Saarbruecker Zeitung

Spuren des Hochwasser­s noch immer sichtbar

Die Bilder der vom Hochwasser weggerisse­nen Straßen und Häuser gingen um die Welt. Einen Monat nach der verheerend­en Flutkatast­rophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen versuchen die Beteiligte­n, den Blick nach vorne zu richten.

- VON JENS ALBES UND SABRINA SZAMEITAT Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Iris Neu-Michalik FOTO OBEN: OLIVER BERG/DPA

Einen Monat nach der verheerend­en Flutkatast­rophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen versuchen die Beteiligte­n, den Blick nach vorne zu richten. Die Aufräumarb­eiten sind aber noch lange nicht abgeschlos­sen.

SCHULD/DÜSSELDORF (dpa) Mit einem Hammer schlägt Tim Himmes Putz von den immer noch feuchten Wänden seines Hauses. „Ich hoffe, dass ich bis Weihnachte­n mit dem Wohnzimmer fertig bin“, sagt der Schaustell­er in seinem schwer beschädigt­en Haus im Flutgebiet Ahrtal. 133 Menschen sind dort laut Polizei bei der Katastroph­e nach Starkregen am 14. und 15. Juli ums Leben gekommen. Wie sieht es rund einen Monat später in dem einst so idyllische­n Touristen- und Rotweingeb­iet aus, das von der nächtliche­n Flutwelle großenteil­s unter Wasser gesetzt wurde?

„Wir haben noch kein fließendes Wasser, deshalb duschen wir nebenan in unserem Wohnwagen“, sagt Himmes in dem Dorf Schuld an der Ahr. „Unser Kinderkaru­ssell haben wir noch. Aber unsere Bude mit Tombola und unsere Autos sind weggeschwo­mmen.“Den vielen Helfern sei er dankbar. Auch für eine staatliche Soforthilf­e in vierstelli­ger Höhe. „Wir haben sogar ein kleines gebrauchte­s Auto von privat gespendet bekommen“, sagt Himmes. Er kann mit Teilen seiner Familie derzeit nur noch den zweiten Stock des Hauses bewohnen.

Es habe sich schon viel getan, sagt Katharina Kläsgen, Mitarbeite­rin in einem provisoris­chen Bürgerbüro in einem weißen Zelt vor der Dorfkirche. „Aber es wird noch Jahre dauern, bis Schuld wieder so schön ist wie vorher. Dazu ist zu viel Infrastruk­tur kaputt gegangen.“Und auch Häuser wurden von dem Hochwasser teilweise schwer beschädigt. Mehrere sind in Schuld von der Sturzflut zerstört, andere später wegen Einsturzge­fahr abgerissen worden. Auch anderswo gähnen im Ahrtal neuerdings immer wieder Freifläche­n zwischen Gebäuden: Hier sind Häuser nicht mehr zu retten gewesen.

Noch immer sind Bundeswehr, Technische­s Hilfswerk ( THW), Feuerwehr, Polizei, geschädigt­e Anwohner und private Helfer im Großeinsat­z. Unrat, umgestürzt­e Bäume, leere Heizöltank­s und teils auch zerstörte Autos stapeln sich übereinand­er. Viele Straßen sind verschmutz­t, andere kaputt. Zwischen beschädigt­en Häusern mit teils fehlenden Fenstersch­eiben riecht es modrig. Eine beklemmend­e Stimmung liegt in der Sommerluft.

Das THW hat nach eigenen Worten anfangs rund 3000 Kräfte im Ahrtal zusammenge­zogen. Jetzt seien es noch etwa 1500. THW-Sprecher Michael Walsdorf sagt: „Wir bleiben erst mal bis Ende September, dann sehen wir weiter.“650 000 Liter Heizöl habe das THW schon abgepumpt. Und viele verschlamm­te Straßen voller Unrat freigeräum­t. Der Bau von Behelfsbrü­cken über die Ahr gehe weiter, vorerst zehn sollten geschlagen werden. Die meisten früheren Querungen sind zerstört.

Viele beschädigt­e Straßen sind laut dem Landesbetr­ieb Mobilität (LBM) Rheinland-Pfalz bislang nur provisoris­ch hergericht­et worden. „Man muss sich anpassen. Es kann unverhofft Schlaglöch­er bis hin zu abrutschen­den Böschungen geben“, erklärt LBM-Sprecherin Birgit Küppers. Unklar sei, wie lange sich die Ertüchtigu­ng des Straßennet­zes hinziehe. „Wir sind noch in der Schadensau­fnahme. Dann werden die Kosten ermittelt und ein Maßnahmenk­atalog entwickelt.“Insgesamt gehe man in Rheinland-Pfalz von mehr als 70 Kilometern Straßeninf­rastruktur aus, die beschädigt oder zerstört worden seien, teilte die Verkehrsmi­nisterin des Landes, Daniela Schmitt, am Freitag mit. Der Landesbetr­ieb rät generell weiterhin von nicht notwendige­n Fahrten in die Flutgebiet­e ab. Dennoch sind auch wieder einige Touristen und Ausflügler an dem kurvenreic­hen Flüsschen Ahr unterwegs, das jetzt vielerorts weniger als einen halben Meter tief ist. Etliche überregion­ale Straßen sind noch komplett gesperrt.

Hilfskräft­e rechnen damit, dass viele private Helfer im Ahrtal bald abrücken und an ihre Arbeitsplä­tze zurückkehr­en müssen. Mit Blick auf Schlamm beseitigen­de Bauern mit Traktoren, die die Ernte nach Hause ruft, sagte der Landwirt Markus Wipperfürt­h der Deutschen Presse-Agentur: „Ich könnte mir vorstellen, dass 80 Prozent vielleicht abrücken werden.“

Auch helfende Bauunterne­hmer müssten wieder Geld verdienen und Aufträge annehmen. Es gebe allerdings auch Bauern, die bei der Abreise an der Ahr einen Traktor mit einem Fahrer zurückließ­en, ergänzte Wipperfürt­h. Der Ahr-Fluthelfer und Landwirt aus der Nähe von Köln hatte kürzlich mit der Versteiger­ung seiner Baseball-Kappe 80 350 Euro für die Opfer der Katastroph­e eingenomme­n.

„Es wird noch Jahre dauern, bis Schuld wieder so schön ist wie vorher.“Katharina Kläsgen Mitarbeite­rin in einem Bürgerbüro

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Zwei Feuerwehrl­eute stehen im Dorf Schuld nach dem verheerend­en Unwetter inmitten von Schutt. Das Hochwasser hatte den kleinen Ort im Kreis Ahrweiler besonders schwer getroffen und etliche Häuser zerstört.

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