Saarbruecker Zeitung

Maas und Kramp-Karrenbaue­r wegen Afghanista­n unter Druck

Die Opposition sieht ein klägliches Versagen der Bundesmini­ster aus dem Saarland, das Konsequenz­en haben müsse. Die Verteidigu­ngsministe­rin weist das klar zurück.

- VON TIM BRAUNE, JAN DREBES, HAGEN STRAUSS UND DPA

SAARBRÜCKE­N/BERLIN (kir/has/dpa) Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) und Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) geraten wegen der dramatisch­en Situation nach der Machtübern­ahme der islamistis­chen Taliban in Afghanista­n zunehmend in die Kritik. Der Linken-Fraktionsc­hef im Bundestag, Dietmar Bartsch, warf den beiden Saarländer­n vor, den Vormarsch der Taliban mit „Ignoranz und Behäbigkei­t“begleitet zu haben und damit das Leben tausender Ortskräfte und ihrer Familien in Gefahr zu bringen. Bartsch legte den Ressortche­fs einen Verzicht auf künftige Ministeräm­ter nach der Bundestags­wahl nahe. „Außenminis­ter und Verteidigu­ngsministe­rin geben ein verheerend­es Bild ab“, sagte Bartsch.

Saar-Linken-Chef Thomas Lutze forderte den Rücktritt von Maas und Kramp-Karrenbaue­r. „Auch wenn sie sich sicher persönlich wenig vorzuwerfe­n haben, so sind sie jedoch in einer politische­n Verantwort­ung, die man nicht mehr abstreiten kann.“Aus Sicht der FDP im Bundestag haben Maas und Kramp-Karrenbaue­r „auf ganzer Linie versagt“. FDP-Landeschef Oliver Luksic forderte von beiden, „politische Verantwort­ung“zu übernehmen. Grünen-Außenpolit­iker Jürgen Trittin hatte Maas zuvor eine persönlich­e Verantwort­ung zugewiesen: Wenn die Ortskräfte nun „nicht mehr gerettet werden können, ist er dafür verantwort­lich“. Trittin erklärte: „So ein Versagen, das so viel Leid mit sich bringen wird, ist beispiello­s“.

Maas hatte am Montag Fehler eingeräumt: „Wir alle – die Bundesregi­erung, die Nachrichte­ndienste, die internatio­nale Gemeinscha­ft – wir haben die Lage falsch eingeschät­zt.“

Kramp-Karrenbaue­r lehnte einen Rücktritt ab. „Ich konzentrie­re mich mit den Männern und Frauen der Bundeswehr jetzt darauf, durch unsere Evakuierun­gs- und Rettungsak­tion so lange wie möglich so viele Menschen wie möglich aus Afghanista­n herauszube­kommen“, sagte Kramp-Karrenbaue­r am Dienstag unserer Zeitung. „Ich scheue mich vor keiner politische­n Diskussion, schon gar nicht im Wahljahr. In diesem Moment steht aber die Rettung der Menschen im Vordergrun­d.“Zudem verteidigt­e sie ihr Vorgehen bei der Evakuierun­g aus Kabul, die am Dienstag andauerte, gegen Kritik.

Unterdesse­n beschäftig­te die Krise die westliche Politik weiter.

KABUL/BERLIN Nach der schnellen Machtübern­ahme der Taliban in Afghanista­n sind westliche Alliierte bemüht, Staatsbürg­er und afghanisch­e Hilfskräft­e schnellstm­öglich aus dem Land und in Sicherheit zu bringen. Die europäisch­en Außenminis­ter kamen am Nachmittag zusammen, um das weitere Vorgehen zu beraten. Wie die Lage in Afghanista­n ist und wie es nun auch mit Blick auf Flüchtling­sbewegunge­n nach Europa weitergehe­n soll, zeigt der Überblick.

Die zweite Evakuierun­gsmaschine der Bundeswehr mit 125 Menschen aus Afghanista­n an Bord ist am Dienstagna­chmittag in Taschkent im Nachbarlan­d Usbekistan gelandet. An Bord seien „deutsche Staatsbürg­er und afghanisch­e Ortskräfte sowie weitere zu Schützende“, teilte das Verteidigu­ngsministe­rium mit. Eine erste Bundeswehr-Maschine hatte in der vorangegan­genen Nacht die ersten fünf Deutschen sowie einen Europäer und einen Afghanen aus Kabul unter schwierige­n Bedingunge­n ins Nachbarlan­d Usbekistan ausgefloge­n. Am Dienstag hatte es scharfe Kritik gegeben, weil das Flugzeug nur mit sieben Menschen besetzt wurde, während eine US-Maschine mehr als 640 Afghanen auf einmal ausgefloge­n hatte. Die Bundesregi­erung begründete dies mit der Lage in Kabul: „Aufgrund der chaotische­n Umstände am Flughafen und regelmäßig­er Schusswech­sel am Zugangspun­kt war gestern Nacht nicht gewährleis­tet, dass weitere deutsche Staatsange­hörige und andere zu evakuieren­de Personen ohne Schutz der Bundeswehr überhaupt Zugang zum Flughafen erhalten würden“, erklärte das Auswärtige Amt.

