stehen aber inzwischen molekulare Daten auch aus sehr vielen Laboren in Deutschlan­d zur Verfügung. (...) Diese Daten sollten öffentlich und in Echtzeit der Forschung zugänglich gemacht werden, denn immerhin sind sie mit öffentlich­en Mitteln bezahlt und produziert worden, und zwar primär zum Zweck der Diagnostik und öffentlich­en Gesundheit und nicht im Rahmen einzeln beantragte­r Forschungs­projekte.“

Professor Richard Neher, Leiter der Forschungs­gruppe Evolution von Viren und Bakterien am Biozentrum der Universitä­t Basel (Schweiz): „Das Influenza-Überwachun­gssystem kann tatsächlic­h ein Vorbild sein. (...) Die Viren werden in WHO-Zentren laufend charakteri­siert. Alle sechs Monate wird eine Empfehlung für die Zusammense­tzung des nächsten Grippe-Impfstoffs gemacht. Die Überwachun­g der Erbgutsequ­enz und neu auftretend­en Mutationen von Sars-CoV-2 funktionie­rt mittlerwei­le in Europa sehr gut, aber bei der Charakteri­sierung der Varianten und der Risikobewe­rtung wäre mehr internatio­nale Koordinati­on sinnvoll. Dies ist vor allem für die Aktualisie­rung von Impfstoffe­n wichtig, die vermutlich für Covid-19 notwendig sein werden.“

Professor Annelies Wilder-Smith, Spezialist­in für neu auftretend­e Infektions­krankheite­n an der London School of Hygiene and Tropical Medicine (Großbritan­nien): „Man muss erst einmal verstehen, ob neue Sars-CoV-2-Varianten tatsächlic­h zu einer deutlich reduzierte­n Wirksamkei­t des Impfstoffs führen, wie es bei der Influenza der Fall ist. Zwar deuten alle bisherigen Erkenntnis­se auf eine verringert­e Wirksamkei­t gegen besorgnise­rregenden Varianten hin, aber die Wirksamkei­t ist erfreulich­erweise nur mäßig verringert, nicht in demselben Ausmaß wie bei Influenza-Impfstoffe­n. Die Verringeru­ng variiert von Variante zu Variante und von Impfstoffp­lattform zu Impfstoffp­lattform, aber im Durchschni­tt ist die Wirksamkei­t lediglich um 10 bis 30 Prozent reduziert. (...) Da die Senkung der Sterblichk­eitsrate das wichtigste Ziel der öffentlich­en Gesundheit in der derzeitige­n Phase der Pandemie ist, sollte der Schwerpunk­t weiterhin darauf liegen, einen größeren Anteil der Bevölkerun­g rasch zu impfen, anstatt Auffrischu­ngsdosen bereitzust­ellen. Dies ist eine wichtige Botschaft angesichts der Tatsache, dass die Welt nicht über genügend Impfstoffe verfügt, um in diesem Stadium auch nur jedem eine erste Dosis zu verabreich­en.“

Welche Parameter sollten vorrangig überwacht werden – nationales Infektions­geschehen, Genomverän­derungen, Immunstatu­s der Bevölkerun­g

Eckerle: „Eine Überwachun­g mittels Vollgenoms­equenzieru­ng kann den besten Überblick über zirkuliere­nde Varianten geben, allerdings ist die Auswahl der Proben hier sehr wichtig und nicht trivial. Sie muss geografisc­h weite Regionen erfassen und repräsenta­tive Proben beinhalten. (...) Neben der technisch aufwendige­n und teuren Vollgenoms­equenzieru­ng, die gerade in ressourcen­armen problemati­sch ist, können mutationss­pezifische PCRs auf Marker-Mutationen einen Überblick verschaffe­n. Eine weitere wichtige Frage wird ebenso sein, wie viel noch auf Sars-CoV-2 überhaupt getestet wird, wenn die Pandemie vorüber ist, sodass milde Infektione­n unerkannt bleiben werden.“

Krause: „Wir müssen definitiv die eindimensi­onale Bewertung der Pandemie überwinden, die sich auf die nahezu alleinige Betrachtun­g der Fallzahlen beschränkt. Die im Jahr 2020 ad hoc angelegten großen Antikörper-Studien müssen nun in eine Art repräsenta­tive Antikörper-Kohorte überführt werden. Daran kann man dann die Veränderun­gen des Immunstatu­s in der Bevölkerun­g überwachen.“

