Weiter Streit um Impfquote – Frankreich vor neuen Demos
Sollte ein Unterschied zwischen Geimpften und Getesteten gemacht werden? Die Debatte darüber läuft in Deutschland heiß. Auch in anderen Ländern stellt sich diese Frage.
PARIS/BERLIN/SAARBRÜCKEN (dpa) Nach der umstrittenen Einführung strengerer Corona-Regeln mit dem angekündigten Ende kostenloser Tests ist in Frankreich die Impfquote weiter gestiegen. 67,4 Prozent der Bevölkerung hätten inzwischen mindestens eine Impfung und 56,4 Prozent auch die zweite Impfung erhalten, teilten die Gesundheitsbehörden am Freitag in Paris mit.
Um die Impfquote im Land zu erhöhen, hatte Frankreichs Regierung unter anderem eine Impfpflicht für Pflegepersonal bis zum 15. September beschlossen – und massive Proteste in der Bevölkerung ausgelöst.
An diesem Wochenende werden zum fünften Mal in Folge Massenproteste gegen die Impfpflicht, Quoten und weitere verschärfte Corona-Regeln erwartet. So auch gegen den Gesundheitspass mit dem Nachweis von Impfung, Genesung oder Negativ-Test, der seit Anfang der Woche unter anderem zum Besuch der Gastronomie verlangt wird.
Die Bundesregierung setzt im Streit um Impfquoten und Zutrittsregeln im öffentlichen Raum ebenso auf mehr Impfungen. „Mit dem Ende des Sommerurlaubs bauen wir auf noch mehr Impftempo in allen Altersgruppen“, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag. Vollständig geimpft seien inzwischen 56,6 Prozent der Bevölkerung, erstgeimpft 63 Prozent. Um die Impfzahlen in Deutschland hatte es zuletzt Unklarheiten gegeben. Nach einer Befragung des Robert-Koch-Instituts (RKI) sind mehr Menschen geimpft als offiziell gemeldet, vor allem Menschen unter 60 Jahren.
Derweil erhöhte sich die Sieben-Tage-Inzidenz der Corona-Infektionen in Deutschland am Freitag binnen einer Woche um rund ein Drittel auf 30,1. Im Saarland stieg sie nach RKI-Angaben auf 35,8, nach 35,5 am Vortag. Der Regionalverband Saarbrücken überschritt als einziger Saar-Landkreis die Inzidenz von 50.
BERLIN (dpa) „3G“oder „2G“? In Deutschland soll spätestens vom 23. August an die „3G“-Regel beim Zugang zu bestimmten Innenräumen greifen. Wer dann beispielsweise in Klinken, Fitnessstudios oder in Restaurants möchte, darf dies nur noch, wenn er oder sie geimpft, genesen oder frisch negativ getestet ist. Doch Testen könnte schon bald nicht mehr ausreichen – „3G“würde zu „2G“. Das würde auch den Druck auf Impfunwillige erhöhen. In anderen europäischen Ländern ist „2G“noch eine Rarität – mit Ausnahmen.
In Belgien gibt es kaum Vorteile für Geimpfte. Ab Freitag ist ein sogenanntes Covid Safe Ticket für Geimpfte, Genesene oder frisch Getestete vorgesehen, das den Besuch von Veranstaltungen ab 1500 Menschen ermöglichen soll. Gaststätten können auch ohne eines der drei „G“besucht werden – drinnen und draußen. Nur Reiserückkehrer können unter bestimmten Umständen etwa von Quarantäneregeln befreit werden, wenn sie geimpft sind.
Dänemark hatte im EU-Vergleich besonders früh auf einen Corona-Pass gesetzt, mit dem man bei Sportveranstaltungen, Konzerten, im Restaurant, Museum, Kino und anderswo Impfung, Genesung oder Test vorweisen konnte. Um Nicht-Geimpfte nicht zu benachteiligen, war dabei auch immer die Möglichkeit gegeben worden, per negativem Corona-Test dabei sein zu dürfen. Den Corona-Pass muss man nun im Zuge der fortlaufenden Impfkampagne mittlerweile an immer weniger Orten vorzeigen. Größere Nachteile für Ungeimpfte gibt es hier – mit Ausnahme des etwas lästigen regelmäßigen Gangs zur Teststation – also nicht.
