Richter zeigen Parteien die gelbe Karte
Das Verfassungsgericht hat dem Wahlrecht, wie es die Koalition gegen die Stimmen der Opposition durchgedrückt hat, eine gelbe Karte gezeigt. Viele Passagen der Entscheidungen belegen die Bedenken des höchsten deutschen Gerichtes. Letztlich stellte es nur wegen der absehbar geringen Auswirkungen die winzige Wahlrechtsreform auf den letzten Metern nicht mehr vom Platz.
Das darf weder als Erfolg für Union und SPD noch als Schlappe für die Opposition gewertet werden. Damit sich in der nächsten Wahlperiode das Trauerspiel angesichts eines erneut zusätzlich aufgeblähten Bundestages nicht wiederholt, müssen sich alle Parteien zu einem Mentalitätswandel durchringen. Es liegt zwar nahe, dass die Union die Direktwahlkreise hochhält, weil sie davon besonders profitiert und dass die anderen Parteien an zusätzlichen Segnungen für die Landeslisten festhalten, weil ihnen das mehr Mandate bringt. Aber im Ergebnis verlieren alle: Die Wähler verstehen nicht mehr, warum es der Bundestag nicht schafft, sich selbst in einer arbeitsfähigen Größenordnung zu halten.
Eigentlich wollte der Wahlgesetzgeber von beiden Wahlrechts-Welten das Beste kombinieren: Bei reinen Verhältniswahlen geht die Bindung zur Basis verloren, bei reinen Mehrheitswahlen kommt die Opposition leicht unter die Räder. Deshalb gibt es die Kombination von Erststimme für den Direktkandidaten und Zweitstimme für das Kräfteverhältnis insgesamt. Das klappt nur so lange, wie sich wenige Volksparteien bei Erst- und Zweitstimme deutlich von kleineren Parteien abheben. Wenn die großen kleiner und die kleinen größer werden und eine Partei schon mit 20 oder 25 Prozent reihenweise Direktmandate bekommt, führt dies automatisch zu einer immer größeren Aufblähung: Dann müssen nämlich alle direkt gewonnenen Mandate der einen Seite, die über ihren Anteil an den Gesamtstimmen hinausgehen, auf der anderen Seite ausgeglichen werden.
Wer vor Ort gewählt ist, darf seinen Sitz nicht mehr verlieren. Aber er muss sich fragen lassen, was diese „Mehrheit“wert ist, wenn er zwar von allen Kandidaten die meisten Stimmen bekommen hat, aber nur ein Fünftel der Wähler hinter ihm steht. Auf der anderen Seite führt das jetzige Wahlrecht dazu, dass im Norden bei anderen Parteien zusätzliche Bewerber einziehen, die keine Chance auf ein Mandat gehabt hätten, wenn im Süden andere Wähler nicht die Erststimme Kandidaten einer anderen Partei gegeben hätten. Das sind Wahlen in Absurdistan.
Die Lösung ist ganz einfach: Der Bundestag sollte exakt aus zwei Mal 299 Abgeordneten bestehen, wie es das Wahlrecht schon jetzt vorgibt. Die ersten 299 kommen von den Landeslisten gemäß den Anteilen an den Zweitstimmen. Die zweiten 299 kommen aus den 299 Wahlkreisen mit den direkt gewählten Kandidaten. Aber nur, wenn sie beim ersten Anlauf oder bei der Stichwahl 14 Tage später die absolute Mehrheit vor Ort erringen. Dann können sich auch kleinere zusammentun und den Stärksten von ihnen durchbringen. Und der wäre wirklich Repräsentant des Wahlkreises.