Vorwürfe gegen Russland wegen Internet-Zensur
Aktivisten beklagen Einschränkungen. So sind etwa die Webseiten von Kremlkritiker Nawalny gesperrt.
MOSKAU (dpa) Wer in Russland Internetseiten des Kremlgegners Alexej Nawalny öffnen will, findet seit Kurzem oft: nichts. Oder genauer gesagt: eine Fehlermeldung, einen Verweis auf die Unerreichbarkeit der jeweiligen Seite, je nach Browser auch einen traurigen Smiley. Die Behörden begründen die Sperrung von fast 50 Seiten damit, dass Nawalnys Organisationen in Russland verboten seien. Oppositionelle hingegen sehen in dem Vorgehen gut einen Monat vor der Parlamentswahl einen Ausdruck zunehmender politischer Repressionen. Offiziell ist oft von Extremismusbekämpfung die Rede, wenn die Seiten Andersdenkender blockiert werden. Oder von Kinderschutz, wenn es gegen homosexuelle Aktivisten geht. Auch der Kampf gegen Drogenkonsum oder gegen Urheberrechtsverletzungen seien häufige Argumente der russischen Behörden, sagt Stanislaw Schakirow, technischer Direktor der Nichtregierungsorganisation Roskomswoboda. Oft sei das aber ein Vorwand, um Kritiker zumindest online auszubremsen.
Nach Angaben seines Verbandes, der sich für ein freies Internet einsetzt, sind derzeit fast eine halbe Million Seiten auf Anordnung der Behörden von Russland aus nicht erreichbar. Darunter sind auch zahlreiche Webseiten von Regierungskritikern. Einer Recherche der russischen Wirtschaftszeitung Kommersant zufolge stiegen die Preise für sogenannte VPN-Tunnelverbindungen, mit denen Internetnutzer Blockaden umgehen können, zuletzt merklich an. Experten führten das auf eine höhere Nachfrage zurück.
Netzexperten und Menschenrechtler klagen seit Jahren über zunehmende Angriffe auf das freie Internet in Russland. Seit Ende 2019 ist im flächenmäßig größten Land der Welt etwa ein Gesetz in Kraft, das auf die Schaffung eines eigenständigen russischen Internets abzielt. Es verpflichtet unter anderem Provider zur Anschaffung von Technik, die es ermöglicht, den Datenverkehr besser zu kontrollieren und zu steuern. Außerdem wird der russische Internetverkehr seitdem stärker über Knotenpunkte im eigenen Land gelenkt.
Präsident Wladimir Putin pries das Gesetz damals als „Frage der nationalen Sicherheit“, als Schutz vor möglichen Cyber-Angriffen aus dem Ausland. Kritiker hingegen schlugen Alarm. Schakirow spricht von einer „Chinaisierung des russischen Internets“; vom Versuch, das Netz komplett unter staatliche Kontrolle zu bringen.
Ähnlich beurteilt der Aktivist auch die Geldstrafen, die es seit Monaten für ausländische IT-Riesen in Russland förmlich hagelt. Twitter, Tiktok und Co. sollen mal Aufrufe zu Nawalny-Demonstrationen, mal kinderpornografische Inhalte nicht konsequent gelöscht haben. Kürzlich verurteilte ein Moskauer Gericht den US-Konzern Google zu drei Millionen Rubel (knapp 35 000 Euro) Bußgeld– wegen des Verstoßes gegen ein Gesetz, das die Speicherung russischer Nutzerdaten auf russischen Servern vorschreibt.
Für einige Konzerne habe ein Rückzug vom verhältnismäßig unwichtigen russischen Markt mitunter weniger schwerwiegende Folgen als der drohende Image-Verlust, meint Schakirow und verweist auf LinkedIn: Das amerikanische Karriere-Netzwerk ist wegen der Weigerung, Daten in Russland zu speichern, seit 2016 vollständig blockiert. Droht russischen Internetnutzern also irgendwann tatsächlich die komplette Zensur ihres „Runets“? Nein, sagt Schakirow, ganz so düster seien die Aussichten nicht.