Wie Sterneköche im Saarland aus der Corona-Krise kommen
Für große Aufregung haben Pläne von Volkswagen gesorgt, die Currywurst aus der Wolfsburger Betriebskantine zu verbannen. Im Saarland unvorstellbar. Wir haben uns umgehört, warum das so ist.
SAARBRÜCKEN Volkswagen löst erneut eine Krise aus. Und diesmal geht es wirklich um die Wurst. Die Currywurst verschwindet in der Wolfsburger Zentrale aus der Betriebskantine. Ein Vorgang, der zugleich zum Politikum wird, schätzen doch viele Deutsche die Currywurst. Herbert Grönemeyer besingt sie, Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder verehrt sie geradezu abgöttisch. So sehr, dass er sich sogar aus dem Ruhestand heraus mahnend in die Debatte einmischt. „Wenn ich noch im Aufsichtsrat von VW säße, hätte es so etwas nicht gegeben“, stellt er klar und wird noch deutlicher: „Currywurst mit Pommes ist einer der Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters in der Produktion. Das soll so bleiben.“Basta.
Doch wird das Beispiel Volkswagen Schule machen, droht gar auch im Saarland die Gefahr der Verbannung der Currywurst? Michael Fischer, Betriebsratschef der Dillinger Hütte, schüttelt angesichts solcher Auswüchse der Mitbestimmung bei VW in Wolfsburg nur den Kopf. Seit dem Abgang des mächtigen Betriebsratschefs Bernd Osterloh sei dort offensichtlich alles möglich, lacht Fischer und amüsiert sich köstlich über den jüngsten Wolfsburger Aktionismus.
Zumal sich der Dillinger Betriebsratschef und Hobby-Koch nach eigenen Worten überhaupt nicht vorstellen kann, etwa seinen von ihm sehr geschätzten Wirsingeintopf künftig ohne Wurst-Beilage zuzubereiten. „Das schmeckt doch gar nicht. Ich erlaube es mir grundsätzlich, Wurst und Rauchfleisch beizugeben“, verrät Fischer. Zugleich versichert er besorgten Gemütern, dass die saarländischen Stahlarbeiter im Rahmen der hierzulande geltenden Mitbestimmung keinesfalls befürchten müssen, dass die Currywurst aus den Betriebskantinen der Saar-Hütten verschwinden wird.
Fischer beobachtet, dass sich in Deutschland gerade eine Regulierungswut breit macht. „Als nächstes verfallen wir dann zurück in die Ära des Stahlbarons Stumm und der Vorstand bestimmt, ähnlich wie damals der Herr Baron, ab welchem Alter Mitarbeiter heiraten dürfen.“Der Betriebsrat rät zur Gelassenheit. In der Dillinger Kantine stünden schon seit Jahren, abgestimmt mit dem Betriebsarzt, täglich zwei Menüs mit Fleisch und eines auf vegetarischer Basis auf dem Speiseplan. Man solle die Beschäftigten einfach weiterhin selbst wählen lassen, was sie gerne essen möchten.
Ähnlich argumentiert Tim Stegentritt, Pressesprecher von Bosch in
Homburg. In der dortigen Kantine gibt es offensichtlich ein eindeutiges Votum der Beschäftigten: „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie lange bei uns die Schlangen in der Kantine sind, wenn es Schnitzel oder Currywurst gibt.“Das Unternehmen verfolge keinerlei Bestrebungen, die Currywurst abzuschaffen.
Entwarnung diesbezüglich kommt auch vom Getriebehersteller ZF in Saarbrücken. „Bei uns ist die Currywurst das meistverkaufte Gericht. Wir legen Wert darauf, dass sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so ernähren können, wie sie es für richtig erachten“, betont eine ZF-Sprecherin und verspricht: „Daher bieten wir auch in Zukunft Fleisch- und Fischwaren an. Wir achten jedoch darauf, einen Großteil unserer Fleisch- und Wurstwaren von regionalen Metzgern zu beziehen.“Zudem könne man seit Jahren auch auf ein vegetarisches Essen zurückgreifen, welches 30 Prozent günstiger sei als die Fleischvariante. „Darüber hinaus gibt es eine reichhaltige Salatauswahl. Wir verzeichnen immer wieder auch Tage, an denen die Nachfrage nach dem vegetarischen Gericht die nach der
Fleischvariante übersteigt“, sagt die Sprecherin. Das bedeutet aber nicht, dass die Currywurst zur Disposition stehe.
Erstaunt über die Überlegungen von Volkswagen zeigt sich auch Dirk Dumont, Sprecher der Sparkasse in Saarbrücken. Man könne in der Sparkasse täglich aus zwei Angeboten wählen: einem mit Fleisch und einem ohne. Einen Erbseneintopf ohne Würstchen kann sich Dumont nur sehr schwer vorstellen. Und offensichtlich nicht nur er – pilgern doch regelmäßig ganze Orte im Saarland mit Heerscharen von Töpfen zum Tag der offenen Tür bei der Feuerwehr oder auch der Bundeswehr. Zumal von der Truppe von jeher der Spruch überliefert ist: „Ohne Mampf kein Kampf“.
Wie ist also Currywurst-technisch die Lage bei der Bundeswehr? Ein Sprecher des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr in Bonn stellt klar, es werde in den Truppenküchen den Soldaten und zivilen Mitarbeitern eine umfangreiche, ernährungsphysiologisch ausgewogene Truppenverpflegung angeboten, die sich an den Bedürfnissen des militärischen Dienstes orientiert. Frühstück und Abendessen würden grundsätzlich in Büfettform inklusive einer reichhaltigen Getränkeauswahl angeboten, aus bereitgestellten Lebensmitteln könne jeder Verpflegungsteilnehmer sein Menü selbst zusammenstellen.
