Saarbruecker Zeitung

Von Kriegsgegn­ern zu Verhandlun­gspartnern

Was für den Westen lange Zeit ein Horrorszen­ario war, ist in rasender Geschwindi­gkeit Realität geworden. Die Taliban bestimmen die Geschicke Afghanista­ns – und die deutsche Diplomatie muss sich darauf einstellen.

- VON MICHAEL FISCHER

DOHA (dpa) Eigentlich hätte Heiko Maas (SPD) auch gleich selbst mit den Taliban reden können. Die Islamisten haben in der katarische­n Hauptstadt Doha, der letzten Station der viertägige­n Rundreise des Außenminis­ters in Sachen Afghanista­n, ihr politische­s Büro. Im „Sheraton Hotel“, in dem Maas die Nacht zu Mittwoch verbrachte, fanden die Verhandlun­gen der Taliban mit der afghanisch­en Regierung statt. Hier wurde im vergangene­n Jahr das Doha-Abkommen mit den USA unterzeich­net, das Afghanista­n nach Jahrzehnte­n des Kriegs eigentlich Frieden bringen sollte.

Maas hatte aber bereits vor seiner Ankunft in Doha deutlich gemacht, dass ein Kennenlern­treffen mit den Taliban für ihn nicht infrage kommt – noch nicht. Die neuen Machthaber in Afghanista­n haben noch nicht einmal eine Regierung benannt, als Maas in Katar eintrifft. Es gibt also auch niemanden, mit dem der Minister auf Augenhöhe sprechen könnte. Außerdem will man noch alles vermeiden, was nach Anerkennun­g der neuen Machthaber aussehen könnte. Deswegen klare Sache: Kein Dinner mit den Taliban in Doha.

Dafür trifft sich Maas in Katar mit seinem derzeit wohl wichtigste­n Diplomaten: Markus Potzel. Zwischen 2014 und 2016 war der schon einmal Botschafte­r in Kabul, wurde dann Afghanista­n-Beauftragt­er der Bundesregi­erung, begleitete die Friedensve­rhandlunge­n in Doha und sollte eigentlich im August erneut in die afghanisch­e Hauptstadt entsandt werden. Die Taliban machten ihm einen Strich durch die Rechnung. Maas leitete ihn nach dem Umsturz in Kabul kurzerhand nach Doha um, wo er nun per Whatsapp in ständigen Kontakt mit den Taliban ist. Alle paar Tage steht ein persönlich­es Treffen an. „Das ist der Kanal, den wir nutzen“, sagte der Minister über Potzel.

Aber darf man das eigentlich? Mit Leuten verhandeln, die man lange Zeit als Terroriste­n angesehen hat, gegen die Bundeswehr­soldaten gekämpft haben und gefallen sind? Die Diskussion gibt es schon sehr lange.

Vor 14 Jahren machte sich der damalige SPD-Chef und rheinland-pfälzische Ministerpr­äsident Kurt Beck zum Gespött der Republik, als er Gespräche mit moderaten Taliban anregte. Geht gar nicht, war damals die vorherrsch­ende Meinung. „Man merkt, dass Herr Beck in Mainz sitzt und sich bislang mehr um Winzer als um Weltpoliti­k gekümmert hat“, machte sich der damalige CSU-Generalsek­retär und heutige Parteichef Markus Söder über Beck lustig. Heute weiß man, dass Beck in Sachen Taliban eher ein Visionär als ein außenpolit­ischer Amateur war.

Potzel ist nicht der einzige, der in Doha mit den Taliban redet. Auch andere westliche Staaten suchen den Kontakt. Alle eint eine schlichte Erkenntnis, die Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Regierungs­erklärung vergangene Woche so formuliert­e: „Die Taliban sind jetzt Realität in Afghanista­n. Diese neue Realität ist bitter, aber wir müssen uns mit ihr auseinande­rsetzen.“

Wer in Afghanista­n etwas erreichen will, kommt an den Taliban nicht mehr vorbei. Und die Bundesregi­erung will etwas erreichen, sogar sehr dringend: Mehr als 40 000 Menschen warten darauf, das Land mit ihrer Hilfe zu verlassen. Und das geht nach dem dem Ende der militärisc­hen Evakuierun­gsaktion der internatio­nalen Gemeinscha­ft eben nicht mehr ohne den guten Willen der Machthaber. Die kontrollie­ren die Straßen zur Grenze mit Checkpoint­s. Und auch der Flughafen ist jetzt wieder in ihrer Hand.

