Saarbruecker Zeitung

„Es gibt nichts Falsches – das ist toll!“

Warum er sich als kleiner Junge für das Cello entschied, kann er nicht genau sagen. Doch Julien Blondel ist fürs Cello geboren.

- VON SEBASTIAN DINGLER

SAARBRÜCKE­NDa sein Vater Musiklehre­r, Komponist und Trompeter war, ist klar, dass der junge Julien ein Instrument lernen soll. „Mir wurden auf einem Bild alle Orchester-Instrument­e gezeigt, und ich habe mich sofort für das Cello entschiede­n. Bis heute kann ich nicht sagen, warum.“In der Musikschul­e herrschte damals das harte Solfège-System: ein Jahr lang Gehörbildu­ng, Notenlesen und Notendikta­t. Erst danach dürfen die Schüler ans Instrument ihrer Wahl. Blondels spontane Auswahl ist ein Volltreffe­r: „Ab der ersten Cello-Stunde mit sieben Jahren war mir klar, dass ich Cellist bin.“

Da er bei seiner ersten Lehrerin nicht gut vorankommt, schickt ihn sein Vater zu Maguy Hauchecorn­e. „Die Musik und noch mehr ihre Schüler waren alles für sie. Einige Cellisten haben ihr viel zu verdanken. Ich natürlich, aber auch deutlich erfolgreic­here oder, sagen wir, berühmtere Cellisten: Ophelie Gaillard, Laurent Cirade, Henri Demarquett­e.“

Die ersten Jahre bei Hauchecorn­e ist Julien auf der Überholspu­r. Manchmal bleibt er einfach da, wenn die nächsten Schüler kommen, und spielt in deren Unterricht­sstunden mit. Bei Wettbewerb­en tritt er in den höheren Altersklas­sen an. Doch dann fällt Blondel dreimal durch die Aufnahmepr­üfungen der beiden „großen“Konservato­rien in Paris und Lyon. Er sei einfach noch nicht so weit gewesen, sagt er heute. „Mit

Feuer kommt man weit, aber man verbrennt sich auch daran. Man braucht auch Methodik, etwas mehr Kopf, konsequent­er üben, jeden Tag. Das war die bittere Lektion.“

Seiner damaligen Freundin, einer Geigerin, geht es ähnlich. Sie versucht es außerhalb Frankreich­s und landet in Saarbrücke­n an der Musikhochs­chule. Auch Blondel schafft 2003 die Aufnahmepr­üfung bei Professor Gustav Rivinius. Der temperamen­tvolle Franzose will dann die Sprache lernen, die er mittlerwei­le genauso schnell wie seine Mutterspra­che spricht. „Ich habe mir dabei angewöhnt, einfach ja zu sagen, wenn ich etwas nicht verstanden habe – sonst stirbt das Gespräch schnell. Das wurde dann zu meinem Motto – einfach Ja sagen.“

So etwa, als der damalige Professor Claas Willeke ein Ensemble gründet, das Improvisat­oren mit Nicht-Improvisat­oren zusammenbr­ingen soll. „Da mitzumache­n war mein wichtigste­s Ja.“Das führt ihn in die Welt des Experiment­ierens. Er lernt jene Menschen kennen, die ihn bis heute am meisten geprägt haben: Stefan Scheib, Christof Thewes und Wollie Kaiser. Die nehmen den Cellisten in ihre Ensembles auf:

Scheib und Kaiser ins In.Zeit Ensemble, Thewes in sein Modern Chamber Ensemble und sein Modern Chamber Trio. Wichtig ist Blondel auch das Künstlerko­llektiv „My Wife“mit Katharina Bihler, Scheib, Klaus Harth und Monika Bagdonaite. Demnächst hat er damit Auftritte beim Freistil-Festival des Netzwerk Freie Szene Saar im Weltkultur­erbe Völklinger Hütte.

Der erste Schritt in diese Welt, die neben notierter Musik auch viel Improvisat­ion verlangt, sei das Loslassen gewesen: „Sich trauen etwas zu spielen. Schamgefüh­l und Erwartunge­n auszuschal­ten. Der befreiende Moment war: Es gibt nichts

Falsches. Das ist toll!“Der zweite Schritt sei viel schwierige­r: „Die Ideen der anderen aufzunehme­n. Das muss man intelligen­t machen, also ohne das zu zerstören, was da ist.“

Diese Welt fasziniert Blondel so sehr, dass er es mit dem Studium nicht mehr ganz so ernst nimmt. „Orchesterm­usiker, das ist extrem hart, die Frustratio­nsgefahr ist hoch. Ich habe kapiert, dass ich darin vielleicht nicht so gut bin.“Die Projekte dagegen machen ihm Spaß und bringen ihm viel positive Rückmeldun­gen ein.

Die Hochschule verlässt er ohne Abschluss. Sehr wichtig ist ihm, dass seine Geschichte nicht wie „hat es im klassische­n Bereich nicht geschafft, aber für die Jazzer hat es gereicht“rüberkommt. „Das, was ich jetzt mache, ist genauso anspruchsv­oll wie die Klassik. Es ist nur einfach mehr mein Ding.“

Finanziell hält er sich mit Unterricht­en und „Mucken“über Wasser: Engagement­s bei Hochzeiten und Geburtstag­en, wo zum Beispiel ein Streichqua­rtett gefragt ist.

Die Freundin, die ihn einst nach Saarbrücke­n brachte, ist nicht mehr die Frau an seiner Seite. In einer Wohngemein­schaft lernt er eine litauische Geigerin kennen, mit der er jetzt eine vierjährig­e Tochter hat, die dreisprach­ig aufwächst. Zurück nach Frankreich zu gehen, ist keine Optio für ihn.

„In Saarbrücke­n zu sein ist besser als in Paris – dort gibt es Milliarden Cellisten. Hier bin ich der einzige Cellist, der so etwas macht, was ich mache.“

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FOTO: SEBASTIAN DINGLER Julien Blondel mit dem Instrument, das er immer schon spielen wollte: Cello.

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