Wird das Ehegattensplitting abgeschafft?
Der Mann arbeitet Vollzeit, die Frau deutlich weniger, weil sie sich um Haushalt und Kinder kümmert. In der CoronaZeit war das in vielen Familien zu beobachten. Der Staat belohnt das mit dem Ehegattensplitting. Jetzt streiten Union und SPD, wie es mit dem Steuerbonus nach der Wahl weitergehen soll.
Union und SPD streiten über die Zukunft des Ehegattensplittings. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak wirft dem aktuellen Koalitionspartner vor, nach der Wahl mit einer Steuerreform Familien stärker belasten zu wollen. Grüne und SPD planten „Belastungsorgien“, sagte er in Berlin mit Blick auf das Ehegattensplitting. „Sie wollen Familien zur Kasse bitten. Dagegen wehren wir uns, und darüber wird abgestimmt.“
Ziemiak macht das am SPD-Wahlprogramm fest. Darin kündigen die Sozialdemokraten an, das steuerliche Ehegattensplitting für neu zu schließende Ehen zu ändern und durch eine neue Kindergrundsicherung zu ergänzen. Wer schon verheiratet ist, kann beim alten Ehegattensplitting bleiben oder in das neue Modell wechseln.
Mit dem Splittingverfahren können Ehepaare ihre Steuerlast deutlich reduzieren. Besonders groß ist der Steuervorteil, wenn einer sehr viel, der andere sehr wenig oder gar nicht verdient. Der Fiskus zählt beide Jahreseinkommen zusammen, halbiert den Betrag und berechnet darauf die fällige Einkommensteuer. Diese Summe wird dann verdoppelt und ergibt die Steuer, die das Ehepaar an das Finanzamt zahlen muss.
Die SPD, Linke und die Grünen halten das aktuelle Ehegattensplitting für überholt. Es zementiere die klassische Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen. Parteichef Norbert Walter-Borjans weist deshalb die Kritik von Ziemiak zurück. „Das ist die bekannte Masche der Konservativen: die große Mehrheit der Gewinner einer Reform des Ehegattensplittings in Angst versetzen, damit der Alleinverdiener-Haushalt mit 300 000 Euro im Jahr am Ende noch etwas obendrauf bekommt“, sagte der frühere NRW-Finanzminister unserer Redaktion.
Nach derzeitigem Recht habe ein Alleinverdiener-Haushalt mit 300 000 Euro Jahreseinkommen durch das Ehegattensplitting einen Steuervorteil von fast 10 500 Euro im Jahr. Ein Haushalt mit zwei Verdienern im mittleren Bereich – 60 000 und 30 000 Euro – käme auf 950 Euro. „Unser Konzept ermöglicht dagegen eine deutliche Besserstellung für Haushalte mit Kindern, denn sie haben die Wahl, alles beim Bisherigen zu belassen oder auf die Kindergrundsicherung umzusteigen.“
„Sie wollen Familien zur Kasse bitten. Dagegen wehren wir uns, und darüber wird abgestimmt.“
Paul Ziemiak CDU-Generalsekretär
Die Union selbst will beim Ehegattensplitting nach der Wahl ebenfalls nacharbeiten und Kinder stärker berücksichtigen. Im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU heißt es: „Wir halten am Ehegattensplitting fest und wollen unabhängig davon zusätzlich Ansätze entwickeln, um Kinder positiv zu berücksichtigen. (...) Perspektivisch streben wir den vollen Grundfreibetrag für Kinder an und finden damit den Einstieg in ein Kindersplitting.“In der Sache liegen Union und SPD also gar nicht so weit auseinander.
Im Juni hatte das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in einer Studie festgehalten, dass eine Abschaffung des Ehegattensplittings nicht nur Frauen auf dem Arbeitsmarkt stärken, sondern auch das Wirtschaftswachstum steigern könnte. Demnach könnten durch eine Umstellung auf eine individuelle Besteuerung von Ehepartnern „bei gleichem Steueraufkommen mehr als eine halbe Million zusätzliche Vollzeit-Arbeitskräfte zur Verfügung stehen“, heißt es in der RWI-Studie. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) könnte um bis zu 1,5 Prozent steigen.
Es würde allerdings auch Verlierer geben. Im Falle einer Abschaffung des Splittings sinke das verfügbare Einkommen für die Mehrheit der Paare mit ungleichen Einkommen. Zwar seien die Verluste relativ gering, sie träfen aber eher armutsgefährdete Einkommensgruppen und Haushalte mit zwei oder mehr Kindern, warnen die Wissenschaftler.