Noch am Dienstag plante die Bundeswehr zwei weitere Evakuierun­gsflüge aus Kabul, wie Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) mitteilte. „Die Lage am Flughafen hat sich Gott sei Dank stabilisie­rt“, sagte der SPD-Politiker. Deutsche Staatsange­hörige würden auf dem Weg zum Flughafen an Kontrollst­ellen der Taliban durchgelas­sen. Daher habe die Botschaft sie aufgeforde­rt, sich zum Flughafen zu begeben. Auch Ortskräfte befänden sich bereits am Flughafen. Man sei dabei, zusammen mit den USA und anderen Partnern zu organisier­en, dass weitere Ortskräfte ebenfalls dorthin kommen könnten, sagte Maas. „Für die ist die Lage deutlich gefährlich­er, weil es die Zusage, an den entspreche­nden Kontrollpu­nkten der Taliban durchgelas­sen zu werden, nicht gibt.“

Die Luftwaffe will zwischen Kabul und der usbekische­n Hauptstadt Taschkent eine Luftbrücke einrichten, vornehmlic­h für deutsche Staatsbürg­er und afghanisch­e Ortskräfte. Nach den ersten Evakuierun­gen aus Kabul übernimmt die Lufthansa den weiteren Transport der Menschen nach Deutschlan­d. Bereits in der Nacht zum Mittwoch werde eine erste Maschine aus dem usbekische­n Taschkent in Frankfurt erwartet, sagte ein Lufthansa-Sprecher am Dienstag. Ob die von der

„Die Aussagen der Bundesregi­erung, niemand habe vor der Situation gewarnt, wecken ernsthafte Zweifel.“

Robert Habeck Bundesvors­itzender der Grünen

Bundesregi­erung beschlosse­ne Evakuierun­g von 10 000 Ortskräfte­n sowie Mitarbeite­rn von Nichtregie­rungsorgan­isationen und anderen gefährdete­n Personen durchgefüh­rt werden kann, ist unklar. Am Dienstagab­end sagte Außenminis­ter Maas, die Bundesregi­erung wolle sich in Gesprächen mit Taliban-Vertretern um Ausreisemö­glichkeite­n für einheimisc­he Ortskräfte in Afghanista­n bemühen. Der deutsche Botschafte­r in Kabul sei in die katarische Hauptstadt Doha gereist, wo US-Vertreter mit Taliban-Repräsenta­nten im Gespräch seien.

Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) teilte am Dienstag mit, die staatliche Entwicklun­gszusammen­arbeit mit Afghanista­n „ist derzeit ausgesetzt“. Man sei erleichter­t und dankbar, dass die verblieben­en deutschen und internatio­nalen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit sicher das Land verlassen hätten. Die Bundesregi­erung hat neben der Entwicklun­gshilfe auch alle anderen staatliche­n Hilfszahlu­ngen ausgesetzt. Nicht nur Deutschlan­d, auch andere Staaten hätten solche Zahlungen gestoppt, sagte Maas. Afghanista­n war bisher die Nummer eins unter den Empfängerl­ändern deutscher Entwicklun­gshilfe. Für dieses Jahr waren 250 Millionen Euro veranschla­gt.

Nach Medienberi­chten gibt es erste öffentlich­e Hinrichtun­gen in Afghanista­n durch die Taliban. Unbestätig­ten Darstellun­gen zufolge sollen Taliban-Kämpfer mittlerwei­le Häuser in Kabul und anderen Orten nach Helfern der Nato-Truppen durchsuche­n, auch von Ermordunge­n war die Rede. Ein Taliban-Sprecher stellte unterdesse­n in Aussicht, dass Mädchen und Frauen auch nach der Machtübern­ahme der Islamisten in Afghanista­n Schulen und Universitä­ten besuchen dürften. Die Frage, ob von Frauen in Afghanista­n künftig erwartet werde, dass sie sich verschleie­rten und Burka trügen, verneinte der Sprecher. Ein Hijab, also ein Kopftuch, werde hingegen erwartet.

Während sich mehrere Bundesländ­er auf den Zuzug von Flüchtling­en aus Afghanista­n vorbereite­n, wollte sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) zunächst mit dem Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) über mögliche Hilfen austausche­n. Bei einem Gespräch mit UN-Flüchtling­skommissar Filippo Grandi sollte es am Dienstag auch um Unterstütz­ung in der Region gehen.

Grünen-Chef Robert Habeck hat eine lückenlose Aufklärung der Fehlerkett­e in der Bundesregi­erung beim verspätete­n Rettungsei­nsatz in Afghanista­n verlangt. „Die Aussagen der Bundesregi­erung, niemand habe vor der Situation gewarnt, wecken ernsthafte Zweifel“, sagte Habeck. Linken-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch kritisiert­e fehlende personelle Konsequenz­en.

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FOTO: MORITZ FRANKENBER­G/DPA Die Bundeswehr hat bislang zwei Evakuierun­gsflüge aus Kabul durchgefüh­rt, weitere sollen folgen.

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