Druck auf Ungeimpfte wächstCorona-Tests bald kostenpflichtig
Wer am öffentlichen Leben teilnehmen will, muss laut Bund-Länder-Beschluss ab 23. August in ganz Deutschland geimpft, getestet oder genesen sein.
BERLIN Um ohne Auflagen am öffentlichen Leben teilnehmen zu können, müssen Ungeimpfte sich künftig bundesweit testen lassen – und die Kosten dafür ab dem 11. Oktober selbst tragen. Darauf einigten sich Bund und Länder bei der Ministerpräsidentenkonferenz am Dienstag. Die Testpflicht soll ab dem 23. August für den Besuch öffentlicher Innenräume gelten, also beispielsweise für Kinos, Schwimmbäder oder Restaurants, aber auch für den Zugang als Besucher zu Krankenhäusern und Alten- und Pflegeheimen oder bei Friseurterminen. Die Länder können allerdings Ausnahmen beschließen, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner stabil bei unter 35 liegt. Am Dienstag betrug der bundesweite Wert 23,5 ( Vortag 23,1). Im Saarland lag die Inzidenz bei 32,3 ( Vortag: 33,3).
Mit den Beschlüssen soll auch die ins Stocken geratene Impfkampagne wieder Fahrt aufnehmen. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums sind nun 45,8Millionen Menschen oder 55,1 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft. Mindestens eine erste Impfung haben 52 Millionen Menschen oder 62,5 Prozent der Bevölkerung. „Wir müssen dafür werben, dass geimpft wird“, mahnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), „weil es einfach ein Schutz für uns alle ist“. Merkel sagte weiter, es wäre gut, bei der Impfquote „deutlich über 70 Prozent und hin zu 80 Prozent zu kommen“, was im Augenblick nicht als gesichert angesehen werden könne.
Geimpfte und Genesene sollen von Testauflagen ausgenommen werden. So gilt für sie etwa keine Quarantänepflicht bei der Wiedereinreise aus Hochrisikogebieten. Für Schwangere, Kinder und Jugendliche unter 18 sowie andere Menschen, für die keine allgemeine Impfempfehlung vorliegt, sollen Schnelltests kostenlos bleiben.
Dass diese ansonsten ab Oktober Geld kosten sollen, erregte bei der FDP Kritik. Parteivize Wolfgang Kubicki sagte einen Rückgang der Testbereitschaft bei Ungeimpften voraus. Auch die Grünen zeigten sich unzufrieden. Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte: „Statt Pflegeeinrichtungen und Schulen endlich sicher zu machen, statt konkrete Maßnahmen für mehr Tempo beim Impfen vorzulegen, versucht man die Menschen an Stelle von überzeugenden Argumenten durch Druck zum Impfen zu bewegen.“
Neben den Corona-Maßnahmen beschlossen Bund und Länder Hilfen für die Flutopfer in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz in Höhe von 30 Milliarden Euro.
BERLIN Es ist ein Video-Gipfel mit zwei Halbzeiten. In der ersten Spielhälfte dreht sich alles um die Bewältigung der Flutkatastrophe. Bund und Länder sind sich beim Wiederaufbaufonds für die Flutgebiete schnell einig. Dafür mobilisiert der Staat 30 Milliarden Euro. Die gigantische Summe teilen sich Bund und Länder. „Das ist ein Zeichen gesamtstaatlicher Solidarität“, freut sich Angela Merkel. Denn es zahlen auch Bundesländer ein, die gar nicht von den verheerenden Wassermassen in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Wichtig für die Länder ist, dass sie ihren Anteil von 15 Milliarden Euro über 30 Jahre abstottern können.
Nach weniger als einer Stunde ist der erste Tagesordnungspunkt abgehakt. „Ich habe mich gefreut, dass dieser Teil so zügig ging“, sagt Merkel. Jetzt geht es im Kanzleramt in die zweite Halbzeit. Und es wird ruppig, aber nie unfair. Der Gegner heißt Corona, wie seit mehr als eineinhalb Jahren. Wie reagiert die Politik auf die vierte Welle, das stockende Impftempo? Merkel und den Ministerpräsidenten ist klar, dass Inzidenzwerte allein nicht mehr der Stein der Weisen ist. Die SPD macht in der Runde Druck. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil will mehr Parameter. Manuela Schwesig pflichtet ihm bei. Die Schweriner Regierungschefin hat gute Erfahrungen mit einem Ampelsystem gemacht. Krankenhausbelegung, Impfquoten, die Daten kommen täglich herein. Warum führt man das nicht bundesweit ein?
