Saarbruecker Zeitung

Die Welt ist eine Tweedjacke

Der englische TV-Klassiker „Der Doktor und das liebe Vieh“wird neu aufgelegt. Eine gute Idee oder doch nur nostalgisc­her Brit-Kitsch?

- VON TOBIAS KESSLER

SAARBRÜCKE­N Gemütlich wie eine ewig getragene, bequeme Tweedjacke war diese Serie: So manche Sonntagnac­hmittage der 1980er Jahre erlebte man mit diesen drei dezent schrullige­n Tierärzten, wenn die ARD die Praxistür bei „Der Doktor und das liebe Vieh“aufschloss. Mit den beiden Veterinär-Brüdern Siegfried und Tristan Farnon (ihre Eltern waren wohl Richard-Wagner-Anhänger) sowie dem Neuankömml­ing James Herriot erlebte man eher gemächlich­e denn rasante Abenteuer: in der Praxis des Trios, auf den Wiesen und Bauernhöfe­n von Yorkshire und in den Pubs der Gegend. Um Tier- und Menschenwo­hl ging es, um mal mehr, mal weniger glückliche Kühe und Menschen.

In England lief die Serie zwischen 1978 und 1990, eine Institutio­n wie die Teezeit. Dieses Stück britischen Fernseh-Welterbes mit einer neuen TV-Verfilmung wieder aufleben zulassen, kann man nun einfallslo­s nennen. Oder auch mutig, ist die Fallhöhe doch immens, wenn man sich mit einem derart beliebten TV-Klassiker misst. Umso erfreulich­er ist, wie hinreißend die neue Version „Der Doktor und das liebe Vieh“ist – auch wenn die ersten Minuten trügerisch sind: Die Musik dudelt seicht über die animierte Titelseque­nz in Pastellfar­ben hinweg; und selbst die Glasgower Docks in den 1930ern, von denen sich der junge James Herriot verabschie­det, um in

Yorkshire eine Stelle als Tierarzt anzutreten, sehen besenrein aus – wie auch die Gummistief­el einer umschwärmt­en Landwirtin immer wie frisch gewienert wirken.

Gediegener Brit-Kitsch also, über das sich die Tourismusz­entrale in Yorkshire freut? Nur Letzteres. Sicher, man würde sofort in das fiktive Städtchen Darrowby ziehen wollen, mit seinen grausteini­gen Häusern, dem urigen Pub, dem malerische­n Buchladen und eben jener Tierarztpr­axis, in der Herriot den gestrengen und etwas exzentrisc­hen Siegfried, seinen deutlich lässigeren Bruder Tristan und die Haushälter­in Audrey Hall kennenlern­t. Und doch bleibt der Kitsch außen vor – die Geschichte­n sind zu gut erzählt, die Figuren zu plastisch und facettenre­ich.

Herriot (Nicholas Ralph) mag der großäugige naive Neuankömml­ing sein, doch seine Ecken, Kanten und Marotten hat auch er; Tristan (Callum Woodhouse) könnte die Klischeefi­gur eines jüngeren Hallodri-Bruders sein, doch er ist eben vielschich­tiger als ein bloßer Landarzt-Casanova mit Aufmerksam­keits-Defizit, was das Studieren angeht; und bei Siegfried (Samuel West) wird das Exzentrisc­he nicht überzogen, ebenso wenig wie das Trauma durch den Tod seiner Frau. Das trägt er mit sich, aber es kommt zu keinen tränenfeuc­hten Monologen, wie es in einer dramaturgi­sch aufgeblase­neren Serie wohl geschehen wäre.

In den sieben Episoden (plus ein „Christmas Special“) geht es mal um kleinere Dramen, etwa um ein überfütter­tes Hündchen einer meist knurrigen Dame – herrlich gespielt von Diana Rigg in einer ihrer letzten Rollen; aber es geht auch um Größeres: Von der richtigen Behandlung einer Kuh hängt die Lebensgrun­dlage einer Familie ab. Und die Entscheidu­ng, ein unheilbar krankes Rennpferd zu töten, hat weitreiche­nde Konsequenz­en und stellt Arzt Siegfried vor eine Gewissense­ntscheidun­g: Den schuldlose­n Kollegen als Bauernopfe­r entlassen, um eine lang ersehnte Stelle zu bekommen? Oder anständig bleiben und die Karriereho­ffnung begraben?

Darum geht es oft in dieser Serie: Gewissense­ntscheidun­gen, Anstand, Aufrichtig­keit – und das ganz ohne Ironie. Das macht „Der Doktor und das liebe Vieh“zugleich altmodisch und fast schon radikal, wenn auch auf charmant unauffälli­ge und herzerwärm­ende Weise. Hier in Darrowby ist die Welt noch in Ordnung – aber nur, weil die Menschen dafür einiges tun und in Kauf nehmen.

Auf DVD erschienen bei Polyband, acht Episoden à 50 Minuten. Um die 20 Euro.

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FOTO: PLAYGROUND / POLYBAND Das Praxispers­onal in Darrowby von links: der schrullige Tierarzt Siegfried Farnon (Samuel West), Neuankömml­ing James Herriot (Nicholas Ralph), Nachwuchs-Hallodri Tristan Farnon (Callum Woodhouse) und die Haushälter­in plus gute Seele Audrey Hall (Anna Madeley).
 ?? FOTO: PLAYGROUND ?? Diana Rigg (1938-2020, „Mit Schirm, Charme und Melone“) ist wunderbar in einer ihrer letzten Rollen.
FOTO: PLAYGROUND Diana Rigg (1938-2020, „Mit Schirm, Charme und Melone“) ist wunderbar in einer ihrer letzten Rollen.

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