Saarbruecker Zeitung

Ein Corona-Impfstoff mit vielen offenen Fragen

Mit Sputnik V wollte Russland den Wettlauf um den weltweit ersten Impfstoff gewinnen. Fuß fassen möchte Moskau auch auf dem EU-Markt. Doch das ist ungewiss.

- VON ANSGAR HAASE, CHRISTIAN THIELE

BRÜSSEL/MOSKAU (dpa) Als die Welt noch ungeduldig auf einen rettenden Corona-Impfstoff wartete, gelang Russland mit Sputnik V ein zweifelhaf­ter Durchbruch. Staatschef Wladimir Putin verkündete vor genau einem Jahr höchstpers­önlich: Zum ersten Mal auf der Welt sei ein Impfstoff gegen das Coronaviru­s zugelassen worden. Wissenscha­ftliche Belege für die Wirksamkei­t des in Rekordzeit entwickelt­en Mittels aber legten die Forscher nicht vor. Noch immer gibt es offene Fragen. Geblieben ist ein weit verbreitet­es Misstrauen, das Moskau bis heute nicht aus der Welt geräumt hat. Nicht wenige in Russland fühlten sich als Versuchska­ninchen, weil erst parallel zur Freigabe des Impfstoffs die wichtige Testphase III mit mehreren Zehntausen­d Freiwillig­en begann. Erst mit ihr kann nach Expertenme­inung herausgefu­nden werden, ob ein Mittel wirklich zuverlässi­g wirkt und sicher ist. Das schnelle Vorgehen Moskaus stieß deshalb bei Wissenscha­ftlern internatio­nal auf Kritik. Aber Russland wollte das Wettrennen um einen Impfstoff gewinnen.

In den vergangene­n Monaten vergingen kaum Wochen, an dem der staatliche Direktinve­stmentfond­s RDIF keine Jubel-Meldungen verkündete. In 69 Ländern sei Sputnik V mittlerwei­le registrier­t, erklärte der Fonds, der das Vakzin etwa im Ausland vermarktet. Zu den Abnehmern gehören die Staaten der Ex-Sowjetrepu­blik ebenso wie viele in Südamerika, die Türkei, der Iran und Indien.

Fuß fassen möchte Russland auch auf dem lukrativen Markt in der EU. Doch ob es damit etwas wird, ist derzeit ungewiss. Die Europäisch­e Arzneimitt­el-Agentur (EMA) prüft den Impfstoff bereits seit Anfang März. Ihr Urteil entscheide­t, ob die EU-Kommission dann im nächsten Schritt die offizielle Genehmigun­g für das Inverkehrb­ringen erteilt. „Bislang ist es dem Hersteller nicht gelungen, genügend valide Daten zu liefern, um die Sicherheit nachzuweis­en“, sagte EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen vor wenigen Tagen dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d (RND).

Es kursiert allerdings auch der Verdacht, dass die Zulassung in der EU aus politische­n Gründen und nicht nur wegen fehlender Daten verzögert wird. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) hatte bereits Ende Mai via Bild am Sonntag gefordert, das Verfahren um Sputnik V müsse beschleuni­gt werden.

„Es darf nicht aus rein ideologisc­hen Gründen getrödelt werden“, sagte der CSU-Politiker. Bayern ist neben Mecklenbur­g-Vorpommern auch eines der Bundesländ­er, die sich Kaufoption­en für den russischen Impfstoff gesichert haben.

Moskau zeigt meist wenig Interesse an Transparen­z, was sein Auslandsge­schäft mit Sputnik V angeht. Im Frühjahr errechnete­n unabhängig­e russische Medien, dass nur ein Bruchteil der zugesagten Dosen tatsächlic­h ausgeliefe­rt worden sei. Zuletzt räumte der Staatsfond­s immerhin Lieferengp­ässe ein. Diese Probleme sollten aber in diesem Monat behoben werden, versprach der Fonds. Ab September soll etwa auch der weltgrößte Impfstoffh­ersteller, das Serum Institute in Indien, über 300 Millionen Dosen pro Jahr liefern. Verträge über die Produktion seines Vakzins hat Moskau in 14 Ländern.

Doch auch im Riesenreic­h selbst stockte es. Es gab Berichte, dass Menschen mitunter wochenlang warten mussten. Dagegen konnten sich die Moskauer mit Beginn der Massenimpf­ung im Dezember sogar in Shoppingze­ntren spritzen lassen.

Doch der Ansturm blieb aus. Nur halbherzig warb die Politik für eine Immunisier­ung. Putin zögerte eine Impfung monatelang hinaus, um sich erst im März ohne Kameras einen Impfstoff verabreich­en zu lassen. Zum PR-Desaster wurde der Ratschlag, rund um eine Impfung 52 Tage auf Alkohol zu verzichten.

„Bislang ist es dem Hersteller nicht gelungen, genügend valide Daten zu liefern, um die Sicherheit nachzuweis­en.“

Ursula von der Leyen

EU-Komissions­präsidenti­n

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