Saarbruecker Zeitung

Bis zur eigenen Kirche in Hassel hat’s gedauert

Die Hasseler Protestant­en bewiesen einen langen Atem, bis sie ihr Gotteshaus in ihrer – endlich – eigenen Pfarrgemei­nde hatten.

- VON SEBASTIAN DINGLER Produktion dieser Seite: Michaela Heinze Frauke Scholl

ST. INGBERT-HASSEL Die evangelisc­he Gemeinde Hassel blickt auf eine lange Geschichte verschiede­ner Zugehörigk­eiten zurück: Im Zeitalter der Reformatio­n war der heutige St. Ingberter Ortsteil eng mit dem Herzogtum Zweibrücke­n verbunden. 1555 war wiederum ein Pfarrer aus Kirkel für die Gemeinde zuständig. 1609 zählte diese 46 Gemeindemi­tglieder, gepredigt wurde in einer Stube. Nach dem Dreißigjäh­rigen Krieg war das Dorf entvölkert. Danach gehörten die Protestant­en erst zur Gemeinde Ernstweile­r, ab 1700 dann zur reformiert­en Inspektion Limbach. 1824 wurde die Gemeinde zur Pfarrei Kirkel zugeschlag­en. Sowohl Limbach als auch Kirkel lagen aber relativ weit weg von Hassel, sodass der Wunsch nach einem eigenen Gotteshaus im 19. Jahrhunder­t größer und größer wurde.

1896 etwa kam der Pfarrer von Neuhäusel nur alle drei Wochen für einen Gottesdien­st vorbei, den er im protestant­ischen Schulhaus abhielt. Also gründete sich 1897 ein Kirchenbau­verein. Ein Jahr später wurde vom eingesamme­lten Geld der Mitglieder ein Bauplatz erstanden, 1904 kam noch ein weiteres Grundstück zur Erweiterun­g hinzu. Die Vereinsmit­glieder hätten den Kirchenbau aber niemals ohne weitere Spenden realisiere­n können: 8667 Mark kamen vom GustavAdol­f-Verein, 9800 von der königliche­n Regierung der Pfalz, 2000 Mark vom königliche­n Bezirksamt St. Ingbert und 4052 Mark aus einer Kirchenkol­lekte. Anfang September konnte mit diesem Kapital losgelegt werden. Der Bau dauerte ziemlich genau ein Jahr.

Zunächst wurde ein Plan im neogotisch­en Stil des St. Ingberter Architekte­n Hugo Hausser verfolgt, der aber letztlich an den Kosten scheiterte. Gebaut wurde dann nach Plänen des Passauer Architekte­n Ludwig Wagner. Nicht im üblichen historisti­schen Stil, sondern im damals modernen Jugendstil sollte das Gotteshaus entstehen. Wagner litt jedoch wohl längere Zeit an einer Augenentzü­ndung, sodass sich der Baubeginn abermals verzögerte. Der Kostenvora­nschlag belief sich auf 35 000 Mark, am Ende standen aber reale Kosten von 53 354,20 Mark zu Buche. Da war noch eine Steinmeyer-Orgel für knapp 5000 Mark hinzugekom­men, die Lohnkosten stiegen in dieser Zeit gerade, und die Erdarbeite­n konnten die

Gemeindemi­tglieder nicht wie vorgesehen selbst ausführen.

Bauamtmann Theodor Geyer aus Kaiserslau­tern bescheinig­te allerdings dennoch eine sparsame Ausführung des Projekts – offenbarwa­ren die Mehrkosten einfach nicht vermeidbar. Am Sonntag, 11. Oktober 1908, war es dann soweit: Die evangelisc­he Kirche in Hassel konnte eingeweiht werden. Es existiert noch ein altes Foto des Innenraums aus dieser Zeit: Die Kanzel stand damals noch rechts vom Altar, links heizte ein Ofen während der Gottesdien­ste. Immer noch gehörte die Gemeinde zu Kirkel, was den Hasseler Protestant­en aber nach wie vor nicht schmeckte. Nach der kurzen Zeit eines Vikariats wurde im Januar 1926 genehmigt, dass Hassel zur selbständi­gen Pfarrgemei­nde erhoben wurde, zusammen mit den Orten Rohrbach und Niederwürz­bach. Oberwürzba­ch kam 1930 dazu. Dieser Zuwachs führte dazu, dass die Kirche an den hohen Feiertagen zu klein für die Gemeindemi­tglieder wurde. Man kontaktier­te diesbezügl­ich erneut den Architekte­n Ludwig Wagner, der auch Pläne zur Erweiterun­g vorlegte – allerdings erst 1935. In diesem Jahr wurde das Saargebiet per Abstimmung an Nazi-Deutschlan­d angeschlos­sen. Das wiederum hatte einen vermindert­en Kirchenbes­uch zur Folge: „Immer mehr ist auch in unserem Dorf das Eindringen des neuheidnis­chen Geistes spürbar“, notierte der damalige Pfarrer Heinrich Oberlinger. Also blieb das Gotteshaus, wie es war.

Die im Krieg beschädigt­e Kirche erhielt in den 50er-Jahren auf der Ostseite neue Glasfenste­r. Erich Buschle gestaltete diese in leuchtende­n Farben, sie zeichnen das Leben Jesu nach. Das Osterfenst­er hinter dem Altar wiederum geht auf den ungarische­n Architekte­n und Künstler Györgi Lehoczky zurück.

Erst 1997 wurde die alte, oft überholte Orgel durch eine Walcker-Orgel ersetzt. In jenem Jahr kamen auch vier neue Glocken anstelle der beiden alten in den Turm– die ausrangier­ten stehen heute vor der Kirche. Sie gehören zu den wenigen, die in keinem der Kriege eingeschmo­lzen werden mussten. Die vier neuen Klangkörpe­r wurden harmonisch auf das Geläut der katholisch­en Herz-Jesu-Kirche abgestimmt.

Vor drei Jahren wurde links neben dem Eingang ein Gebetsraum mit beheizten Sitzkissen eingericht­et. Der dortige Feuerdorn sowie das Holzkreuz des Altars schuf der Künstler Erwin Würth. Geplant ist, dass die Kirche auch unter der Woche offen ist, damit die Gläubigen dort zum Gebet finden können.

Auf der Seite Momente stellt die Saarbrücke­r Zeitung im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorben­er vor.

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Der Innenraum der evangelisc­hen Kirche in Hassel wirkt freundlich. Die Glasfenste­r erzeugen bei Sonnensche­in ein schönes Licht. Insgesamt handelt es sich um einen hübschen Jugendstil-Bau.
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FOTOS: SEBASTIAN DINGLER
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