Merkel bremst. Es sei sehr schwierig, jetzt mit sehr vielen Variablen zu hantieren. Alles hänge vom Impfen und mehr Tests ab. CSU-Chef Markus Söder erklärt, die die „Glücksformel“für Inzidenz-Alternativen habe noch niemand gefunden. Auch Kanzlerkandidat Olaf Scholz pflichtet Merkel bei, bremst seine
SPD-Parteifreunde dem Vernehmen nach. Der Finanzminister will keinen Streit mit Merkel auf offener Bühne so kurz vor der Wahl. Für ihn läuft es in den Umfragen plötzlich besser. Der Niedersachse Weil begnügt sich mit einer Fußnote im Gipfeldokument. Scholz betont, noch einen Lockdown dürfe es nicht geben. Merkel ist später so ein klares Bekenntnis nicht zu entlocken. Sie bleibt auf der Hut. Die Physikerin referiert die unterschiedlichen Impfquoten in den Bevölkerungsgruppen. „Wir sind in Europa nicht mehr an der Spitze.“Durchgeimpft ist erst jeder zweite Deutsche, 62,5 Prozent haben die erste Spritze. Bei den über 60-Jährigen sieht es mit über 80 Prozent viel besser aus. Merkel wünscht sich hier 90 Prozent.
Das Problem sind vor allem die Jüngeren. Berlins Bürgermeister Michael Müller (SPD) beklagt sich über deren Sorglosigkeit. „Die Gruppe der Ungeimpften ist zu groß. Das ist bitter.“Bei den 15- bis 25-Jährigen liege die Inzidenz in der Hauptstadt bei um die 100 – bundesweit steht sie bei rund 23.
Jetzt wird der Druck auf die Impfmuffel erhöht. Die Gipfelteilnehmer ziehen die Daumenschrauben an. Innenraum-Testpflicht ab 35er-Inzidenz. Außerdem wird es für Impfskeptiker teuer. Ab 11. Oktober werden für sie Tests kostenpflichtig.
Dann ist es wieder einmal Söder, der die griffigste Gipfelparole setzt. Er warnt vor einer „Pandemie der Ungeimpften“. Übersetzt heißt das, man dürfe die Impfmuffel nicht einfach gewähren lassen, weil sonst womöglich in deren Kreis die Inzidenz explodiert mit kräftiger Krankenhausbelegung, während der Rest der Republik weitgehend durchgeimpft und sicher ist. Söder liebäugelt damit, schon bald vom 3G- in den 2G-Modus umzuschalten. Geimpfte und Genesene wären mit allen Grundrechten fein raus, Getestete würden im Alltag mit Masken und strengem Testregime konfrontiert. Da steht Söder im Widerspruch zu Laschet. Der Unionskanzlerkandidat verwahrt sich dagegen, Ungeimpften mit Negativtest die Türen von Restaurants, Kinos und Konzertsälen einfach vor der Nase zuzuschlagen. Umgekehrt hat Laschet nach verdrießlichen Wochen rund um den Gipfel gepunktet. Jedenfalls kamen sie in der CDU auf die naheliegende Idee, den eigenen Kanzlerkandidaten mit einem Fünf-Punkte-Plan zu präparieren. So konnte sich Laschet in Szene setzen.
Am Dienstag ist Laschet aber nur aus Düsseldorf zugeschaltet. In Berlin nutzt Söder zum letzten Mal die Bühne als Vize-Chef der Ministerpräsidentenrunde. Er warnt vor „trügerischer Ruhe“. Die vierte Welle schleiche heran. Das Land dürfe nicht in einer Corona-Endlosschleife landen. Wann wird die Pandemie besiegt sein? Söder will keinen „Freiheitstag“wie der britische Premier Boris Johnson ausrufen. „Ein ‚Freedom Day‘ führt zu Wehrlosigkeit. Wir haben dann keine Chance mehr zu reagieren.“Da guckt die Kanzlerin zustimmend. Für sie wird es am 7. September ernst. Dann soll der Bundestag die pandemische Notlage um drei Monate verlängern. Hält die Kanzlerinnenmehrheit in der Koalition? Die FDP will den Notstand nicht verlängern. „Die Kanzlerin ist in ihrer eigenen Angstblase gefangen“, giftet FDP-Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki.
„Die Kanzlerin ist in ihrer eigenen Angstblase gefangen.“Wolfgang Kubicki (FDP) Bundestags-Vizepräsident