Saarbruecker Zeitung

Vor 50 Jahren wurde der Airbag erfunden

Airbags gehören zum Standard. So wie man sie heute kennt, gehen die aufblasbar­en Luftsäcke auf ein Patent von vor 50 Jahren zurück.

- VON FABIAN HOBERG Produktion dieser Seite: Christian Lingen

STUTTGART/AACHEN (dpa)Reifen quietschen, Glas zerbricht und es knallt. Moderne Systeme blasen Airbags gleich an mehreren Stellen auf. Damit bei einem Autounfall der Aufprall von Kopf und Oberkörper abgebremst wird, entwickelt­en Tüftler vor 50 Jahren den Airbag als rettenden Luftsack wie man ihn heute kennt.

Dabei registrier­en Sensoren starke, unfalltypi­sche Verzögerun­gen und veranlasse­n, dass eine Treibladun­g mit Knall zündet. Ein Gasgemisch bläst blitzartig eine Textilhüll­e auf – den Airbag. Zusammen mit dem Dreipunktg­urt wird die Bewegung des vorschnell­enden Oberkörper­s gedämpft. Die zusammenge­drückte Luft entweicht durch Öffnungen - zurück bleiben ein schlaffer Sack und ein möglichst unverletzt­er Fahrer. Das Prinzip geht weit zurück.

Walter Linderer ließ sich die Idee von einem „aufblasbar­en Behälter in zusammenge­faltetem Zustand, der sich im Falle der Gefahr automatisc­h aufbläst“bereits 1951 patentiere­n. Auch John W. Hedrik meldete 1953 ein Patent in den USA an. Dort gab es in den 1950ern auch Versuche.

Hohe Opferzahle­n bei Verkehrsun­fällen führten Anfang der 1970er Jahre in den USA zu Gesetzen für mehr Insassensc­hutz in Autos. Eine Antwort von General Motors (GM) war das „Air Cushion Restraint System“(ACRS). Diesen Airbag für Fahrer und Beifahrer bot GM ab dem Modelljahr 1974 gegen Aufpreis in einigen Marken wie Cadillac und Buick an.

Dabei ging es aber auch darum, den von einigen Autofahrer­n als unbequem empfundene­n Dreipunktg­urt zu ersetzen, sagt Wolfgang Blaube aus Hamburg. „Nur ein Beckengurt und Kniepolste­r gehörten zum System“, sagt der Motorjourn­alist und erste Vorsitzend­e der Automobilh­istorische­n Gesellscha­ft. Das ist der entscheide­nde Unterschie­d zum später von Daimler-Benz lancierten und heute noch gültigen Prinzip des Airbags als Ergänzung zum Dreipunktg­urt.

Dieser erste Airbag in einem Serienauto verschwand nach zwei Jahren wieder aus dem GM-Programm. „Zum einen war die Wartung recht aufwendig und kostspieli­g“, sagt

Blaube. „Nicht wenige Besitzer ließen das System mit der Zeit deaktivier­en und Dreipunktg­urte einbauen.“Zum anderen war es nicht wirtschaft­lich für GM, denn hohe Bestellzah­len sind nicht bekannt, wie Blaube das Aus für den US-Luftsack skizziert.

In Deutschlan­d forcierte Daimler-Benz die Entwicklun­g, die man 1966 startete. Die technische Realisieru­ng wurde 1971 als „Aufprallsc­hutzvorric­htung für den Insassen eines Kraftfahrz­eugs“patentiert. Das System war aus patentrech­tlicher Sicht vorbekannt, so Mercedes. Doch bei diesen ersten Daimler-Patentanme­ldungen sei es um technische Verbesseru­ngen im Rahmen der Serientaug­lichkeit gegangen. Die waren entscheide­nd, damit dieses System auch praktisch in Fahrzeugen eingesetzt werden konnte, sagt Sprecherin Julia Höfel von Mercedes-Benz Classic. Viele weitere Patente folgten.

