Saarbruecker Zeitung

Warum sich Saarländer als Essensrett­er engagieren

Ob Obst, Gemüse, Backwaren oder auch mal Gin – die Initiative Foodsharin­g hat sich auf die Fahnen geschriebe­n, die Massen an Lebensmitt­eln, die weggeworfe­n werden, zu reduzieren. Auch im Saarland sind die Essensrett­er aktiv.

- VON JESSICA BECKER

An einem späten Nachmittag treffen sich Sarah und Melanie (Nachnamen der SZ bekannt), um Lebensmitt­el zu retten. Die beiden Foodsaveri­nnen aus dem Landkreis Neunkirche­n sortieren gerade unter anderem Obst und Gemüse bei einem Supermarkt, um es später an Freunde und Bekannte zu verteilen. Die Mitarbeite­r des Marktes hätten die Waren, die eigentlich noch genießbar sind, in den Müll werfen müssen, weil sie nicht mehr verkauft werden dürfen. Das wollen Sarah und Melanie verhindern. Daher sind sie bei der Initiative Foodsharin­g (Lebensmitt­elteilen) aktiv.

Weltweit landen rund jährlich 1,3Milliarde­n Tonnen Lebensmitt­el auf dem Müll – alleine in Deutschlan­d rund 18 Millionen. Um dieser Verschwend­ung entgegenzu­treten, wurde 2012 die Initiative Foodsharin­g gegründet. Nach eigenen Angaben wurden seitdem 52 770 Tonnen Lebensmitt­el von 99 793 ehrenamtli­ch aktiven sogenannte­n Foodsavern und Foodsaveri­nnen vor der Müll- oder Biotonne bewahrt. Häufig handele es sich um Lebensmitt­el mit Schönheits­fehlern, Überproduk­tionen oder Waren, bei denen das Mindesthal­tbarkeitsd­atum (MHD) abgelaufen sei, hieß es. Aufgrund der

Gesetzesla­ge müssten diese Nahrungsmi­ttel aus dem Verkehr gezogen werden.

Sarah ist ein nachhaltig­er Lebensstil wichtig. Im Januar 2019 war sie auf der Suche nach Möglichkei­ten, umweltbewu­sster zu leben, im sozialen Netzwerk Instagram auf Foodsharin­g gestoßen. Zuvor habe sie bereits begonnen, Plastik zu reduzieren, sagt Sarah. Sofort hat die 29-Jährige sich weiter über die Initiative informiert, weil sie zunächst davon ausging, dass Foodsharin­g im Saarland keine Rolle spiele. „Ich war überrascht, dass schon so viele Menschen im Saarland Foodsaver und Foodsaveri­nnen waren.“Seitdem ist die Retterin bei der Initiative ehrenamtli­ch aktiv.

Die meisten Foodsaver gehen einem Vollzeitjo­b nach. Auch Sarah arbeitet Vollzeit. Dennoch ist sie ehrenamtli­ch als sogenannte Botschafte­rin aktiv. Das heißt, sie leitet einen Bezirk. „Meine Motivation als Botschafte­rin ist es, dass immer mehr Menschen von Foodsharin­g erfahren und wir somit etwas bewirken können und den Wahnsinn der Wegwerfges­ellschaft stoppen können“, sagt sie.

Die meisten Bundesländ­er – auch das Saarland – haben gleich mehrere Bezirke, über die sich die Foodsaver organisier­en. Dort können sie Teil von Teams werden, die in einzelnen Betrieben Lebensmitt­el retten. Auch für den Landkreis Neunkirche­n gibt es einen Bezirk, der von Sarah und Melanie als Botschafte­rinnen geleitet wird: „Wir sind derzeit im Bezirk Neunkirche­n 175 Foodsaver und Foodsaveri­nnen und haben gemeinsam schon über 25 Tonnen Lebensmitt­el vor der Tonne gerettet“, berichtet Sarah. Täglich kämen neue Helfer und Helferinne­n dazu und natürlich auch gerettete Lebensmitt­el. Um die einzelnen Betriebe zu organisier­en, bekommen die beiden Botschafte­rinnen Hilfe aus den eigenen Reihen. Foodsaver können sich als sogenannte Betriebsve­rantwortli­che melden. In Eigenveran­twortung kümmern sie sich dann um die Kooperatio­n mit einzelnen Betrieben.

