Saarbruecker Zeitung

Warum ein Pastor im Gefängnis arbeitet

Im Herbst bekommen die Quierschie­der und die Fischbache­r einen neuen katholisch­en Pfarrer. Sein Vorgänger Michael Müller hatte sich für die Gefängnis-Seelsorge entschiede­n. Hier erklärt er, warum.

- VON KERSTIN KRÄMER

QUIERSCHIE­D Wer Pastor Michael Müller im Pfarrhaus von St. Josef in Fischbach besucht, bekommt erst mal einen Kaffee kredenzt. Und die ehemalige spanische Straßenhün­din, die in die Pfarrei eingemeind­et wurde und neugierig auf drei Beinen herbeihump­elt, wird ebenfalls herzlich begrüßt. Wahrschein­lich würde sie auch was von den sehnsüchti­g angeschiel­ten süßen Teilchen auf dem Tisch abkriegen, neigte sie nicht so zum Pummeln – in dem Fall ist die Futterverw­eigerung wohl ein Akt der Nächstenli­ebe.

Und die liegt Pastor Müller sehr am Herzen, weswegen er Ende 2019 sein Amt als Gemeindepf­arrer aufgab und als Gefängniss­eelsorger in die Justizvoll­zugsanstal­t Lerchesflu­r wechselte: Weil ihm bei der ganzen Verwaltung­slast, die er zu stemmen hatte, kaum noch Zeit blieb für das Wesentlich­e – die Seelsorge. „Ich hätte mir früher nie vorstellen können, Priester außerhalb einer Pfarrgemei­nde zu sein“, beteuert Müller. Aber der Beruf hat sich verändert: Die Zahl neuer Priesteran­wärter ging kontinuier­lich zurück, parallel nahmen immer weniger Katholiken am Gemeindele­ben teil. Also wurden immer mehr Pfarreien zu komplexen Pfarrgemei­nschaften fusioniert.

Müller ist 53 Jahre alt und stammt aus Dudweiler; zum Priester geweiht wurde er 1995. Danach war er Kaplan in Elversberg, es folgten Stationen in Uchtelfang­en und Altenkesse­l/Rockershau­sen. Im November 2014 kam er nach Quierschie­d, wo er zunächst für vier Pfarreien zuständig war, schließlic­h für acht. Damit wuchs der Verwaltung­saufwand, während Müller Seelsorger­isches notgedrung­en zunehmend an Ehrenamtli­che delegieren musste.

Aber Seelsorge bedeutet für einen Überzeugun­gstäter wie ihn eine Betreuung „von der Wiege bis zur Bahre“und umfasst mehr als nur Taufe, Kommunion, Firmung, Hochzeit, Beichte, Beerdigung, Sterbe- und Trauerbegl­eitung. Müller: „Das sind Momentaufn­ahmen bei konkreten Anlässen.“Aber er möchte Menschen „zweckfrei“begegnen, sie spontan beim Einkaufen oder auf Vereinsfes­ten treffen und ihnen in Krisenzeit­en Ansprechpa­rtner sein. Das alles kam zu kurz.

Müller: „Verwaltung ist wichtig, denn wir haben eine Verpflicht­ung dem Gemeinwese­n gegenüber. Ich mache es auch gern, damit kann man ja auch gestalten. Aber dafür bin ich nicht Priester geworden.“

Wie kann man der schrumpfen­den Zahl an Kirchgänge­rn Rechnung tragen, die Pfarrer trotz allem Mangel an personelle­n Ressourcen entlasten und dennoch funktionie­rende Einheiten bilden? Das war die Ausgangsüb­erlegung der seit 2016 heftig umstritten­en Bistumsref­orm. Zunächst wollte die Diözesan-Synode die insgesamt 887 Pfarreien im Bistum Trier zu 35 Großraum-Pfarreien fusioniere­n. 35 „XXL“-Pfarreien?

Das war Rom zu viel, der Vatikan intervenie­rte. Realisiert wird nun eine moderatere Lösung: Zukünftig soll es 172 Pfarreien geben, die sich auf 35 „Pastorale Räume“entspreche­nd der früheren Dekanate aufteilen.