InGroßbritannienhaben Pläne, den Einlass zu bestimmten Veranstaltungen nur für Geimpfte, Genesene oder Getestete zu erlauben, für großen Ärger in der Regierungspartei von Premierminister Boris Johnson gesorgt. Auf gesetzliche Vorschriften wurde deshalb zunächst verzichtet. Die Regierung hat stattdessen Veranstaltern wie Nachtclubs oder Fußballvereinen geraten, einen Nachweis zu verlangen. Nachdem aber vor allem Discos ankündigten, darauf zu verzichten, wurden doch die Schrauben angezogen. Zuletzt hieß es, dass von September an nun doch nur vollständig Geimpfte Zugang erhalten sollen – auch, um die abnehmende
Impfbereitschaft junger Menschen wieder anzuschieben.
In Italien gelten seit dem 6. August verschärfte Regeln. Wer nicht nachweislich geimpft, negativ getestet oder genesen ist, kann zum Beispiel nicht mehr innen im Restaurant essen. Diese Nachweise werden in Italien auch als Grüner Pass bezeichnet. Auch Kulturveranstaltungen, Museumsbesuche oder große Sportveranstaltungen sind ohne entsprechenden Nachweis tabu. Die Regierung beschloss zudem, dass Lehrer ab dem beginnenden Schuljahr einen grünen Pass brauchen. Zuvor debattierten Politik und Arbeitnehmervertreter über eine Impfpflicht für Lehrer. Mit dem Grünen Pass lässt die Regierung den Menschen zwar die Wahl, allerdings müssten sich die Lehrkräfte sehr häufig testen lassen, um zur Arbeit gehen zu können.
In den Niederlanden gibt es keine Vorzugsbehandlung für Geimpfte und Genesene. Hier gilt die „3G“-Regel für Veranstaltungen, bei denen der Sicherheitsabstand nicht eingehalten werden kann. Also haben Genesene, Geimpfte oder Getestete Zugang zu Konzerten, Vorstellungen oder Fußballspielen. Die Regierung lehnt bisher eine Vorzugsbehandlung von Geimpften ab.
Österreich kennt die „2G“-Regel in der Nachtgastronomie, allerdings versteht man darunter im Alpenland etwas anderes als in Deutschland: In Clubs und Discos kommt man seit 22. Juli nur, wenn man geimpft oder mit einem PCR-Test getestet ist. Der Nachweis einer Genesung reicht nicht mehr aus. Das Gesundheitsministerium in Wien ist der Meinung, dass noch zu wenige Studien über Ansteckungen unter Genesenen vorliegen, um eine durchgemachte Covid-19-Erkrankung als Eintrittskarte für die Nachtgastronomie zu akzeptieren. Auch Musikfestivals haben diese Regelung übernommen. Der Schutz vor einer Neuinfektion bei Genesenen „sollte jedenfalls durch eine Impfung abgesichert werden“, heißt es im Ministerium. In der beliebten Ferienregion Tirol wird in der Tourismusbranche diskutiert, ob man in der Wintersaison Zimmer nur mehr an geimpfte Gäste vergeben soll. Entschieden ist jedoch noch nichts.
In Polen gelten für Hotels und Restaurants Kapazitätsbeschränkungen. Weil Geimpfte und Genesene dabei nicht mitgezählt werden, können sie theoretisch auf ein freies Zimmer oder einen freien Tisch hoffen. In der Praxis haben die Betriebe aber keine rechtliche Grundlage, einen Impfnachweis einzusehen. Es reicht eine schriftliche Bestätigung des Gastes. Kostenlose Bürgertests gibt es nicht. Eine Debatte über weitere Privilegien für Geimpfte und Genesene beginnt gerade. Der Beauftragte für Menschenrechte, Marcin Wiacek, sagte am Donnerstag, er halte nichts davon, da möglicherweise auch von einem Geimpften eine größere Ansteckungsgefahr ausgehe als von einem frisch Getesteten mit negativem Ergebnis.