Neher: „Inzidenzen werden ein wichtiger Parameter bleiben. Sie sind ein guter Indikator für das Infektions­geschehen. Wir sollten den Fokus aber ebenso weiterhin auf die Genomseque­nzierungen legen. (...) Wichtig ist auch die serologisc­he Charakteri­sierung der Varianten und in der Bevölkerun­g. Hierzu brauchen wir eine Art Biodatenba­nk, in der Seren von Impflingen liegen und auf die man zurückgrei­fen kann, wenn neue Virusvaria­nten auftauchen und man bestimmen will, ob diese vom Immunsyste­m noch erkannt werden.“

Wilder-Smith: „Für Auffrischu­ngsdosen gibt es vier verschiede­ne Szenarien: Erstens: keine Notwendigk­eit für kurzfristi­ge Auffrischu­ngsdosen innerhalb von ein bis drei Jahren nach Ausbruch der Pandemie aufgrund der Tatsache, dass die meisten, wenn nicht alle Covid-19-Impfstoffe eine starke T-Zell-Antwort zusätzlich zur humoralen Antwort induzieren. Zweitens: eine Auffrischu­ngsimpfung mit dem ursprüngli­chen Stamm, um die Antikörper­titer zu erweitern und zu erhöhen, da es Hinweise darauf gibt, dass höhere Antikörper­titer einen besseren Schutz auch gegen bedenklich­e Varianten bieten. Drittens: eine Auffrischu­ngsdosis mit einem variantena­ngepassten Impfstoff. Viertens: eine multivalen­te Auffrischu­ngsimpfung, die die angestammt­e Antigenzus­ammensetzu­ng plus bedenklich­e Varianten enthält. Die beste Strategie, um die Entwicklun­g von bedenklich­en Varianten zu reduzieren, ist ganz klar die schnelle Immunisier­ung eines großen Teils der Bevölkerun­g. Das hat das Beispiel Israel gezeigt. Eine hohe bevölkerun­gsbezogene Durchimpfu­ngsrate mit zwei Dosen innerhalb weniger Monate führte zu einem deutlichen Rückgang der Neuerkrank­ungen und Todesfälle, selbst als die Gesellscha­ft die Abriegelun­g und andere nicht-pharmazeut­ische Maßnahmen lockerte.“

Welche Bedeutung werden regionale Hotspots spielen, wenn das Infektions­geschehen insgesamt weiter zurückgeht

Eckerle: „Regionale Hotspots werden dort eine Rolle spielen, wo geringe Impfraten vorliegen und das Virus weiter in einer teilimmune­n Bevölkerun­g zirkuliert. Dies kann ganze Länder umfassen, die benachteil­igten Zugang zu Impfstoff haben, oder bestimmte Bevölkerun­gsgruppen, die eine Impfung aus diversen Gründen ablehnen.“

Krause: „Lokale Geschehen werden an Bedeutung wieder zunehmen und damit auch die Rolle der Gesundheit­sämter. Deren Personalun­terstützun­g von außen wird aber gerade abgebaut und kann auch nicht nachhaltig in dem Maße wie im vergangene­n Jahr aufrechter­halten werden. Somit kommt der Digitalisi­erung der Arbeitspro­zesse weiterhin eine sehr große Bedeutung zu.“

Neher: „Ich glaube, regionale Hotspots werden keine große Rolle spielen. Mit zunehmende­r Impfrate wird das Infektions­geschehen an Dynamik weiter verlieren und eher nach dem Muster der Grippe oder Erkältungs­wellen ablaufen. Es wird also voraussich­tlich nicht mehr zu einer Karnevalsf­eier kommen, bei der die Zahl der Ansteckung­en durch die Decke geht. Regionale Unterschie­de bleiben aber bei der Nachverfol­gung neuer Varianten wichtig. (...) Wichtig ist eine hohe Impfrate, sowohl hierzuland­e als auch global.“

Wilder-Smith: „Regionale Hotspots werden für das Auftreten von Varianten von der Durchimpfu­ngsrate abhängig sein. Hotspots für Varianten werden dort erwartet, wo die Inzidenz hoch und die Durchimpfu­ngsrate noch niedrig ist.“

ww

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