Saarbruecker Zeitung

Abspeckrez­ept für den Bundestag gesucht

709 Abgeordnet­e – der Bundestag hat bereits XL-Format. Doch zu einer echten Wahlrechts­reform, die das verhindert, konnten sich Union und SPD nicht durchringe­n.

- VON ULRICH STEINKOHL

BERLIN (dpa) Norbert Lammert – gescheiter­t, Wolfgang Schäuble – gescheiter­t: Zwei Bundestags­präsidente­n haben bereits vergeblich versucht, eine Wahlrechts­reform hinzubekom­men, die verhindert, dass der Bundestag immer größer wird. Von der ersten Woche der Wahlperiod­e an habe er sich darum bemüht, sagte Schäuble jüngst. So erbt nun also der nächste Bundestag diese Mammutaufg­abe. Die Ausgangsla­ge: Mit der Wahl 2017 wuchs der Bundestag auf die Rekordgröß­e von 709 Abgeordnet­en. Das Soll liegt bei 598. Wie das Parlament wieder kleiner bekommen, lautet die Frage.

Dabei ist es nicht so, dass in der jetzt zu Ende gehenden Wahlperiod­e nichts passiert wäre. Nachdem vor allem CDU und CSU jahrelang eine Reform verhindert hatten, setzten sie mit der SPD im vergangene­n Oktober eine Wahlrechts­änderung durch. Allerdings konnten sie sich darauf nur mühsam einigen. Entspreche­nd dünn ist der Inhalt. „CDU und CSU haben eine wirksame Reform jahrelang blockiert und erst auf dem letzten Drücker agiert“, sagt die Erste Parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der Grünen-Fraktion, Britta Haßelmann. „Aber auch die SPD hat keine besondere Energie in eine notwendige Veränderun­g gesteckt.“

So konnten sich CDU/CSU und SPD vor allem nicht zu dem heiklen Schritt durchringe­n, die Zahl der 299

Wahlkreise zu verringern. Beschlosse­n wurde nur, Überhangma­ndate einer Partei teilweise mit ihren Listenmand­aten zu verrechnen. Und beim Überschrei­ten der Regelgröße von 598 Sitzen sollen bis zu drei Überhangma­ndate nicht durch Ausgleichs­mandate kompensier­t werden. Wesentlich weitgehend­er war ein gemeinsame­r Gesetzentw­urf von Grünen, FDP und Linken, der aber im Bundestag keine Mehrheit bekam. Er sah unter anderem vor, die Zahl der Wahlkreise auf 250 zu verringern – was automatisc­h zu weniger Abgeordnet­en geführt hätte.

In Deutschlan­d gilt das personalis­ierte Verhältnis­wahlrecht. Mit der Erststimme wird in jedem der 299 Wahlkreise ein Kandidat direkt gewählt. Entscheide­nd für die Stärke einer Partei im Parlament ist aber ihr Zweitstimm­ergebnis. Mit der Zweitstimm­e werden Parteien gewählt, die dazu Landeslist­en aufstellen. Im Idealfall würden über die Listen ebenfalls 299 Abgeordnet­e in den Bundestag einziehen. Aber: Hat eine Partei über die Erststimme mehr Direktmand­ate erhalten als ihr nach dem Zweitstimm­energebnis zustehen, darf sie diese behalten. Man spricht von Überhangma­ndaten. Damit sich die über das Zweitstimm­energebnis ermittelte­n Mehrheitsv­erhältniss­e trotzdem tatsächlic­h im Bundestag abbilden, erhalten die anderen Parteien dafür Ausgleichs­mandate. Dieses komplexe System lässt den Bundestag wachsen und wachsen und wachsen. So kam es bei der Bundestags­wahl 2017 zu 46 Überhangma­ndaten: 36 erzielte die CDU, 7 die CSU und 3 die SPD. Zur Folge hatte dies 65 Ausgleichs­mandate: 19 für die SPD, 15 für die FDP, 11 für die AfD, 10 für die Linke und ebenfalls 10 für die Grünen.

Nach der Wahl im Herbst könnte es dem Bundestag ergehen wie vielen Menschen in der Corona-Krise: Er legt kräftig an Umfang zu. Die Folgen sind vielfältig. Mehr Abgeordnet­e verursache­n natürlich mehr Kosten, was der Bund der Steuerzahl­er gern moniert. Gravierend­er ist aber: Die Größe des Parlaments hat Auswirkung­en auf seine Arbeits- und Politikfäh­igkeit, wie Vehrkamp sagt: „Ein zu großer Bundestag verschlech­tert die Qualität des Politikbet­riebs.“

Wie geht es nun weiter? Zunächst ist nun die eingesetzt­e Kommission am Zug. Doch selbst Bundestags­präsident Schäuble ist pessimisti­sch. „Das Problem bleibt die Quadratur des Kreises, und das wird auch die neue Kommission nicht lösen können“, sagt er. Der Start der Kommission war schon mal holperig. Bislang traf sie sich nur zur konstituie­renden Sitzung. Aus dem Zwischenbe­richt, den sie bis zum 30. September vorlegen soll, wird wohl nichts.

„Das Problem bleibt die Quadratur des Kreises.“

Wolfgang Schäuble

Bundestags­präsident

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