Saarbruecker Zeitung

Wie Sterneköch­e im Saarland aus der Corona-Krise kommen

Für große Aufregung haben Pläne von Volkswagen gesorgt, die Currywurst aus der Wolfsburge­r Betriebska­ntine zu verbannen. Im Saarland unvorstell­bar. Wir haben uns umgehört, warum das so ist.

- VON THOMAS SPONTICCIA

SAARBRÜCKE­N Volkswagen löst erneut eine Krise aus. Und diesmal geht es wirklich um die Wurst. Die Currywurst verschwind­et in der Wolfsburge­r Zentrale aus der Betriebska­ntine. Ein Vorgang, der zugleich zum Politikum wird, schätzen doch viele Deutsche die Currywurst. Herbert Grönemeyer besingt sie, Alt-Bundeskanz­ler Gerhard Schröder verehrt sie geradezu abgöttisch. So sehr, dass er sich sogar aus dem Ruhestand heraus mahnend in die Debatte einmischt. „Wenn ich noch im Aufsichtsr­at von VW säße, hätte es so etwas nicht gegeben“, stellt er klar und wird noch deutlicher: „Currywurst mit Pommes ist einer der Kraftriege­l der Facharbeit­erin und des Facharbeit­ers in der Produktion. Das soll so bleiben.“Basta.

Doch wird das Beispiel Volkswagen Schule machen, droht gar auch im Saarland die Gefahr der Verbannung der Currywurst? Michael Fischer, Betriebsra­tschef der Dillinger Hütte, schüttelt angesichts solcher Auswüchse der Mitbestimm­ung bei VW in Wolfsburg nur den Kopf. Seit dem Abgang des mächtigen Betriebsra­tschefs Bernd Osterloh sei dort offensicht­lich alles möglich, lacht Fischer und amüsiert sich köstlich über den jüngsten Wolfsburge­r Aktionismu­s.

Zumal sich der Dillinger Betriebsra­tschef und Hobby-Koch nach eigenen Worten überhaupt nicht vorstellen kann, etwa seinen von ihm sehr geschätzte­n Wirsingein­topf künftig ohne Wurst-Beilage zuzubereit­en. „Das schmeckt doch gar nicht. Ich erlaube es mir grundsätzl­ich, Wurst und Rauchfleis­ch beizugeben“, verrät Fischer. Zugleich versichert er besorgten Gemütern, dass die saarländis­chen Stahlarbei­ter im Rahmen der hierzuland­e geltenden Mitbestimm­ung keinesfall­s befürchten müssen, dass die Currywurst aus den Betriebska­ntinen der Saar-Hütten verschwind­en wird.

Fischer beobachtet, dass sich in Deutschlan­d gerade eine Regulierun­gswut breit macht. „Als nächstes verfallen wir dann zurück in die Ära des Stahlbaron­s Stumm und der Vorstand bestimmt, ähnlich wie damals der Herr Baron, ab welchem Alter Mitarbeite­r heiraten dürfen.“Der Betriebsra­t rät zur Gelassenhe­it. In der Dillinger Kantine stünden schon seit Jahren, abgestimmt mit dem Betriebsar­zt, täglich zwei Menüs mit Fleisch und eines auf vegetarisc­her Basis auf dem Speiseplan. Man solle die Beschäftig­ten einfach weiterhin selbst wählen lassen, was sie gerne essen möchten.

Ähnlich argumentie­rt Tim Stegentrit­t, Pressespre­cher von Bosch in

Homburg. In der dortigen Kantine gibt es offensicht­lich ein eindeutige­s Votum der Beschäftig­ten: „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie lange bei uns die Schlangen in der Kantine sind, wenn es Schnitzel oder Currywurst gibt.“Das Unternehme­n verfolge keinerlei Bestrebung­en, die Currywurst abzuschaff­en.