Die Regierung der Slowakei lässt ab 16. August Gastwirte und die Organisatoren von Veranstaltungen entscheiden, belohnt sie aber für das Ausschließen von Ungeimpften. Wer nur vollständig Geimpften den Zutritt erlaubt, muss sich an keine Beschränkungen der Personenzahl halten. Wer seine Besucher hingegen nicht kontrollieren oder Ungeimpfte nicht ausschließen will, muss je nach Inzidenz und Impfquote des jeweiligen Landkreises jeden zweiten oder vierten Sitzplatz leer halten. Zur Wahl steht auch eine dritte Möglichkeit, bei der ein kleinerer Teil der Plätze frei bleibt und dafür neben Geimpften auch Getestete zugelassen sind.
Auf der Iberischen Halbinsel gibt es keine Nachteile für Ungeimpfte. Und auch eine Debatte über Vorteile für Geimpfte und Genesene gibt es weder in Spanien noch in Portugal. Und das hat gute Gründe: In beiden Ländern gibt es eine hohe Impfbereitschaft und mit die besten Impfquoten in Europa. In Portugal muss man allerdings zum Besuch der Innenbereiche zahlreicher Einrichtungen oft entweder ein Impfzertifikat oder einen negativen Test vorlegen – und die Tests muss der- oder diejenige, die sich nicht gegen das Coronavirus impfen lassen möchte, ziemlich teuer bezahlen. In Spanien haben derweil nur zwei von insgesamt 17 Regionen, Galicien und die Kanaren, ähnliche Auflagen für den Besuch von Restaurants, Bars oder ähnlichem.
Tschechien: Geimpfte werden bisher nicht gegenüber Getesteten bevorzugt behandelt. Doch werden die Tests vom 1. September an in der Regel nicht mehr kostenlos sein. Eine Ausnahme gilt für Kinder bis zwölf Jahren und Personen, die sich nicht impfen lassen können. Bisher wurden monatlich die Kosten von vier Antigen- und zwei PCR-Tests übernommen. „Es ist ein riesiger Vorteil, geimpft zu sein, weil man sich nicht mehr testen lassen muss“, sagte Ministerpräsident Andrej Babis. Wer in Tschechien Gaststätten, Cafés, Kinos oder Schwimmbäder besuchen will, muss nachweislich getestet, genesen oder geimpft sein. Inzwischen sind mehr als fünf Millionen der insgesamt knapp 10,7 Millionen Einwohner des EU-Mitgliedstaats vollständig geschützt.
In Ungarn gelten derzeit kaum Beschränkungen für irgendjemanden. Ausgenommen sind Veranstaltungen mit mehr als 500 Teilnehmern. Diese dürfen nur von Geimpften und Genesenen besucht werden, ein negativer Test reicht dafür nicht aus. Grundsätzlich neigt das Land dazu, bei höheren Ansteckungszahlen Ungeimpfte zu benachteiligen. Vor den letzten Lockerungen im Frühsommer durften nur Geimpfte und Genesene Hotels, die Innenräume von Restaurants, Wellness-Einrichtungen, Theater, Kinos, Fitnessstudios und Sportstadien nutzen.
Ein Blick über Europa hinaus:
In der US-Millionenmetropole New York gibt es schon sehr weitgehende Impfnachweis-Regelungen. So muss für alle Aktivitäten in öffentlichen Innenräumen – etwa Restaurants, Fitnessstudios oder Kultureinrichtungen – ab Ende des Monats ein Impfnachweis erbracht werden. Auch für zahlreiche Großveranstaltungen gilt die Regel. So wollen die Theater des Broadway bei der Wiedereröffnung im September nur Zuschauer mit Impfnachweis zulassen. Auch alle Mitarbeiter und Schauspieler müssten geimpft sein. Gleiches kündigten die Metropolitan Opera und die Carnegie Hall an – diese beiden Spielstätten wollen sogar für Kinder unter zwölf Jahren, für die noch kein Impfstoff zugelassen ist, keine Ausnahme machen.
In Österreich reicht der Nachweis der Genesung nicht mehr aus.
Auf den größten Inseln Thailands, Phuket und Ko Samui, dürfen Menschen aus fast 70 Ländern seit einigen Wochen wieder quarantänefrei Urlaub machen – aber nur, wenn sie vollständig geimpft sind. Ungeimpfte haben keine Chance auf einen Urlaub im exotischen Paradies. Und selbst Geimpfte müssen sich während der Ferien innerhalb von zwei Wochen drei PCR-Tests unterziehen.