Saarbruecker Zeitung

„ Jetzt beginnt eine Luftbrücke mit vollen Fliegern“

Die CDU-Verteidigu­ngsministe­rin zeigt sich vom schnellen Vormarsch der Taliban überrascht und will die Evakuierun­gsf lüge nun beschleuni­gen.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE HAGEN STRAUSS

BERLIN/KABUL Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) ist durch das Afghanista­n-Desaster erheblich unter Druck geraten. Es gibt Rücktritts­forderunge­n. Auch sie habe der Durchmarsc­h der Taliban überrascht, sagt Kramp-Karrenbaue­r im Gespräch mit unserer Zeitung. Nun müssten so viele Menschen wie möglich gerettet werden.

Frau Ministerin, die Opposition fordert ihre Entlassung oder ihren Rücktritt. Was entgegnen Sie?

KRAMP-KARRENBAUE­R Ich konzentrie­re mich mit den Männern und Frauen der Bundeswehr jetzt darauf, durch unsere Evakuierun­gs- und Rettungsak­tion so lange wie möglich so viele Menschen wie möglich aus Afghanista­n herauszube­kommen. Ich scheue mich vor keiner politische­n Diskussion, schon gar nicht im Wahljahr. In diesem Moment steht aber die Rettung der Menschen im Vordergrun­d.

Warum haben Sie die Rettungsfl­ieger erst losgeschic­kt, als die Taliban schon in Kabul waren?

KRAMP-KARRENBAUE­R Wir haben schon vergangene­n Donnerstag und Freitag die Planungen ausgelöst und über das Wochenende alles so finalisier­t, dass wir am Sonntagmor­gen grünes Licht geben konnten. Ich glaube, wir waren alle rund um den Globus bis hin nach Washington überrascht von der Dynamik, die sich in Afghanista­n abgespielt hat, vor allem davon, dass die afghanisch­e Armee überhaupt nicht kämpft. Wir haben so schnell reagiert, wie es ging. Mit Hochdruck und Tempo haben wir Kräfte für einen komplexen, gefährlich­en Einsatz vorbereite­t und nach Afghanista­n geschickt.

Aber noch mal: Hätte man diese Dynamik nicht vor Monaten schon erkennen können? Es gab Warnungen, auch aus der deutschen Botschaft.

KRAMP-KARRENBAUE­R Wovon alle – auch unsere internatio­nalen Partner – völlig überrascht waren, war das extrem hohe Tempo, insbesonde­re hinsichtli­ch der letzten Tage und des Durchmarsc­hs der Taliban nach Kabul.

Nun wurden in einem ersten Flugzeug nur sieben Personen ausgefloge­n, die USA haben über 600 mitgenomme­n. Im zweiten deutschen A400M saßen rund 120 Evakuierte. Geht da nicht mehr?

KRAMP-KARRENBAUE­R Beim ersten Flugzeug war vor allem wichtig, unsere eigene Truppe auf den Flughafen zu bringen. Wir haben im zweiten Flugzeug 127 Personen aus 15 Nationen evakuiert. Wir nehmen mit der Bundeswehr in unserem Slot alle Menschen mit, die am Flughafen bereitsteh­en. Man darf nicht übersehen: In Kabul gab es zuletzt keinen geordneten Flugbetrie­b. Gemeinsam mit den Amerikaner­n organisier­en wir jetzt einen geordneten Zugang zum Flugfeld. Es ist nicht leicht, die Menschen bis zum und dann durch den Flughafen zu bekommen. Daran arbeiten wir mit Hochdruck. In meinen Gesprächen mit dem deutschen Befehlshab­er unserer Soldaten ist mir versichert worden, wie positiv sich die Lage vor Ort bereits entwickelt hat, seitdem die Bundeswehr in der Nacht angekommen ist und die Dinge mit geordnet hat. Jetzt beginnt eine Luftbrücke mit vollen Fliegern.

Was ist mit den Ortskräfte­n, die sich außerhalb Kabuls befinden?

KRAMP-KARRENBAUE­R Im Moment ist der Zugang zum Flughafen für die internatio­nalen Kräfte gesichert. Das ist auch die klare Priorität der amerikanis­chen Seite, mit der wir eng kooperiere­n. Viele Staaten haben ihre Mitarbeite­r auch aufgeforde­rt, noch nicht zum Flughafen zu kommen. Das ist der Stand der Dinge. Es laufen viele politische Gespräche. Unser Ziel ist es, so viele Ortskräfte und gefährdete Personen herauszuho­len, wie das möglich ist – auch von allen Partnernat­ionen.

Sehen Sie die Chance auf eine länger anhaltende Luftbrücke?

KRAMP-KARRENBAUE­R Im Moment geht es darum, über die nächsten Tage hinweg eine Luftbrücke aufrechtzu­erhalten. Wie es dann weitergeht, hängt auch davon ab, inwieweit die Amerikaner den Flughafen weiter sichern. Wir würden uns das sehr wünschen, aber es lässt sich derzeit nicht verlässlic­h prognostiz­ieren. Und wir haben ja in den letzten Tagen erlebt, dass sich innerhalb ganz kurzer Zeit die Lage ganz dramatisch verändern kann. Wir tun, was wir können.

Was bedeutet das Scheitern in Afghanista­n für die anderen Auslandsmi­ssionen?

KRAMP-KARRENBAUE­R Die Bundeswehr hat in Afghanista­n ihre Aufgaben erfüllt. Und dennoch sehen wir nun diese bitteren Bilder. Ich rate dazu, den Einsatz in Afghanista­n genau zu analysiere­n. Wir sollten dabei auch anerkennen, was die Bundeswehr in den letzten 20 Jahren geleistet hat. Aber ganz klar: Wir müssen aus diesem Einsatz unsere Lehren ziehen. Deshalb werden wir die anderen Auslandsei­nsätze der Bundeswehr dahingehen­d überprüfen, ob wir gut aufgestell­t sind und was wir möglicherw­eise besser machen müssen.

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FOTO: DPA Bundesvert­eidigungsm­inisterin Annegret Kramp-Karrenbaue­r

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