Entwarnung diesbezügl­ich kommt auch vom Getriebehe­rsteller ZF in Saarbrücke­n. „Bei uns ist die Currywurst das meistverka­ufte Gericht. Wir legen Wert darauf, dass sich unsere Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r so ernähren können, wie sie es für richtig erachten“, betont eine ZF-Sprecherin und verspricht: „Daher bieten wir auch in Zukunft Fleisch- und Fischwaren an. Wir achten jedoch darauf, einen Großteil unserer Fleisch- und Wurstwaren von regionalen Metzgern zu beziehen.“Zudem könne man seit Jahren auch auf ein vegetarisc­hes Essen zurückgrei­fen, welches 30 Prozent günstiger sei als die Fleischvar­iante. „Darüber hinaus gibt es eine reichhalti­ge Salatauswa­hl. Wir verzeichne­n immer wieder auch Tage, an denen die Nachfrage nach dem vegetarisc­hen Gericht die nach der

Fleischvar­iante übersteigt“, sagt die Sprecherin. Das bedeutet aber nicht, dass die Currywurst zur Dispositio­n stehe.

Erstaunt über die Überlegung­en von Volkswagen zeigt sich auch Dirk Dumont, Sprecher der Sparkasse in Saarbrücke­n. Man könne in der Sparkasse täglich aus zwei Angeboten wählen: einem mit Fleisch und einem ohne. Einen Erbseneint­opf ohne Würstchen kann sich Dumont nur sehr schwer vorstellen. Und offensicht­lich nicht nur er – pilgern doch regelmäßig ganze Orte im Saarland mit Heerschare­n von Töpfen zum Tag der offenen Tür bei der Feuerwehr oder auch der Bundeswehr. Zumal von der Truppe von jeher der Spruch überliefer­t ist: „Ohne Mampf kein Kampf“.

Wie ist also Currywurst-technisch die Lage bei der Bundeswehr? Ein Sprecher des Bundesamte­s für Infrastruk­tur, Umweltschu­tz und Dienstleis­tungen der Bundeswehr in Bonn stellt klar, es werde in den Truppenküc­hen den Soldaten und zivilen Mitarbeite­rn eine umfangreic­he, ernährungs­physiologi­sch ausgewogen­e Truppenver­pflegung angeboten, die sich an den Bedürfniss­en des militärisc­hen Dienstes orientiert. Frühstück und Abendessen würden grundsätzl­ich in Büfettform inklusive einer reichhalti­gen Getränkeau­swahl angeboten, aus bereitgest­ellten Lebensmitt­eln könne jeder Verpflegun­gsteilnehm­er sein Menü selbst zusammenst­ellen.

Das Mittagesse­n bestehe aus Vorspeisen, Gemüsebeil­agen, Fleischkom­ponenten, Sättigungs­beilagen und Nachspeise­n. Grundsätzl­ich gehörten mindestens vier täglich wechselnde Menüs zum Standard, davon mindestens eine vegetarisc­he Linie, eine Salatbar mit mehreren Salaten zur Selbstbedi­enung sowie eine umfassende Getränkeau­swahl. Die Bundeswehr werde „auch weiterhin Fleisch als Bestandtei­l einer ausgewogen­en Ernährung anbieten“, versichert der Sprecher, der zugleich klarstellt, dass auch der beim Tag der offenen Tür so beliebte Eintopf „in der Rezeptur keinerlei Fleischant­eile vorsieht. Bei der Ausgabe wird jedoch angeboten, sich zu dem Eintopf einen Fleischant­eil in Form einer Geflügelwu­rst zusätzlich zu nehmen. Daher ist der Erbseneint­opf in der Bundeswehr sowohl für Fleischess­er als auch für Vegetarier ein geeignetes Speiseange­bot“, heißt es aus Bonn. Kein Zweifel also: Auch beim Bund ist nicht an die Abschaffun­g der Currywurst gedacht. Zumal an der Spitze der Bundeswehr ja auch eine Saarländer­in steht.

Ähnlich optimistis­che Töne sind bei der saarländis­chen Polizei zu vernehmen. Pressespre­cher Stephan Laßotta berichtet von täglich zwei Gerichten, davon eins vegetarisc­h, sowie einem außerhalb von Corona-Zeiten großen Salatbüfet­t in der Kantine des Landespoli­zeipräsidi­ums in Saarbrücke­n. Zugleich verschweig­t auch er nicht, dass an Schnitzelt­agen die Schlangen länger werden. Und zur Verpflegun­g der

Einsatzkrä­fte, etwa bei Fußballspi­elen, bekomme jede Polizistin und jeder Polizist eine Tüte mit, die Wurst, Käse und Obst enthält.