Das Mittagessen bestehe aus Vorspeisen, Gemüsebeilagen, Fleischkomponenten, Sättigungsbeilagen und Nachspeisen. Grundsätzlich gehörten mindestens vier täglich wechselnde Menüs zum Standard, davon mindestens eine vegetarische Linie, eine Salatbar mit mehreren Salaten zur Selbstbedienung sowie eine umfassende Getränkeauswahl. Die Bundeswehr werde „auch weiterhin Fleisch als Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung anbieten“, versichert der Sprecher, der zugleich klarstellt, dass auch der beim Tag der offenen Tür so beliebte Eintopf „in der Rezeptur keinerlei Fleischanteile vorsieht. Bei der Ausgabe wird jedoch angeboten, sich zu dem Eintopf einen Fleischanteil in Form einer Geflügelwurst zusätzlich zu nehmen. Daher ist der Erbseneintopf in der Bundeswehr sowohl für Fleischesser als auch für Vegetarier ein geeignetes Speiseangebot“, heißt es aus Bonn. Kein Zweifel also: Auch beim Bund ist nicht an die Abschaffung der Currywurst gedacht. Zumal an der Spitze der Bundeswehr ja auch eine Saarländerin steht.
Ähnlich optimistische Töne sind bei der saarländischen Polizei zu vernehmen. Pressesprecher Stephan Laßotta berichtet von täglich zwei Gerichten, davon eins vegetarisch, sowie einem außerhalb von Corona-Zeiten großen Salatbüfett in der Kantine des Landespolizeipräsidiums in Saarbrücken. Zugleich verschweigt auch er nicht, dass an Schnitzeltagen die Schlangen länger werden. Und zur Verpflegung der
Einsatzkräfte, etwa bei Fußballspielen, bekomme jede Polizistin und jeder Polizist eine Tüte mit, die Wurst, Käse und Obst enthält.
Auch im Klinikum Saarbrücken mit seinen 2000 Mitarbeitern will man weiter auf Vielfalt setzen. Die Belegschaft bekomme das Gleiche zu essen wie die Patienten, betont Pressesprecherin Kristin Schäfer. Und gesteht: „Es gibt Runden, die sich täglich treffen und gerne Salat bestellen. Ich bestelle dann lieber Gulasch.“An zwei Gewohnheiten komme man auf dem Winterberg in der Kantine wegen seiner Beliebtheit nicht vorbei. So sei Küchenchef Michael Berres für seine Spaghetti Bolognese bekannt, manchmal auch als vegetarische Variante. Und mittwochs gebe es im Bistro immer Currywurst. „Da muss man morgens vorbestellen, sonst geht man leer aus“, weiß Kristin Schäfer zu berichten.
Der Chef der Globus-Märkte, Matthias Bruch, verweist darauf, dass sich in den Restaurants „viele Mitarbeiter und Kunden vegane und vegetarische Alternativen wünschen“. Diesem Wunsch entspreche man. „Gleichzeitig zählen beispielsweise die Currywurst oder das Wiener Schnitzel weiterhin zu den bei Mitarbeitern und Kunden beliebtesten Gerichten. Diese möchten wir diesen auf keinen Fall vorenthalten.“
In den Unternehmen der Informationstechnologie (IT) findet man besonders viele junge Menschen, doch eines fehlt meistens in solchen Betrieben: die Kantine. „Die Leute bringen ihr Essen mit und können es bei uns selbst zubereiten“, sagt Sabine Störmer vom börsennotierten Saar-Unternehmen Orbis. Doch auch sie hat eindeutig festgestellt: „Bei uns ist das Herzhafte am beliebtesten.“Irmhild Plaetrich, Pressesprecherin der Scheer-Gruppe, verweist auf die zur Unternehmensgruppe unmittelbar benachbarte Mensa der Universität und ein eigenes Bistro, wo man auch Müsli oder belegte Brote bekommt: mit oder ohne Wurst.
Bleibt die Frage, wie es angesichts der Aufregung rund um die Currywurst ein davon unmittelbar betroffener sieht: Roman Tschunky, Geschäftsführer von Schröder Fleischwaren. Der bleibt erstaunlich gelassen, empfiehlt, dass jeder selbst entscheiden soll, was er essen will. Das Unternehmen Schröder passe sich neuen Trends an, habe sogar die bei vielen Saarländern besonders beliebten „Gefillde“in einer ungefüllten Version auf den Markt gebracht. Doch ob das wirklich der Weisheit letzter Schluss ist?
Tschunky ist davon überzeugt, dass nicht nur der Currywurst im Saarland keine Gefahr droht, sondern den Wurstspezialitäten überhaupt. Es sei denn, ein bestimmter Herr trete plötzlich mit einer ganz bestimmten Idee auf den Plan, sagt Tschunky mit Humor: „Wenn unser Verbraucherminister Reinhold Jost beschließt, dass es ab Januar 2022 im Saarland keine Lyoner mehr geben darf, dann hätten wir allerdings ein Problem.“Doch das traut sich der Herr Minister ja wohl ganz sicherlich nicht. Oder vielleicht doch? Bei ihm weiß man ja nie.
„Sie können sich gar nicht vorstellen, wie lange bei uns die Schlangen in der Kantine sind, wenn es Schnitzel oder Currywurst gibt.“
Tim Stegenritt Pressesprecher von Bosch in Homburg