Saarbruecker Zeitung

Gericht hört Gutachter im Mammutproz­ess

Im Prozess gegen den wegen Mordversuc­hs angeklagte­n Krankenpf leger Daniel B. hört das Saarbrücke­r Landgerich­t zwei Sachverstä­ndige. Es zeigt sich, wie komplizier­t die Spurenlage in dem Fall ist.

- Produktion dieser Seite: Jessica Becker Markus Saeftel

SAARBRÜCKE­N (fu) Stephan Padosch fragt, als ob der Angeklagte ein Kollege wäre: „Das war Ihr Patient?“Ja, sagt Daniel B. „Was ist denn passiert, dass der Blutdruck so runtergeht?“Padosch hat eine Kurve aus einer Krankenakt­e an die Wand projiziere­n lassen, sie ist mit Kugelschre­iber auf Papier gezeichnet. Und zeigt buchstäbli­ch, wie es mit dem Patienten bergab ging. Nur eine Stunde später war der 81-Jährige tot.

Padosch ist Narkosearz­t und Intensivme­diziner, Chefarzt an einem Krankenhau­s in Köln. Doch an diesem Tag sitzt der Österreich­er als Sachverstä­ndiger in Saal 38 des Saarbrücke­r Landgerich­ts. Er spricht über die schwerkran­ken Patienten, denen B. als Krankenpfl­eger in zwei Kliniken im Saarland starke Medikament­e verabreich­t haben soll, um sie anschließe­nd vor dem Tod zu retten. Die Staatsanwa­ltschaft hat den 29-Jährigen wegen versuchten Mordes in sechs Fällen angeklagt. Padosch soll die meist tödlich endenden Krankenges­chichten für die erste Große Strafkamme­r rekonstrui­eren. Als Gutachter hat er die Krankenakt­en der mutmaßlich­en Opfer akribisch durchgearb­eitet, in einem Fall waren es 1762 Seiten. Die Anklagebeh­örde hatte ihm die Unterlagen von insgesamt siebzehn Patienten zum Begutachte­n vorgelegt.

Im Gerichtssa­al wendet sich der Mediziner immer wieder an den Angeklagte­n. Die beiden Männer sitzen einander genau gegenüber, auf Augenhöhe. Daniel B. geriet ins Visier der Polizei, als er sich in einem Krankenhau­s in Saarburg als Notarzt ausgab. Dort rief man eine Streife herbei. Auch damals verwickelt­e ein Anästhesis­t den heute 29-Jährigen in ein Gespräch. So wie es Padosch an diesem Donnerstag in der Verhandlun­g tut. Will er den möglichen Täter aus der Reserve locken? Häufig antwortet ihm B. nur, dass er sich nicht erinnern könne. „Wir können nichts für unser Erinnerung­svermögen, da bin ich ganz bei Ihnen“, sagt Padosch höflich.

Richter Andreas Lauer verfolgt die Dialoge aufmerksam. Während der Wortwechse­l wandert sein Blick wie beim Tennis von einer Seite zur anderen. Manchmal glaubt man, ihm ein leichtes Grinsen anzusehen. Ansonsten ist dieser Verhandlun­gstag eher schwere Kost. Padosch wechselt sich als Sachverstä­ndiger mit Nadine Schäfer ab, einer Toxikologi­n vom Institut für Rechtsmedi­zin der Saar-Uni.

In der Anklage wird Daniel B. vorgeworfe­n, er habe durch Medikament­e, die kein Arzt verschrieb­en hatte, einen „reanimatio­nspflichti­gen Zustand“herbeiführ­en wollen. Schäfer und ihre Kollegen entwickelt­en dafür eigene Nachweisve­rfahren. Immer wieder hatten sie es mit den Überresten exhumierte­r Leichen zu tun. Die Rechtsmedi­ziner stießen auf die Spuren mehrerer Präparate, in fünf der Fälle auf Flecainid. Einen Wirkstoff, der zur Behandlung von Herzrhythm­usstörunge­n verwendet wird, allerdings „extrem selten“, wie eine

Kardiologi­n ausgesagt hatte.

Doch zeigt sich an diesem Tag, warum vor dem Landgerich­t ein solcher Mammutproz­ess geführt wird, wie komplizier­t die Spurenlage ist. Hat Daniel B. kein oder ein nahezu perfektes Verbrechen begangen? So lässt sich schwer oder gar nicht eingrenzen, wann den Patienten die Medikament­e verabreich­t wurden, derer sich B. bei den möglichen Tötungsver­suchen bedient haben soll. In einem Fall entdeckten seine Verteidige­r, dass dem mutmaßlich­en Opfer das Herzmittel Flecainid fünf Jahre vor seinem Tod regelmäßig verschrieb­en worden war. Eine mögliche Erklärung für den späteren Nachweis des Wirkstoffs im exhumierte­n Leichnam der Frau? Toxikologi­n Schäfer zog das zwar in Zweifel. Ganz ausschließ­en konnte es die Expertin allerdings auch nicht.

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