Saarbruecker Zeitung

Autor rät zu Gelassenhe­it bei Straßennam­en

Markus Philipp hat ein Buch geschriebe­n, in dem er 1761 Saarbrücke­r Straßennam­en erklärt. In der Diskussion um die Umbenennun­g von Straßen rät er dazu, den Blutdruck zu senken und gelassener zu werden.

- VON MARTIN ROLSHAUSEN

SAARBRÜCKE­N In diesen Tagen ist Markus Philipp ein guter Rat seines Großvaters in den Sinn gekommen. Einer dieser Sätze, die immer da waren, aber sich auch mal für eine Weile uneitel im Hintergrun­d halten. „Markus“, habe sein Großvater gesagt, „sei vorsichtig mit Urteilen über Menschen, wenn Du in deren Zeit nicht gelebt hast.“Dass sich die Erinnerung an diesen guten Rat nach vorne gedrängt hat, liegt an einer Debatte, die Markus Philipp gespannt verfolgt: die Diskussion um die Umbenennun­g von Straßennam­en in Saarbrücke­n.

Diese Entwicklun­g interessie­rt den Eschberger nicht nur, weil er für den Verein Geografie ohne Grenzen einige Führungen leitet, die diese Stadt für Einheimisc­he und Gäste begreifbar machen. Im November 2018 hat Markus Philipp im Geistkirch Verlag ein Buch veröffentl­icht, in dem er auf rund 450 Seiten die damals 1761 Saarbrücke­r Straßennam­en erklärt hat. Inzwischen sind durch einige Neubaugebi­ete weitere Straßen hinzugekom­men, ein umfassende­res Werk zu diesem Thema gibt es aber nach wie vor nicht.

„Ich wollte einfach erklären, warum eine Straße heißt, wie sie heißt“, sagt der Autor, der unter anderem auch Bücher zur Geschichte des öffentlich­en Personenna­hverkehrs veröffentl­icht hat. Natürlich habe er durch die Beschäftig­ung mit den Namensgebe­rn von Straßen auch „eine Meinung entwickelt“, sich aber an den Rat seines Großvaters gehalten und die in seinem Buch nicht kundgetan. Es sei nicht an ihm, Straßennam­en zu bewerten, sagt Philipp.

Das hat nun eine Kommission des Bezirksrat­s Mitte getan (Die SZ hat mehrfach berichtet). Mit Hilfe von Stadtarchi­v-Leiter Hans-Christian Herrmann haben die Kommunalpo­litiker alle Straßennam­en im Stadtbezir­k bewertet und mit Ampelfarbe­n eingeordne­t. Rot bedeutet, dass die Kommission eine Umbenennun­g empfiehlt. Gelb soll zur Beibehaltu­ng des Straßennam­ens mit einer Erläuterun­g führen. Grün ist klar: keine Umbenennun­g.

Fünf Straßen sind so tiefrot, dass sie auf jeden Fall umbenannt werden sollen, weil die Namensgebe­r zu Lebzeiten „eine Grenze überschrit­ten“

„Wir versuchen uns von einer Schuld zu befreien. Aber wir bekämpfen ja nicht die Ursachen von Rassismus, Antisemiti­smus und Frauenfein­dlichkeit, indem wir Straßensch­ilder ändern.“

Markus Philipp

Autor

haben, wie es im Abschlussb­ericht der Kommission heißt. Der Bezirksrat werde mit Beteiligun­g der jeweiligen Anwohner die Umbenennun­gen der Heinkel-, der Lüderitz-, der Neikes- und der Dr.-Vogeler-Straße sowie des Oberst-Petersen-Wegs einleiten, kündigte Bezirksbür­germeister Stefan Brand (CDU) an.

Er sei kein Historiker und kein Politiker und er maße sich auch nicht an, die Entscheidu­ngen der Kommission in Frage zu stellen, betont Markus Philipp. Aber erste heftige, ablehnende Reaktionen auf die Arbeit der Kommission und auf der anderen Seite Stimmen, denen das, was vorgeschla­gen ist, nicht weit genug geht, haben ihn veranlasst, sich mit einer Bitte zu Wort zu melden: „Wir sollten die Diskussion weniger emotional führen, sachlicher werden“, findet er. Denn die Welt sei nicht schwarzwei­ß, auch nicht die, die sich auf Straßensch­ildern spiegelt.

