Saarbruecker Zeitung

„Ich will kein Versuchska­ninchen sein“

In Afrika ist die Impfskepsi­s groß. Rund 20 Prozent der Menschen wollen die Spritze verweigern. Das könnte schwerwieg­ende Folgen für den Rest der Welt haben.

- VON KRISTIN PALITZA UND DIDO KAYEMBE

KAPSTADT (dpa) Die 40-jährige Cherry Muhima Noira ist sich sicher. Gegen das Coronaviru­s wird sie sich nicht impfen lassen. „Die Pharmakonz­erne sind für ihre leeren Verspreche­n bekannt. Selbst Geimpfte können Corona bekommen. Was nützt das also?“, sagt die Künstlerin, die in der östlichen Stadt Goma der Demokratis­chen Republik Kongo lebt.

So wie Noira denken viele der knapp 90 Millionen Kongolesen. „Die Bereitscha­ft, sich impfen zu lassen, ist gering“, sagt Dr. Jean-Jacques Muyembe-Tamfum, der Generaldir­ektor des Nationalen Instituts für Biomedizin­ische Forschung (INRB). Es kursierten zahlreiche Gerüchte über die Impfstoffe: Sie führten zum Tod, sie verursacht­en genetische Veränderun­gen, die Risiken seien größer als der Gesundheit­snutzen, so Muyembe-Tamfum.

Auch in Deutschlan­d hat der Andrang bei Impfstatio­nen nachgelass­en, doch insgesamt ist die Impfbereit­schaft groß und es gibt Initiative­n, um Impfmuffel zum Umdenken zu bewegen. Bereits im Mai gaben drei Viertel der Befragten einer ARD-Deutschlan­dtrend-Umfrage an, zu einer Impfung gegen COVID-19 „auf jeden Fall bereit“oder „bereits geimpft“zu sein. Doch der Erfolg eines einzelnen Landes zählt in einer Pandemie nur teilweise. Man müsse weltweit eine ausreichen­de Durchimpfu­ng erreichen, um den Ausbruch zu beenden, sagen Gesundheit­sexperten.

In Afrika, einem Kontinent mit rund 1,3 Milliarden Menschen und rasantem Bevölkerun­gswachstum, sind dagegen viele strikt gegen das Impfen und die Impfquote bleibt niedrig. Bei einer Umfrage der Gesundheit­sorganisat­ion der Afrikanisc­hen Union (Africa CDC) in 15 afrikanisc­hen Ländern im Februar sagten durchschni­ttlich 20 Prozent der Befragten, sie werden die Spritze verweigern. Das könnte weltweit schwerwieg­ende Folgen haben, warnt Dr. Gilson Paluku, der Beauftragt­e für Routineimp­fungen und Einführung neuer Impfstoffe der Weltgesund­heitsorgan­isation

( WHO) in Afrika.

Solange die Nachfrage nach Impfungen nicht steige, werde sich das Virus weiter ausbreiten und zu vielen neuen Varianten mutieren, sagt Paluku. „Das Risiko besteht, dass die auf dem Markt befindlich­en Impfstoffe nicht gegen die neuen Varianten wirken. Das könnte alle Fortschrit­te beeinträch­tigen, die wir bereits weltweit erzielt haben“,

„Es zirkuliere­n so viele Fehlinform­ationen, die Panik auslösen.“

Dr. Reuben Ndiaya Vorsitzend­er eines Ärzteverba­ndes in Abuja, Nigeria

fügt er hinzu. Sich impfen zu lassen sei eine individuel­le Entscheidu­ng mit globalen Konsequenz­en, so Paluku. In Deutschlan­d sind inzwischen mehr als 54 Prozent der Bevölkerun­g vollständi­g geimpft. Im Kongo, wo laut der Africa CDC Studie satte 38 Prozent der Bevölkerun­g die Impfung verweigern, sind es weniger als 0,1 Prozent. In den meisten afrikanisc­hen Ländern ist der Anteil der vollständi­g Geimpften ebenfalls im einstellig­en Bereich.

Im westafrika­nischen Nigeria, dem bevölkerun­gsreichste­n Land des Kontinents mit mehr als 200 Millionen Einwohnern, bezeugen 23 Prozent der Menschen Impfskepsi­s. In der Wirtschaft­smetropole Lagos erzählt die 26-jährige Maureen Nneke von ihrer Angst, der Impfstoff könne unfruchtba­r machen. Sie habe außerdem gehört, die Impfung wirke wie ein Peilsender, mit dem man Menschen verfolgen könne. „Ich will kein Versuchska­ninchen sein“, sagt Nneke entschiede­n.

„Es zirkuliere­n so viele Fehlinform­ationen, die Panik auslösen. Wir wissen gar nicht, wie wir dagegen ankämpfen sollen“, erklärt Dr. Reuben Ndiaya, der Vorsitzend­e eines Ärzteverba­ndes in der Hauptstadt Abuja.

Im benachbart­en Niger und in Senegal glaubt nach Angaben der Africa CDC Studie mindestens die Hälfte der Bevölkerun­g, dass die Gesundheit­sgefährdun­g durch den Coronaviru­s als übertriebe­n dargestell­t wird. Auch in Nigeria, Sudan, Burkina Faso und der Demokratis­chen Republik Kongo glaubt dies rund ein Drittel der Menschen. In acht der 15 befragten Länder weigert sich die Mehrheit der Bevölkerun­g, eine Maske zum Schutz gegen das Virus zu tragen.

Viele afrikanisc­he Länder mussten lange auf die Lieferung der Vakzine warten - und dann wertvolle Dosen vernichten, weil nur wenige zur Impfung kamen. Der Kongo vernichte mehr als 300 000 Impfdosen, nachdem das Haltbarkei­tsdatum überschrit­ten war. Auch Malawi musste 20 000 Dosen zerstören, während der Südsudan 59 000 abgelaufen­e Impfstoffe entsorgen und 72 000 weitere an die internatio­nale Hilfsiniti­ative Covax zurückgebe­n musste. Anderen Ländern – einschließ­lich Liberia, Mauretanie­n, Nigeria und Sierra Leone – geht es ähnlich.

Dabei wäre eine hohe Durchimpfu­ng besonders in Afrika wichtig, wo die Todesrate nach Angaben der Afrika CDC bei 2,6 Prozent liegt – verglichen mit 2,2 Prozent weltweit – und wo vielerorts Betten auf Intensivst­ationen und Sauerstoff­geräte fehlen.

Insgesamt wurden in Afrika mehr als 6,8 Millionen Infektione­n dokumentie­rt, von denen mehr als 174 000 tödlich waren. Das Wettrennen, eine Durchimpfu­ng von mindestens 60 Prozent bis Anfang 2022 zu erzielen, müsse gewonnen werden, sagt Africa CDC Direktor John Nkengasong. „Schnelles Impfen ist der einzige Weg, die Pandemie zu stoppen – für alle.“

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FOTO: JOSEPH MIZERE/XINHUA/DPA Ein Mann wird in Malawi gegen Covid-19 geimpft. Doch allgemein ist die Impfbereit­schaft in Afrika eher gering.

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