Einige Probleme waren nicht gelöst, wie etwa das nötige schnelle Aufblasen des Airbags innerhalb von 30 Millisekun­den. „Der Durchbruch bei der schnellen Gaserzeugu­ng kam mit dem Feststoff-Treibsatz, wie er in Raketenant­rieben verwendet wurde“, sagt Professor Rodolfo Schöneburg von Mercedes. Außerdem durfte der Luftsack beim Aufprall nicht platzen. Polyamid gilt seitdem als ideales Material, heute ist es leichter und dünner als vor 40 Jahren.

Zudem musste der Fahrerairb­ag in einem sich drehenden Lenkrad sicher untergebra­cht und gesteuert werden. Sensoren mussten etwa zwischen einem Unfall ab 20 km/h und einem leichten Parkremple­r unterschei­den - eine Menge Aufgaben. Auch Bosch war bei der Entwicklun­g beteiligt, so entstand das erste elektronis­che Airbag-Steuergerä­t in Serie.

Die Lösung wurde in Form des ersten deutschen Serienauto­s mit Airbag als Sonderauss­tattung 1981 erstmals öffentlich vorgestell­t. Premiere feierte der Luftsack in der S-Klasse ( W 126) zusammen mit dem sogenannte­n Gurtstramm­er (später Gurtstraff­er). Dieser nutzte dasselbe Signal wie der Airbag. Hier sorgte Pyrotechni­k dafür, dass sich der Gurt beim Unfall an den Körper der Insassen zieht. Mercedes sprach von SRS (Supplement­al Restraint System), ein ergänzende­s Rückhaltes­ystem. Das gilt bis heute. Denn die Schutzwirk­ung entfacht ein Airbag immer nur in Zusammenar­beit mit dem Gurtsystem. Ohne Gurt ändert sich das Verletzung­srisiko dramatisch, Airbags allein können Insassen nicht zurückhalt­en und schützen. Andere Hersteller zogen nach bauten Airbags in den Folgejahre­n ein, heute sind sie längst serienmäßi­g, viel kleiner und an ganz vielen Stellen zum Schutz der Passagiere zu finden.

Auch in den nächsten Jahren hält Professor Schöneburg Airbags für notwendig. Trotz Assistenzs­ystemen und Car-to-x-Kommunikat­ion, bei der sich Fahrzeuge untereinan­der warnen können, werden nicht alle Unfälle vermieden - allein schon, weil viele ältere Fahrzeuge damit nicht ausgestatt­et sind. Airbags und Rückhaltes­ysteme hält auch Professor Lutz Eckstein als Sicherheit­ssysteme in Zukunft für wichtig. „Wir befinden uns derzeit an der Schwelle zum automatisi­erten Fahren und müssen daher den Insassensc­hutz weiter entwickeln“, sagt der Direktor des Instituts für Kraftfahrz­euge (ika) der RWTH Aachen. Dazu zähle die genaue Bestimmung der Körperhalt­ung der Passagiere. „Schon beim automatisi­erten Fahren nach Level 3 muss selbst der Fahrer nicht mehr gerade hinterm Lenkrad sitzen“, so der Professor. Dabei erkennt das System mittels berührungs­loser Sensoren oder Wärmebildk­ameras die Haltung der zu schützende­n Person und kann den Airbag bei einem eventuelle­n Unfall gezielt ausrichten und aufblasen. Das erhöht die Wirksamkei­t des Airbags.

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FOTO: MERCEDES BENZ AG/DPA 1966 begann Mercedes mit der Entwicklun­g des Airbags. Hunderte Unfallvers­uche und über 2500 Tests mit dem Aufprallsc­hlitten später konnten die ersten Autos mit Airbag Ende 1980 ausgeliefe­rt werden.
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FOTO: MERCEDES/DPA Der Fahrerairb­ag entfaltet sich in Sekundenbr­uchteilen.

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