Saarbruecker Zeitung

„Ein Schicksals­tag für die Deutschen“

Berlin gedenkt dem 60. Jahrestag des Mauerbaus und verneigt sich vor den Mauertoten.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN Elke Rosin war 16 Jahre alt, als ihre Familie mitsamt dem Wellensitt­ich die Bernauer Straße 11 in Berlin-Mitte für immer verließ. Vier Tage nach dem Bau der Mauer, am 17. August 1961, sprang ihr Vater als letzter der Familie aus dem Fenster des Hochparter­re auf die Westseite der Straße. Kurze Zeit später verschafft­en sich Grenzpoliz­isten Zugang zur Wohnung, verschloss­en Fenster und Jalousien. Der Familie war gerade noch die Flucht in den Westen gelungen.

Zum 60. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August 1961 steht Elke Rosin wieder in der Bernauer Straße. „Ich bekomme immer noch Gänsehaut, diese Straße darf man nie vergessen“, sagt sie in die Kameras. „Ich lebe in der Hoffnung, dass nirgends wieder solche Grenzen gezogen werden.“

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier spricht an diesem Freitag an jener Bernauer Straße. An diesem Tag vor 60 Jahren seien die schlimmste­n Befürchtun­gen wahr geworden: „Der 13. August 1961 war ein Schicksals­tag für uns Deutsche und für die Welt – und ein Tag, der Träume und Hoffnungen zerstörte, der Kinder von Eltern, Enkel von Großeltern trennte, der schmerzlic­h und leidvoll in das Leben ungezählte­r einzelner Menschen eingriff.“

Am 13. August 1961 hatte der Bau der Berliner Mauer begonnen, der die deutsche Teilung besiegelte. Das Bollwerk war rund 155 Kilometer lang und umschloss den Westteil Berlins. 45 Kilometer lang verlief die Mauer quer durch die Stadt. Erst nach mehr als 28 Jahren ging die Teilung mit dem Mauerfall am 9. November 1989 zu Ende. Allein in Berlin starben nach dem Mauerbau nach wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen mindestens 140 Menschen durch das DDR-Grenzregim­e. An der innerdeuts­chen Grenze waren laut Bundesregi­erung mindestens 260 Todesopfer zu beklagen.

Mit der Berliner Mauer sei die Teilung der Welt des Kalten Krieges buchstäbli­ch zementiert, führt Steinmeier aus. „Aber daran, dass diese Teilung mitten durch eine lebendige Stadt ging, dass sie Straßen und Wege, Plätze und Bahnlinien, Flüsse und Friedhöfe willkürlic­h teilte, daran konnten alle sehen, wie gewalttäti­g und unmenschli­ch diese Teilung war.“

Steinmeier erinnert in seiner Rede an den Satz „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“des damaligen DDR-Staats- und SED-Parteichef­s Walter Ulbricht im Juni 1961. Dieser sei „als eine der dreisteste­n Lügen in die deutsche Geschichte eingegange­n“. „Gebaut wurde die Mauer doch nicht, um eine Eroberungs­bewegung von West nach Ost zu unterbinde­n, sondern gebaut wurde sie von einem Staat, der seine eigenen Bürger in seinem Land einsperren musste, um überhaupt noch eine Zeit lang funktionie­ren zu können.“

Auch Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller verweist darauf. „Nirgendwo sonst hat sich der menschenve­rachtende Charakter der SED-Diktatur so offensicht­lich gezeigt wie bei der Mauer“, sagt der SPD-Politiker. „Bis in die 80er Jahre hinein perfektion­ierte die DDR-Führung die Innerberli­ner Grenze zu einem Bauwerk von schier unüberwind­licher Monstrosit­ät.“Trotzdem hätten viele Menschen versucht, die Mauer zu überwinden, viele hätten das mit ihrem Leben bezahlt.

Heute sei Berlin neu zusammenge­wachsen. Dies sei aber auch ein großer Triumph für jene Ostdeutsch­en, die 1989 mutig auf der Straße für ihre Freiheit demonstrie­rt und die Mauer zu Fall gebracht hätten.

Auch SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz würdigt die Leistung der DDR-Bürger. „Das ist von den Bürgerinne­n und Bürgern zustande gebracht worden – die haben die Mauer eingerisse­n“, erklärt er bei einer Gedenkvera­nstaltung in Potsdam. Grünen-Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock betonte, der Jahrestag sei „immer auch eine Mahnung für den Kampf für Freiheit, für Demokratie und für Menschenre­chte“. Auch CDU-Chef und Kanzlerkan­didat Armin Laschet erinnerte an die Maueropfer: „Das muss ein Unrechtsst­aat sein, der auf seine Menschen schießt.“Stellvertr­etend für alle Maueropfer erwähnte Laschet den 20-jährigen Chris Gueffroy, der im Februar 1989 als letztes Opfer bei einem Fluchtvers­uch im Todesstrei­fen erschossen wurde.

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FOTO: KUMM/DPA Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier legte an der Gedenkstät­te Berliner Mauer im Gedenken an die Mauertoten einen Kranz nieder.

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