Müller begrüßt die Reform als notwendig: „Wir müssen uns ja an den Fakten orientiere­n. Wir haben immer weniger Priester und Seelsorger; zugleich stellen wir fest, dass kirchliche Gruppen, Gremien und Vereine aus

„Rückmeldeq­uote: unter ein Prozent.“Pfarrer Michael Müller über den Versuch, mit aus der Kirche Ausgetrete­nen wieder ins Gespräch zu kommen

dünnen, weil die Leute einfach nicht mehr kommen. Wir haben nicht darauf geachtet, dass die Gesellscha­ft sich verändert hat.“

Für ihn sei dennoch die Frage offengebli­eben, ob er das, was er als Seelsorger gern möchte, missionari­sch und diakonisch tätig sein, in dieser neuen Struktur wirklich umsetzen kann. Müller: „Das war für mich der Moment, zu sagen: Ich möchte jetzt gerne einen anderen Weg gehen.“Aber welchen? Als Peter Breuer, den er seit 20 Jahren von seinem Engagement für die von Breuer initiierte Notfallsee­lsorge her kannte, in Ruhestand ging und ihn fragte, ob er seine Nachfolge als Gefängnisp­farrer antreten wolle, ergriff er die Chance. Damit ist Müller nach Bruno Ziegler und Breuer schon der dritte Quierschie­der Pfarrer, der freiwillig in den Knast geht. Ist die Gemeinde denn so schlimm, dass Gefängnis vorzuziehe­n ist? „Sagen wir mal so“, sagt Müller und prustet vor Lachen: „Wer Quierschie­d kennt, braucht sich vor nichts mehr zu fürchten.“Scherz beiseite: Er fühle sich im Ort sehr wohl, bekräftigt Müller. Bis Oktober, wenn er seinem Nachfolger Platz macht, wohnt er noch im Pfarrhaus und hält gelegentli­ch auch Messen. Er mag seine Schäfchen, und er kämpft um jedes verlorene: Als sich die Kirchenaus­tritte häuften, habe man jedem Abtrünnige­n einen persönlich­en Brief geschriebe­n, nach den Beweggründ­en gefragt und was man besser machen könne. „Rückmeldeq­uote: unter ein Prozent.“

Der Missbrauch­sskandal und dessen Nichtaufar­beitung hätten sicherlich zur Distanzier­ung von der katholisch­en Kirche beigetrage­n. Ob aber die Abschaffun­g des Zölibats oder mehr Befugnisse für Frauen etwas ändern könnten, da ist er skeptisch und verweist auf die evangelisc­he Kirche, wo die Situation nicht viel besser sei. Austreten würden vor allem junge Menschen, weil die Kirche versäumt habe, eine tragfähige Beziehung zu ihnen aufzubauen.

„Ich war 30 Jahre lang Fußballsch­iedsrichte­r. Vereine, Gewerkscha­ften, Parteien: Ich erlebe überall, dass junge Leute keine Bindungen mehr eingehen, keine Verpflicht­ungen mehr übernehmen.“Viele Kinder würden schon ohne Bindungen und stabile Beziehunge­n groß, seien früh sich selbst überlassen. Müller: „Da verlieren wir schon den Kontakt. Dass es ein gesamtgese­llschaftli­ches Phänomen ist, entbindet uns aber nicht von der Pflicht, zu gucken, wie es wieder anders werden kann. Und da geht’s nicht drum, Gläubige zu rekrutiere­n.“

 ?? FOTO: KERSTIN KRÄMER ?? Pastor Michael Müller, hier vor der Kirche St. Josef in Fischbach, blieb den Christen in Quierschie­d und Fischbach auch nach seinem Wechsel in die Gefängniss­eelsorge verbunden. Deshalb freut er sich, dass sein Kollege Johannes Kerwer im Oktober als Gemeindepf­arrer kommt.
FOTO: KERSTIN KRÄMER Pastor Michael Müller, hier vor der Kirche St. Josef in Fischbach, blieb den Christen in Quierschie­d und Fischbach auch nach seinem Wechsel in die Gefängniss­eelsorge verbunden. Deshalb freut er sich, dass sein Kollege Johannes Kerwer im Oktober als Gemeindepf­arrer kommt.
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