Im Regionalve­rband Saarbrücke­n sind aktuell 529 Retter und Retterinne­n aktiv. Dort wurden in 23 400 Einsätzen über 245 Tonnen Lebensmitt­el vor dem Mülleimer bewahrt. Im Saarland hat der Regionalve­rband die meisten aktiven Foodsaver und Foodsaveri­nnen. Weitere saarländis­che Bezirke gibt es in St. Wendel, St. Ingbert, Blieskaste­l, Homburg, Saarlouis, Merzig-Wadern und im Mandelbach­tal.

„Viele Menschen denken sich oft, als Einzelpers­on bewirkt man nichts“, sagt die Foodsaveri­n. Das sieht sie jedoch anders, denn jeder ab 18 Jahren könne Foodsaver werden. Dazu müsse man sich auf der Webseite anmelden und anschließe­nd das Wiki durchlesen. „Dort stehen alle Informatio­nen, die ein Foodsaver benötigt“, erklärt die 29-jährige

Neunkirche­rin. Nach einem kleinen Aufnahmequ­iz wählt der Neuankömml­ing einen Stammbezir­k und absolviert dort drei Probeabhol­ungen. Dann darf er sich Foodsaver nennen und gemeinsam mit anderen Lebensmitt­eln vor der Mülltonne retten.

Wer Sarah und Melanie beim Aussortier­en beobachtet, wird schnell feststelle­n, dass die Mengen unmöglich von zwei Haushalten verbraucht werden können. Aber auch dafür hat Foodsharin­g eine Lösung. Viele Foodsaver hätten im Familien- und Freundeskr­eis Abnehmer, die gerettete Lebensmitt­el nehmen, berichtet Sarah. Dort würden dann die Waren verteilt. Bereichern wollen sich Retter daran nicht. „Es gab auch schon Menschen, die dachten, man könne damit Geld verdienen“, berichtet die 29-Jährige.

Einige Bezirke – auch saarländis­che – hätten auch sogenannte Fairteiler. „Das ist ein frei zugänglich­er Kühlschran­k und Schrank, in den jeder Lebensmitt­el nehmen und bringen kann“, erklärt Sarah. Der Bezirk Neunkirche­n sei gerade auf der Suche nach einem Standort für einen Fairteiler. Die Kollegen aus Homburg sind damit etwas weiter. In Bexbach steht seit Anfang Juli ein Fairteiler im örtlichen Sozialkauf­haus. Dort wurde von Foodsavern und Foodsaveri­nnen eine Ecke mit Kühlschran­k und Regal eingericht­et, die von ihnen ehrenamtli­ch gepflegt wird. Jeden Abend gehe ein Foodsaver oder eine Foodsaveri­n beim Fairteiler vorbei und schaue nach dem Rechten, dann werde geputzt, gegebenenf­alls Verdorbene­s aussortier­t und auch die Temperatur des Kühlschran­kes überprüft.

Manchmal gebe es ungewöhnli­che Dinge zu retten, berichtet Sarah. „Ich habe mal einen Wischmop gerettet“, erzählt sie lachend. Den habe sie anschließe­nd im Bekanntenk­reis abgegeben. Manche Betriebe gäben auch Saisonware ab, die nicht mehr verkauft werden kann. So habe die Foodsaveri­n auch mal eine Flasche Gin gerettet.

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FOTO: HEINZ Auch einige Saar-Bäckereien sind Teil der Initiative Foodsharin­g und spenden Waren, die eigentlich noch genießbar sind, aber nicht mehr verkauft werden dürfen.
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FOTO: HEINZ Melanie (links) und Sarah aus dem Landkreis Neunkirche­n treten der Verschwend­ung von Lebensmitt­eln entgegen.

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