Der Klimawandel wird immer spürbarer
Jahrzehntelang warnten Forscher vor der Erderwärmung, fast folgenlos. Mit dem schnell voranschreitenden Klimawandel ändert sich das. Klimaschutz ist nun weltweit Thema. Ein neuer Bericht gibt Antworten, ob es zu spät ist.
BERLIN Svenja Schulze (SPD) ist nicht bekannt für besonders markige Sprüche oder verbales Poltern. Doch das, was die Bundesumweltministerin an diesem Montag bei der Vorstellung des neuen Sachstandsberichts des Weltklimarates sagt, ist an Deutlichkeit kaum zu überbieten: „Der Planet schwebt in Lebensgefahr und mit ihm seine Bewohnerinnen und Bewohner.“Also wir alle. Weltweit.
Auch der Bericht spart nicht mit deutlichen Worten: „Es ist zweifelsfrei, dass der menschliche Einfluss die Atmosphäre, den Ozean und das Land aufgeheizt hat“, heißt es in dem Bericht. „Menschlicher Einfluss hat das Klima so aufgeheizt, wie es seit mindestens 2000 Jahren nicht mehr vorgekommen ist. 2019 war die CO2-Konzentration in der Atmosphäre höher als zu jedem anderen Zeitpunkt seit mindestens zwei Millionen Jahren“, so das Papier, für das 14 000 wissenschaftliche Studien der vergangenen Jahre ausgewertet und zusammengefasst wurden. Er gilt als wichtige Grundlage für Entscheidungen über internationalen Klimaschutz. Doch was ist neu? Und viel wichtiger: Kann die Menschheit den Klimawandel noch so bremsen, dass es für ein erträgliches Leben auf der Erde reicht?
Neue Erkenntnisse: Zunächst liefert der Bericht klarer als je zuvor Belege dafür, dass der Klimawandel menschengemacht ist. „Der vom Menschen verursachte Klimawandel wirkt sich bereits auf viele Wetterund Klimaextreme in allen Regionen der Welt aus“, heißt es im Bericht. „Seit dem Fünften Sachstandsbericht gibt es stärkere Belege für Veränderungen von Extremen wie Hitzewellen, Starkniederschlägen, Dürren und tropischen Wirbelstürmen sowie insbesondere für deren Zuordnung zum Einfluss des Menschen.“Bereits in den 2030er-Jahren werde die Marke von 1,5 Grad Erwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter überschritten, so der Bericht weiter. In früheren Papieren des Weltklimarats war von einem rund zehn Jahre längeren Zeitraum ausgegangen worden. Prognosen dazu, wann sogenannte Kipppunkte im Klimawandel erreicht werden, zu denen etwa das Abschmelzen der Eismassen in Grönland gehört, sind im Bericht jedoch noch vage gehalten. Für exakte Aussagen gebe es noch nicht ausreichend Erkenntnisse, hieß es.
Bedeutung für Deutschland: Die Klimaveränderungen verursachen schon heute eine Häufung extremer Wetterphänomene. „Dazu gehören die Zunahme der Häufigkeit und Intensität von Hitzeextremen, marinen Hitzewellen und Starkniederschlägen, landwirtschaftlichen und ökologischen Dürren in einigen Regionen, das Ausmaß tropischer Wirbelstürme sowie Rückgänge des arktischen Meereises, von Schneebedeckung und Permafrost“, heißt es im Bericht. Für Deutschland bedeutet das nach Ansicht der Forscher vor allem eine Häufung von Starkniederschlägen, Dürren und Hitzewellen. Wie oft und wie regelmäßig diese auftreten werden, ist derzeit nur schlecht vorauszusehen. Dass sie aber zunehmen werden, wird von der Wissenschaft nicht mehr angezweifelt.
Mögliche Auswege: Der Weltklimarat sagt klar: Die Treibhausgasemissionen, wozu der CO2-Ausstoß gehört, müssen so schnell wie möglich so drastisch wie möglich gesenkt werden – weltweit. Um die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu halten, müsste die Menschheit nach Aussage von Ministerin Schulze spätestens 2050 klimaneutral leben. Sie darf also nicht mehr Emissionen verursachen, als absorbiert werden können. Doch in der Wissenschaft ist umstritten, ob das sehr ehrgeizige Ziel von 1,5 Grad überhaupt noch zu schaffen ist. Und klar ist auch: Der Meeresspiegel wird selbst im günstigsten Szenario bis 2100 um 28 bis 55 Zentimeter im Vergleich zu den Jahren 1995 bis 2014 steigen. Aber auch ein Anstieg um zwei Meter bis 2100 und von mehreren Metern im kommenden Jahrhundert ist – abhängig vom Umfang der Eisschmelze – nicht ausgeschlossen. Derzeit, so der Bericht, wären bei einem weiterhin stark ansteigenden CO2-Ausstoß aber auch bis zu 5,7 Grad Erderwärmung innerhalb der nächsten 80 Jahre möglich. Im November beraten die Staaten bei der nächsten Klimakonferenz über das weitere Vorgehen und nationale Beiträge zum Klimaschutz.
Was die Parteien im Wahlkampf vorschlagen: Nahezu alle im Bundestag vertretenen Parteien haben im Wahlkampf Ideen vorgelegt, wie sie den Klimaschutz vorantreiben wollen. Die Union will Deutschland bis 2045 klimaneutral machen. Konkrete Vorschläge sind rar, CDU und CSU wollen aber den Emissionshandel ausweiten und den CO2-Preis steigen lassen. Die SPD nimmt ebenfalls 2045 für Klimaneutralität in den Blick und will Belastungen bei der CO2-Bepreisung sozial abfedern. Ein Datum für das Ende der Verbrennungsmotoren nennen die Sozialdemokraten nicht, Bahn und Radverkehr wollen sie stärken. Die Grünen wollen bis 2030 eine CO2-Emissionsminderung um 70 Prozent, Union und SPD um 65 Prozent. Bis 2023 soll der CO2-Preis auf 60 Euro steigen, fünf Euro mehr, als bislang bis 2025 vorgesehen ist. Auch die Grünen formulieren Entlastungen etwa bei der EEG-Umlage und erklären ab 2030 ein Aus für neue Verbrennerfahrzeuge. Die FDP setzt auf Technologie im Klimaschutz und einen stark ausgeweiteten Emissionshandel, zudem bekennen die Liberalen sich zum 1,5-Grad-Ziel. Die Linke will bis 2035 vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt haben, den Kohleausstieg von bislang 2038 auf 2030 vorziehen. Die AfD hingegen will weiterhin Kohle- und Atommeiler betreiben und zweifelt den menschengemachten Klimawandel an. Dieser solle positiv gesehen werden; Menschen, Tiere und Pflanzen müssten sich dem anpassen.