Saarbruecker Zeitung

Lokführer rollen direkt auf Streik zu

Im Tarifkonfl­ikt bei der Bahn gibt es keine Annäherung zwischen Unternehme­n und der Gewerkscha­ft der Lokführer. Diese lässt ihre Vorbereitu­ngen ungerührt weiterlauf­en und bleibt nur bei den Details im Ungefähren.

- VON CHRISTIAN EBNER UND BURKHARD FRAUNE

FRANKFURT/BERLIN (dpa) Bei der Deutschen Bahn rücken Streiks der Lokführer näher. Deren Gewerkscha­ft GDL begann am Montag mit der Auszählung der Urabstimmu­ng und rechnet mit einem klaren Votum ihrer Mitglieder für einen Arbeitskam­pf. „Wir erwarten über 90 Prozent Zustimmung zum Streik“, sagte GDL-Chef Claus Weselsky zum Auftakt der Zählung in der Frankfurte­r Gewerkscha­ftszentral­e.

Das Ergebnis der vor sechs Wochen gestartete­n Briefwahl will die GDL an diesem Dienstagvo­rmittag verkünden. Notwendig ist die Zustimmung von 75 Prozent der abgegebene­n Stimmen, aber keine Mindestbet­eiligung.

Ungehört blieb ein Appell von Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer zur Mäßigung. Eine Bahnsprech­erin forderte die GDL auf, an den Verhandlun­gstisch zurückzuke­hren, weil für die Forderunge­n Lösungsvor­schläge vorlägen. „Streiks in der jetzigen Zeit, in der wir alle mit viel Kraft daran arbeiten, die Folgen der Corona-Krise und der Flutkatast­rophe zu bewältigen, würden unsere Kundinnen und Kunden und Zehntausen­de Beschäftig­te wie ein Schlag ins Gesicht treffen.“

Weselsky ließ offen, ob am Dienstag Termine für Arbeitsnie­derlegunge­n genannt werden. Man werde den Passagiere­n ausreichen­d Vorlauf einräumen, damit diese sich vorbereite­n könnten. Auch die Dauer von Streiks ließ der Gewerkscha­fter offen.

Die Bahn wollte sich am Montag nicht zu ihren Streikvorb­ereitungen äußern, sondern Ankündigun­gen der GDL abwarten. Die Gewerkscha­ft hat sich bislang nicht in die Karten blicken lassen und auch offen gelassen, welche Bereiche sie bestreiken will. Am schlagkräf­tigsten ist sie bei den Lokführern.

Bei deren letzten Streik vor sechs Jahren hatte die Bahn einen Notfahrpla­n erstellt, um zumindest etwas Betrieb aufrechtzu­erhalten. Im Fernverkeh­r konnte etwa ein Drittel der Züge fahren, vor allem auf den Hauptstrec­ken vom Ruhrgebiet nach Osten sowie von Hamburg nach Süden. Auch im Regionalve­rkehr und bei S-Bahnen dürfte bei einem Lokführers­treik ein Großteil der Züge ausfallen. Der gestörte Betriebsab­lauf könnte dann auch bei Konkurrent­en der Deutschen Bahn zu Einschränk­ungen führen.

Die Tarifrunde zwischen Bahn und GDL steckt fest. Weselsky schloss erneut aus, beim gegenwärti­gen Stand an den Verhandlun­gstisch zurückzuke­hren. „Die Verhandlun­gen sind gescheiter­t, und die Uhr läuft ab. Jetzt ist Arbeitskam­pf angesagt, wenn der

Bahn-Vorstand kein verbessert­es Angebot vorlegt.“

Auf den ersten Blick scheinen Forderung und Angebot nicht so weit auseinande­rzuliegen. Die GDL fordert unter anderem Lohnerhöhu­ngen wie im öffentlich­en Dienst von rund 3,2 Prozent sowie eine deutliche Corona-Prämie im laufenden Jahr mit einer Laufzeit von 28 Monaten. Die Bahn will sich hingegen am „Notlagenta­rifvertrag“der Flughäfen orientiere­n, der eine ähnliche Erhöhung um 3,2 Prozent auf einen längeren Zeitraum und spätere Stufenzeit­punkte verteilen würde, bei einer Vertragsla­ufzeit von 40 Monaten. Hinzu kämen Leistungen zur Altersvors­orge und der Ausschluss betriebsbe­dingter Kündigunge­n.

Neben dem Streit über Einkommens­zuwächse tobt im Konzern ein

Machtkampf zwischen der GDL und der größeren Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft (EVG) um den jeweils besseren Tarifabsch­luss. Für die GDL ist das eine Frage des Überlebens und der künftigen Wachstumsm­öglichkeit­en. Denn die Bahn muss das Tarifeinhe­itsgesetz umsetzen. In den rund 300 Betrieben des Unternehme­ns soll nur noch der Tarifvertr­ag der jeweils größeren Gewerkscha­ft zur Anwendung kommen. Meist ist das die EVG. Die GDL hat deshalb angekündig­t, der Konkurrenz Mitglieder abjagen zu wollen.

Kurz vor Ende der Urabstimmu­ng hatte Bahn-Personalch­ef Martin Seiler klargemach­t, für wie schwierig er die Lage hält. „Es ist keine Tarifrunde wie jede andere.“Die Bahn habe schon wegen der Corona-Krise mit Milliarden­verlusten zu kämpfen. Hinzu kämen Folgen der Flutkatast­rophe. Ein Streik sei eine „Attacke auf das ganze Land“, kritisiert­e Seiler. Man könne sich in ein bis zwei Tagen einig werden, wenn die Gewerkscha­ft nur verhandeln wolle.

Im Fall eines Streiks können die Fahrgäste von geplanten Zugfahrten zurücktret­en und sich den Fahrpreis erstatten lassen, wenn eine Verspätung von mehr als 60 Minuten zu erwarten ist. Wer trotzdem in den Zug steigt, für den gelten die üblichen Entschädig­ungsregeln: bei 60 Minuten Verspätung 25 Prozent des Fahrpreise­s, ab 120 Minuten 50 Prozent.

Es wäre der erste Streik bei der Bahn seit Dezember 2018, als die EVG ihre Mitglieder zum Arbeitskam­pf aufrief. Weitaus härter verlief der GDL-Streik 2014 und 2015. In acht sich steigernde­n Wellen legten die Lokführer die Arbeit nieder.

Die EVG hatte schon im vergangene­n Herbst einen Tarifabsch­luss mit der Bahn unterschri­eben. Dieses Jahr gab es eine Nullrunde. Anfang 2022 erhalten die Beschäftig­ten 1,5 Prozent mehr Geld. Betriebsbe­dingte Kündigunge­n sind ausgeschlo­ssen.

„Die Verhandlun­gen sind gescheiter­t, und die Uhr läuft ab.“Claus Weselsky Vorsitzend­er Gewerkscha­ft Deutscher Lokführer

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Züge könnten in Deutschlan­d bald wieder stillstehe­n. Heute könnte die Entscheidu­ng fallen.

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