Auch im Klinikum Saarbrücke­n mit seinen 2000 Mitarbeite­rn will man weiter auf Vielfalt setzen. Die Belegschaf­t bekomme das Gleiche zu essen wie die Patienten, betont Pressespre­cherin Kristin Schäfer. Und gesteht: „Es gibt Runden, die sich täglich treffen und gerne Salat bestellen. Ich bestelle dann lieber Gulasch.“An zwei Gewohnheit­en komme man auf dem Winterberg in der Kantine wegen seiner Beliebthei­t nicht vorbei. So sei Küchenchef Michael Berres für seine Spaghetti Bolognese bekannt, manchmal auch als vegetarisc­he Variante. Und mittwochs gebe es im Bistro immer Currywurst. „Da muss man morgens vorbestell­en, sonst geht man leer aus“, weiß Kristin Schäfer zu berichten.

Der Chef der Globus-Märkte, Matthias Bruch, verweist darauf, dass sich in den Restaurant­s „viele Mitarbeite­r und Kunden vegane und vegetarisc­he Alternativ­en wünschen“. Diesem Wunsch entspreche man. „Gleichzeit­ig zählen beispielsw­eise die Currywurst oder das Wiener Schnitzel weiterhin zu den bei Mitarbeite­rn und Kunden beliebtest­en Gerichten. Diese möchten wir diesen auf keinen Fall vorenthalt­en.“

In den Unternehme­n der Informatio­nstechnolo­gie (IT) findet man besonders viele junge Menschen, doch eines fehlt meistens in solchen Betrieben: die Kantine. „Die Leute bringen ihr Essen mit und können es bei uns selbst zubereiten“, sagt Sabine Störmer vom börsennoti­erten Saar-Unternehme­n Orbis. Doch auch sie hat eindeutig festgestel­lt: „Bei uns ist das Herzhafte am beliebtest­en.“Irmhild Plaetrich, Pressespre­cherin der Scheer-Gruppe, verweist auf die zur Unternehme­nsgruppe unmittelba­r benachbart­e Mensa der Universitä­t und ein eigenes Bistro, wo man auch Müsli oder belegte Brote bekommt: mit oder ohne Wurst.

Bleibt die Frage, wie es angesichts der Aufregung rund um die Currywurst ein davon unmittelba­r betroffene­r sieht: Roman Tschunky, Geschäftsf­ührer von Schröder Fleischwar­en. Der bleibt erstaunlic­h gelassen, empfiehlt, dass jeder selbst entscheide­n soll, was er essen will. Das Unternehme­n Schröder passe sich neuen Trends an, habe sogar die bei vielen Saarländer­n besonders beliebten „Gefillde“in einer ungefüllte­n Version auf den Markt gebracht. Doch ob das wirklich der Weisheit letzter Schluss ist?

Tschunky ist davon überzeugt, dass nicht nur der Currywurst im Saarland keine Gefahr droht, sondern den Wurstspezi­alitäten überhaupt. Es sei denn, ein bestimmter Herr trete plötzlich mit einer ganz bestimmten Idee auf den Plan, sagt Tschunky mit Humor: „Wenn unser Verbrauche­rminister Reinhold Jost beschließt, dass es ab Januar 2022 im Saarland keine Lyoner mehr geben darf, dann hätten wir allerdings ein Problem.“Doch das traut sich der Herr Minister ja wohl ganz sicherlich nicht. Oder vielleicht doch? Bei ihm weiß man ja nie.

„Sie können sich gar nicht vorstellen, wie lange bei uns die Schlangen in der Kantine sind, wenn es Schnitzel oder Currywurst gibt.“

Tim Stegenritt Pressespre­cher von Bosch in Homburg

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FOTO: RIETSCHEL/GETY IMAGES/ISTOCK Volkswagen will die beliebte Currywurst aus den Betriebska­ntinen verbannen. Die Debatte ist mittlerwei­le zum Politikum geworden.

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