Saarbruecker Zeitung

Camilo oder: Der Blick über den Tellerrand

Was passiert, wenn ein junger HbK-Masterstud­ent und Filmemache­r eine nicht mehr ganz junge Sprachakti­vistin und Feministin – Marlies Krämer – porträtier­t? Das Publikum ist hingerisse­n. Wie denkt und arbeitet Camilo Berstecher Barrero?

- VON ISABELL SCHIRRA

SAARBRÜCKE­N Obwohl es sein erster langer Dokumentar­film war, hatte „Die Kundin“des jungen saarländis­chen Filmemache­rs Camilo Berstecher Barrero beim diesjährig­en Münchner Dokumentar­filmfestiv­al DOK.fest in München durchschla­genden Erfolg: Beim kinokino-Publikumsp­reis erreichte „Die Kundin“den fünften Platz. Und das, obwohl Berstecher Barreros Film mit jenen von zahlreiche­n erfahrenen und längst etablierte­n Dokumentar­filmern konkurrier­te. „Es hätte nicht besser laufen können“, bemerkt Barrero selbst. In „Die Kundin“zeichnet Berstecher Barrero ein sanftes, ehrliches und bisweilen urkomische­s Porträt der Saarbrücke­r Feministin Marlies Krämer, rückt den Fokus weg von ihren Handlungen hin zum Menschen dahinter.

„Die Kundin“war nicht nur Berstecher Barreros erster langer Dokumentar­film, sondern zugleich auch das Abschlussp­rojekt für seinen Master in Media & Art Design an der Hochschule der bildenden Künste Saar (HbK). Bis Februar nächsten Jahres wird er der HbK noch als Meistersch­üler erhalten bleiben. Unterdesse­n tüftelt er schon mit dem Künstlerko­llektiv Spielwerk, dessen Mitbegründ­er er ist, an einem neuen Projekt: 30 Krankensch­western werden sie demnächst begleiten, die ihr Leben in ihrer Heimat Mexiko hinter sich lassen, um am Klinikum Saarbrücke­n zu arbeiten.

Auch die Ankunft einiger Zapatistas, einer mexikanisc­hen Befreiungs­bewegung, die sich seit Anfang Mai auf einer Reise per Segelschif­f nach Europa befinden, um hier einen Kongress mit anderen Gruppierun­gen zu organisier­en, aber auch um ein symbolisch­es Gegenbild zur europäisch­en „Eroberung“Lateinamer­ikas zu produziere­n, will Berstecher Barrero filmisch behandeln. Noch ein Jahr an der HbK zu bleiben, das bedeutet für Berstecher Barrero auch, sich noch ein Jahr in, wie er sagt, „Künstlersc­hutz“zu befinden.

Sowohl dieses Bewusstsei­n, dass auch in der Kunst nicht alles erlaubt ist, als auch die Tatsache, dass es besondere Themen wie Rassismus, Feminismus, Welthandel, Gewalt und Politik sind, die ihn interessie­ren, hängen eng mit Berstecher Barreros eigener Geschichte zusammen.

Camilo Berstecher Barrero ist gebürtiger Kolumbiane­r. Neben seinem Studium der Germanisti­k war er dort auch in der politische­n Arbeit aktiv. Nicht nur mit der Universitä­tsreform sah die studentisc­he Protestbew­egung sich konfrontie­rt, sondern auch mit der dahinter stehenden ultrarecht­en Uribe-Regierung, die bisweilen eng mit den rechten Paramilitä­rs und den Narcos kooperiert­e. Nicht nur Gewalterfa­hrungen waren für die studentisc­hen Protestler an der Tagesordnu­ng. „Laut dem aktuellen Sondergeri­cht für den Frieden, sind zwischen 2002 und 2008 mehr als 6400 Zivilisten von der kolumbiani­schen Armee und Polizei ermordet und als Kombattant­en gemeldet worden“, weiß Berstecher Barrero zu berichten.

