Camilo oder: Der Blick über den Tellerrand
Was passiert, wenn ein junger HbK-Masterstudent und Filmemacher eine nicht mehr ganz junge Sprachaktivistin und Feministin – Marlies Krämer – porträtiert? Das Publikum ist hingerissen. Wie denkt und arbeitet Camilo Berstecher Barrero?
SAARBRÜCKEN Obwohl es sein erster langer Dokumentarfilm war, hatte „Die Kundin“des jungen saarländischen Filmemachers Camilo Berstecher Barrero beim diesjährigen Münchner Dokumentarfilmfestival DOK.fest in München durchschlagenden Erfolg: Beim kinokino-Publikumspreis erreichte „Die Kundin“den fünften Platz. Und das, obwohl Berstecher Barreros Film mit jenen von zahlreichen erfahrenen und längst etablierten Dokumentarfilmern konkurrierte. „Es hätte nicht besser laufen können“, bemerkt Barrero selbst. In „Die Kundin“zeichnet Berstecher Barrero ein sanftes, ehrliches und bisweilen urkomisches Porträt der Saarbrücker Feministin Marlies Krämer, rückt den Fokus weg von ihren Handlungen hin zum Menschen dahinter.
„Die Kundin“war nicht nur Berstecher Barreros erster langer Dokumentarfilm, sondern zugleich auch das Abschlussprojekt für seinen Master in Media & Art Design an der Hochschule der bildenden Künste Saar (HbK). Bis Februar nächsten Jahres wird er der HbK noch als Meisterschüler erhalten bleiben. Unterdessen tüftelt er schon mit dem Künstlerkollektiv Spielwerk, dessen Mitbegründer er ist, an einem neuen Projekt: 30 Krankenschwestern werden sie demnächst begleiten, die ihr Leben in ihrer Heimat Mexiko hinter sich lassen, um am Klinikum Saarbrücken zu arbeiten.
Auch die Ankunft einiger Zapatistas, einer mexikanischen Befreiungsbewegung, die sich seit Anfang Mai auf einer Reise per Segelschiff nach Europa befinden, um hier einen Kongress mit anderen Gruppierungen zu organisieren, aber auch um ein symbolisches Gegenbild zur europäischen „Eroberung“Lateinamerikas zu produzieren, will Berstecher Barrero filmisch behandeln. Noch ein Jahr an der HbK zu bleiben, das bedeutet für Berstecher Barrero auch, sich noch ein Jahr in, wie er sagt, „Künstlerschutz“zu befinden.
Sowohl dieses Bewusstsein, dass auch in der Kunst nicht alles erlaubt ist, als auch die Tatsache, dass es besondere Themen wie Rassismus, Feminismus, Welthandel, Gewalt und Politik sind, die ihn interessieren, hängen eng mit Berstecher Barreros eigener Geschichte zusammen.
Camilo Berstecher Barrero ist gebürtiger Kolumbianer. Neben seinem Studium der Germanistik war er dort auch in der politischen Arbeit aktiv. Nicht nur mit der Universitätsreform sah die studentische Protestbewegung sich konfrontiert, sondern auch mit der dahinter stehenden ultrarechten Uribe-Regierung, die bisweilen eng mit den rechten Paramilitärs und den Narcos kooperierte. Nicht nur Gewalterfahrungen waren für die studentischen Protestler an der Tagesordnung. „Laut dem aktuellen Sondergericht für den Frieden, sind zwischen 2002 und 2008 mehr als 6400 Zivilisten von der kolumbianischen Armee und Polizei ermordet und als Kombattanten gemeldet worden“, weiß Berstecher Barrero zu berichten.
Ohne Zukunftsvision und mit fortschreitend schwindender Kraft für politisches Engagement entschied er sich bereits 2009, mit gerade einmal Anfang 20, nach Deutschland zu gehen. Zunächst als Au-pair. Bleiben durfte er dann schließlich nur, weil er sich an der Universität des Saarlandes einschrieb. Denn Menschen wie er gelten in Europa nicht als politische Flüchtlinge – obwohl sie in Berstecher Barreros Augen genau das sind. Mit einem Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung, deren Arbeitskreis Lateinamerika Berstecher Barrero leitete, studierte er im Bachelor schließlich Kulturwissenschaften. Er sei „froh gewesen, wissenschaftlich recherchieren“zu können, sagt er, und bisweilen überrascht, wie viele Themen, die ihn schon in seiner Heimat beschäftigten, ihm auch hier, „so weit weg“, immer wieder begegneten.
So verweist er darauf, dass die Kohle, die in saarländischen Kraftwerken verbrannt wird, von dort stamme, wo er herkommt: Aus der Karibik. Auch das kritisiert Berstecher Barrero scharf. Die Kohle aus Kolumbien sei billig, zum Beispiel weil man Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen dort ermorde, dazu wisse man, dass das Thema Kohle vorbei sei und mache trotzdem weiter. Der Wunsch, die theoretischen Erkenntnisse seines kulturwissenschaftlichen Studiums in Kunst zu verwandeln, bewog Camilo Berstecher Barrero schließlich dazu, zum Master-Studium an die HbK zu wechseln. Erfahrung im
Film hatte er indes gemeinsam mit seinen Studienkollegen schon in Kolumbien gesammelt: „Filmen war ein Schutz gegen die Gewaltpolizei, es war ein Festhalten von Stimmungen und Gefühlen, Beweise sammeln, die Möglichkeit Meinung zu äußern und Realität zu hinterfragen“, sagt er.
Seine Themen begegnen ihm meist in den Medien, im Fernsehen, den Zeitungen. Auf Marlies Krämer ist er etwa dank ihres TV-Streitgespräches mit dem Rapper Bushido aufmerksam geworden. Aber auch in seinem Alltag als Saarländer, als welcher Barrero Berstecher sich spätestens seit seiner Einbürgerung fühlt – „von Bogotá nach Kleinblittersdorf“lacht er – fällt ihm einiges auf. Allem voran: Die Perspektivlosigkeit für junge Menschen im Saarland. So soll es in den Lehrveranstaltungen, die er als Meisterschüler an der HbK halten wird, darum gehen, sich „überparteilich und gemeinsam eine bessere Zukunft vorzustellen“, sagt Barrero Berstecher. Er suche die nächsten Minister und Ministerinnen, Richter und Richterinnen und Gestalte und Gestalterinnen für eine Stadt, die in eine vielfältige Zukunft blicke. „Wir gründen eine neue Partei!“.
Auch an die UdS kehrt er im nächsten Semester zurück. Allerdings als Dozent unter anderem zum Thema (lateinamerikanischer) Dokumentarfilm. Irgendwann, sagt Camilo Berstecher Barrero, will er auch seine eigene Geschichte verfilmen. „Deutsch zu werden und zu versuchen, mich zu integrieren ist und war nicht leicht“, sagt er. Bis dahin werden diese wachen, visionären Augen noch genug Themen in unserer (noch) nicht ganz so wunderbaren Welt ausmachen.
„Filmen war ein Schutz gegen die Gewaltpolizei, es war ein Festhalten von Stimmungen und Gefühlen, Beweise sammeln, die Möglichkeit Meinung zu äußern und Realität zu hinterfragen.“
Camilo Berstecher Barrero