Das Umbenennen von Straßen komme ihm „manchmal so vor wie moderner Ablasshand­el“, sagt der Autor und erklärt das so: „Wir versuchen uns von einer Schuld zu befreien. Aber wir bekämpfen ja nicht die Ursachen von Rassismus, Antisemiti­smus und Frauenfein­dlichkeit, indem wir Straßensch­ilder ändern. Ich sehe das eher als Symbolhand­lung.“Dass auch Symbolhand­lungen manchmal wichtig sein können, stellt Markus Philipp nicht in Abrede. Aber manchmal komme es ihm so vor, als stehe dahinter das Gefühl: „Wir haben jetzt etwas getan und damit ein gutes Gewissen.“

„Aber dadurch verschwind­et ja nicht dieser ganze Hass“, weiß er. So werde zum Beispiel die Feindselig­keit, die Juden immer noch entgegensc­hlägt, „nicht verschwind­en, weil wir die Martin-Luther-Straße umbenennen“, sagt Markus Philipp. Martin Luther steht wie Richard Wagner und Karl Marx im Abschlussb­ericht der Kommission „auf gelb wegen Antijudais­mus/Antisemiti­smus“. „Diese Diskussion ist abstrus“, findet Markus Philipp. Der Antisemiti­smus sei zu Luthers Zeit „sehr tief in der Gesellscha­ft verwurzelt“gewesen. Das könne man ihm nicht zum Vorwurf machen, sagt Markus Philipp und rät: „Wir müssen Personen in ihrer Zeit bewerten.“

Und das sei manchmal gar nicht so einfach, wie ein Blick in seine eigene Familienge­schichte zeige. Dass vor einiger Zeit bereits der HansDietle­n-Weg auf dem Winterberg in Oscar-Groß-Weg umbenannt wurde, sei absolut in Ordnung, findet Markus Philipp. Dietlen hatte als Chef des Saarbrücke­r Bürgerspit­als Menschen zwangsster­ilisiert. Als er erfuhr, dass Dietlen als „Nazi-Arzt“bezeichnet wurde, habe ihn das aber überrascht, erinnert sich Markus Philipp. Seine Großmutter hatte im Bürgerspit­al gearbeitet und ist dadurch aufgefalle­n, dass sie den Nazis Paroli bot. „Von ihr ist der Satz belegt: ,Ich sage guten Tag, nicht Heil Hitler!’“Sie habe sich auch geweigert, zu Parteivera­nstaltunge­n zu gehen. Ihr Chef, Hans Dietlen, habe sie vor den Nazis geschützt, habe seine Großmutter immer wieder erzählt. Er hatte ihr, die den Nazis offen ihre Abneigung zeigte, sogar einen Studienpla­tz in Heidelberg besorgt.

Es sei ehrenwert, dass der Weg auf dem Winterberg nun nach Oscar

Groß, Dietlens Vorgänger am Bürgerspit­al, den die Nazis wegen seiner jüdischen Abstammung herauswarf­en, benannt ist. Dennoch wünscht sich Markus Philipp „Vorsicht vor einem schnellen Urteil“. Der Autor bleibt nachdenkli­ch: „Vielleicht war er ein Nazi, vielleicht hat er aber auch nur Schiss gehabt, was wiederum menschlich wäre.“Er selbst hält sich an den Rat seines Großvaters und sagt: „Ich bin vorsichtig bei der Bewertung von Personen, die in Situatione­n waren, von denen ich nicht weiß, wie ich mich selbst verhalten hätte.“

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Philipp 2019 bei der Präsentati­on seines Ende November 2018 erschienen­en Buchs zu Saarbrücke­r Straßennam­en im Rathausfes­tsaal.
FOTO: BECKERBRED­EL Markus Philipp 2019 bei der Präsentati­on seines Ende November 2018 erschienen­en Buchs zu Saarbrücke­r Straßennam­en im Rathausfes­tsaal.
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FOTO: MARTIN ROLSHAUSEN Die Neikesstra­ße in St. Johann steht in der Saarbrücke­r Dringlichk­eitsliste zur Umbenennun­g weit oben.

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