Das Afghanistan-Debakel muss Folgen haben
Man kann der deutschen Außenpolitik derzeit im besten Fall Naivität vorwerfen. Im schlimmsten Fall muss man ihr den Vorwurf machen, für Lebensgefahr, Leid und Tod mitverantwortlich zu sein. Dass Afghanen, die den Westen unterstützt haben, nun den Taliban in die Hände fallen könnten, ist es eine Katastrophe.
Wie konnte es so weit kommen? Warum gab es kein abgestimmtes Vorgehen zwischen Außen-, Verteidigungs- und Innenministerium? Warum griff das Kanzleramt nicht ein? Auch wenn man in Berlin nicht rechtzeitig gewarnt und überrascht wurde, dass die Taliban in derart atemberaubender Geschwindigkeit und ohne nennenswerten Widerstand das Land überrennen: Die Vorbereitung der Evakuierung von Ortskräften hätte schon seit vielen Woche auf der Tagesordnung stehen können – ebenso wie die Evakuierung der eigenen Botschaft. Dort hat man, wie nun bekannt wird, rechtzeitig auf die ausweglose Situation aufmerksam gemacht. In den Nachrichten wurde für jedermann öffentlich und nahezu täglich verlesen, welch weitere Stadt die Kämpfer eingenommen haben. Dass Kabul von den afghanischen Regierungstruppen vermeintlich besser geschützt würde, war eine Hoffnung. Auf die aber darf man besonders in der Politik ja nie bauen.
Private Organisationen, darunter Soldaten, wiesen wochenlang auf die Notwendigkeit der Unterstützung hin, sammelten Geld, um die Menschen auf eigene Faust auszufliegen. Das spricht Bände und muss politische Institutionen beschämen. Außenminister Heiko Maas (SPD) steht nun zu Recht politisch am stärksten unter Druck. Sich zu einer falschen Lageeinschätzung zu bekennen, ist der erste Schritt. Ob es mehr braucht, werden die nächsten Tage zeigen. Wenn eine Luftbrücke gelingt, und viele Menschen noch in Sicherheit gebracht werden können, einschließlich der Afghanen, wird das Auswärtige Amt daran gemessen werden, wie schnell und unbürokratisch die weitere Hilfe gelingt. Und wenn nicht?
Nun sind Rücktrittsforderungen sechs Wochen vor einer Bundestagswahl ein populäres Instrument der Opposition, bringen inhaltlich jedoch nichts. Aber der Bundestag muss in der nächsten Legislatur das Desaster aufarbeiten, um Lehren für die nächsten Einsätze zu ziehen. So sollte ein Ausstiegs-Szenario von vornherein mitgedacht werden – und mancher Einsatz, etwa der in Mali, sehr genau überprüft werden. Die Politik muss sich auch sofort verstärkt um die Bundeswehr kümmern. 59 tote Bundeswehrsoldaten beim Einsatz in Afghanistan, außerdem verwundete Soldaten, die ihr Leben lang mit Einschränkungen klar kommen müssen – derzeit sieht es so aus, als sei all das vergeblich gewesen. Das war es nicht. Der Einsatz hat nach den schrecklichen Anschlägen vom 11. September 2001 sein Ziel durchaus erreicht, dass Afghanistan nicht zum Rückzugsort des islamistischen Terrors wurde. Bislang jedenfalls. Darüber muss die Öffentlichkeit sprechen, die Politik muss sich den Fragen der Truppe stellen – das schuldet sie ihr. Mit einem Gedenken allein wird es nicht mehr funktionieren.