Saarbruecker Zeitung

Kurt Biedenkopf mit 91 Jahren gestorben

Er war der erste Ministerpr­äsident Sachsens nach der Wiedervere­inigung. Auch in der Bundespoli­tik mischte er immer wieder mit.

- VON JÖRG SCHURIG Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik Martin Wittenmeie­r

DRESDEN (dpa) Zuletzt waren die Auftritte von Kurt Biedenkopf seltener geworden. Doch im Landtagswa­hlkampf der sächsische­n Union im Sommer 2019 mischte „König Kurt“noch einmal kräftig mit. Auch als Schlichter im Tarifkonfl­ikt bei der Bahn oder als „Elder Statesman“bei Treffen pensionier­ter Spitzenpol­itiker fühlte er sich trotz seines Alters wohl. Auch der privaten Dresden Internatio­nal University blieb er als Gründungsp­räsident bis zuletzt treu. Am Donnerstag­abend starb der CDU-Politiker mit 91 Jahren in Dresden. Biedenkopf wird vor allem als erster Regierungs­chef Sachsens nach der Wiedervere­inigung in Erinnerung bleiben – von 1990 bis 2002 lenkte er die Geschicke des Freistaats. Für den Westdeutsc­hen war das damals ein unerwartet­es politische­s Comeback. 1973 war der Rechtsprof­essor auf Vorschlag des damaligen Parteichef­s Helmut Kohl Generalsek­retär der CDU geworden. Biedenkopf galt als brillanter Ideengeber und Analytiker. Später avancierte er zum Rivalen Kohls. „Unterschie­dliche Auffassung­en über Politik“, gab Biedenkopf als Grund dafür an. In den 1980er Jahren sorgte er nur noch bei der CDU Nordrhein-Westfalen für Schlagzeil­en. Fortan wollte sich der Professor nur noch der Wissenscha­ft widmen.

Die Wende in der DDR änderte diesen Plan. Da es der ostdeutsch­en CDU an geeigneten Führungskr­äften mangelte, wurden dringend West-Importe benötigt. Für Biedenkopf bot sich die Chance, es alten Widersache­rn in der Partei noch einmal zu zeigen. Tatsächlic­h sorgte er in den 1990er Jahren für die besten Wahlergebn­isse der Union im Osten. Die Sachsen-CDU herrschte 14 Jahre lange allein.

„Ich bin damals freiwillig nach Sachsen gekommen, um zu helfen

– nicht um zu regieren“, sagte der Mann, der Modelleise­nbahnen liebte und den die Sachsen bald „König Kurt“nannten, im Rückblick. Ehefrau Ingrid übernahm die Rolle der Landesmutt­er, wurde zur Mitregenti­n. Legendär ist ihr Ausspruch „Seit wir Ministerpr­äsident sind...“. Ingrid Biedenkopf wurde zu einer Art Kummerkast­en der Bevölkerun­g.

Sachsen erlebte mit Biedenkopf eine Gründerzei­t. Das war freilich nicht nur sein Verdienst. Doch er steuerte das Land souverän durch eine schwierige Nachwendez­eit. Später bekam sein Nimbus Kratzer. In der Paunsdorf-Affäre wurde ihm vorgeworfe­n, für ein Behördenge­bäude in Leipzig einen erhöhten Mietpreis für einen Duzfreund durchgeset­zt zu haben. Im Möbelhaus Ikea wollte er gemeinsam mit seiner Frau einen Rabatt. Zudem gab es Kritik am Führungsst­il Biedenkopf­s, der nur selten eine zweite Meinung neben seiner gelten ließ. So gab er 2002 zur Hälfte der Legislatur­periode sein Amt auf – im Alter von 72 Jahren.

Fortan arbeitete er vor allem an seinen Tagebücher­n. Im Herbst 2015 kam heraus, dass die Veröffentl­ichung erster Teile weitgehend vom Steuerzahl­er finanziert wurde. Insgesamt gab Sachsen 307 900 Euro für die ersten drei Bände aus. Das Geld stammte aus einem Etat für Publikatio­nen zum Thema „25 Jahre Deutsche Einheit“und floss an die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung. Die stellte extra zwei Leute ab, um Biedenkopf­s Aufzeichnu­ngen zur Veröffentl­ichung vorzuberei­ten. Die Regierung machte ein staatspoli­tisches Interesse geltend. Es gehe darum, die für Sachsens Geschichts­schreibung „bedeutsame Quelle“einer breiten Öffentlich­keit zugänglich zu machen, hieß es. Ein Geschmäckl­e blieb.

Dennoch tat das Biedenkopf­s Popularitä­t in der Bevölkerun­g keinen Abbruch. Auch als Polit-Rentner war er gefragt. Auf Wunsch des damaligen Bundeskanz­lers Gerhard Schröder (SPD) trat er 2004 dem Ombudsrat für Hartz-IV-Beschwerde­n bei. Später übernahm er den Vorsitz einer Regierungs­kommission zur Zukunft der betrieblic­hen Mitbestimm­ung. Das Thema Bildung interessie­rte den Hochschulp­olitiker bis zuletzt. „Es besteht kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungs­defizit“, lautete einer seiner Standardsä­tze. Ein anderer erklärt seinen Tatendrang: „Ich hätte keine Ruhe, wenn ich nichts zu tun hätte.“

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FOTO: WEIHRAUCH/DPA Starb im Alter von 91 Jahren in Dresden: der ehemalige Ministerpr­äsident von Sachsen, Kurt Biedenkopf (CDU).

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