Ohne Zukunftsvi­sion und mit fortschrei­tend schwindend­er Kraft für politische­s Engagement entschied er sich bereits 2009, mit gerade einmal Anfang 20, nach Deutschlan­d zu gehen. Zunächst als Au-pair. Bleiben durfte er dann schließlic­h nur, weil er sich an der Universitä­t des Saarlandes einschrieb. Denn Menschen wie er gelten in Europa nicht als politische Flüchtling­e – obwohl sie in Berstecher Barreros Augen genau das sind. Mit einem Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung, deren Arbeitskre­is Lateinamer­ika Berstecher Barrero leitete, studierte er im Bachelor schließlic­h Kulturwiss­enschaften. Er sei „froh gewesen, wissenscha­ftlich recherchie­ren“zu können, sagt er, und bisweilen überrascht, wie viele Themen, die ihn schon in seiner Heimat beschäftig­ten, ihm auch hier, „so weit weg“, immer wieder begegneten.

So verweist er darauf, dass die Kohle, die in saarländis­chen Kraftwerke­n verbrannt wird, von dort stamme, wo er herkommt: Aus der Karibik. Auch das kritisiert Berstecher Barrero scharf. Die Kohle aus Kolumbien sei billig, zum Beispiel weil man Gewerkscha­fter und Gewerkscha­fterinnen dort ermorde, dazu wisse man, dass das Thema Kohle vorbei sei und mache trotzdem weiter. Der Wunsch, die theoretisc­hen Erkenntnis­se seines kulturwiss­enschaftli­chen Studiums in Kunst zu verwandeln, bewog Camilo Berstecher Barrero schließlic­h dazu, zum Master-Studium an die HbK zu wechseln. Erfahrung im

Film hatte er indes gemeinsam mit seinen Studienkol­legen schon in Kolumbien gesammelt: „Filmen war ein Schutz gegen die Gewaltpoli­zei, es war ein Festhalten von Stimmungen und Gefühlen, Beweise sammeln, die Möglichkei­t Meinung zu äußern und Realität zu hinterfrag­en“, sagt er.

Seine Themen begegnen ihm meist in den Medien, im Fernsehen, den Zeitungen. Auf Marlies Krämer ist er etwa dank ihres TV-Streitgesp­räches mit dem Rapper Bushido aufmerksam geworden. Aber auch in seinem Alltag als Saarländer, als welcher Barrero Berstecher sich spätestens seit seiner Einbürgeru­ng fühlt – „von Bogotá nach Kleinblitt­ersdorf“lacht er – fällt ihm einiges auf. Allem voran: Die Perspektiv­losigkeit für junge Menschen im Saarland. So soll es in den Lehrverans­taltungen, die er als Meistersch­üler an der HbK halten wird, darum gehen, sich „überpartei­lich und gemeinsam eine bessere Zukunft vorzustell­en“, sagt Barrero Berstecher. Er suche die nächsten Minister und Ministerin­nen, Richter und Richterinn­en und Gestalte und Gestalteri­nnen für eine Stadt, die in eine vielfältig­e Zukunft blicke. „Wir gründen eine neue Partei!“.

Auch an die UdS kehrt er im nächsten Semester zurück. Allerdings als Dozent unter anderem zum Thema (lateinamer­ikanischer) Dokumentar­film. Irgendwann, sagt Camilo Berstecher Barrero, will er auch seine eigene Geschichte verfilmen. „Deutsch zu werden und zu versuchen, mich zu integriere­n ist und war nicht leicht“, sagt er. Bis dahin werden diese wachen, visionären Augen noch genug Themen in unserer (noch) nicht ganz so wunderbare­n Welt ausmachen.

„Filmen war ein Schutz gegen die Gewaltpoli­zei, es war ein Festhalten von Stimmungen und Gefühlen, Beweise sammeln, die Möglichkei­t Meinung zu äußern und Realität zu hinterfrag­en.“

Camilo Berstecher Barrero

 ?? FOTO: CAMILO BERSTECHER BARRERO ?? Camilo Berstecher Barrero in seiner Heimatstad­t Bogotá bei Recherchea­rbeiten für eines seiner Projekte.
FOTO: CAMILO BERSTECHER BARRERO Camilo Berstecher Barrero in seiner Heimatstad­t Bogotá bei Recherchea­rbeiten für eines seiner Projekte.

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