Es ist eigentlich eine absurde Situation: Um die Ausreise der Schutzsuch­enden zu ermögliche­n, muss die Regierung mit denjenigen kooperiere­n, vor denen sie diese Leute eigentlich schützen will. Aber eine Alternativ­e gibt es nicht.

Es ist also reiner Pragmatism­us, aus dem die Bundesregi­erung mit den Taliban verhandelt. Es gibt auch einen ersten Erfolg. Die Taliban haben Potzel vergangene Woche sicheres Geleit für die Schutzsuch­enden zugesagt. „Ob man sich darauf verlassen kann, wird man, glaube ich, erst in den kommenden Tagen und auch Wochen sehen“, betont Maas.

Es gibt aber Anzeichen dafür, dass das klappen könnte. Am Montag, während Maas in der pakistanis­chen Hauptstadt Islamabad Gespräche führt, schafft es ein erster größerer Konvoi Schutzsuch­ender über die Grenze in das Nachbarlan­d. Etwa 100 afghanisch­e Mitarbeite­r der Konrad-Adenauer- und Friedrich-Ebert-Stiftung bringen sich mit ihren Angehörige­n in Sicherheit. Das macht Hoffnung.

Aber was ist der Preis für die Kooperatio­nsbereitsc­haft der Taliban? Den Islamisten geht es in den Verhandlun­gen vor allem um zwei Dinge: Geld und Anerkennun­g. Deutschlan­d hatte Afghanista­n eigentlich Hilfsgelde­r in Höhe von 430 Millionen Euro für dieses Jahr zugesagt. Die sind nun zum größten Teil auf Eis gelegt. Nur Nothilfe etwa für Binnenflüc­htlinge wird noch gezahlt. Potzel hat aber die Wiederaufn­ahme der Entwicklun­gshilfe unter bestimmten Bedingunge­n in Aussicht gestellt – sein wichtigste­r Hebel in den Gesprächen.

Anders sieht es mit der Anerkennun­g aus. Damit können die Taliban erst einmal nicht rechnen. So schnell will man sich dann doch noch nicht an die neuen Machthaber gewöhnen. „Es geht im Moment nicht um die Frage der völkerrech­tlichen Anerkennun­g“, sagt Maas. „Es geht um die Lösung ganz praktische­r Probleme.“

Die Gespräche über Lösungen könnten schon bald in Kabul stattfinde­n. Die Taliban sind dabei, ihre Vertretung in Doha zurück in die Heimat zu verlagern. Und auf deutscher Seite hat man sich entschiede­n, den kurzen Draht zu den Taliban nicht abreißen zu lassen. Sogar die Wiedereröf­fnung der deutschen Botschaft in Kabul, die erst vor wenigen Tagen fluchtarti­g verlassen wurde, scheint möglich.

„Es gibt ein großes Bedürfnis nach diplomatis­cher Präsenz“, betont Maas in Doha. „Wenn es politisch möglich wäre und wenn die Sicherheit­slage es erlaubt, dann sollte auch Deutschlan­d in Kabul wieder eine eigene Botschaft haben.“Erst mal wolle man aber abwarten, wen die Taliban in ihre Regierung aufnehmen. Sollten auch andere Bevölkerun­gsgruppen als die Taliban selbst repräsenti­ert sein, würde das als positives Zeichen gewertet.

Die Wiederöffn­ung der Botschaft wäre nicht mit einer Anerkennun­g der Taliban gleichzuse­tzen. Diplomatis­che Beziehunge­n hat man mit Staaten und nicht mit Regierunge­n. Deswegen gibt es auch in der nordkorean­ischen Hauptstadt Pjöngjang eine deutsche Botschaft oder in Myanmar trotz des Militärput­schs.

Seine Reise dürfte Maas jedenfalls darin bestärkt haben, mit den Taliban möglichst intensive Gespräche zu führen. Vor allem Pakistan und Katar, wo man die Taliban mit am besten kennt, warnen vor einer Isolation Afghanista­ns. Der pakistanis­che Außenminis­ter Shah Mehmood Qureshi empfiehlt, den neuen Machthaber­n in Kabul einen Vertrauens­vorschuss zu geben und das Engagement für das Land fortzusetz­en. „Wir sollten sie in die richtige Richtung schubsen“sagt er. „Lasst uns nicht die Fehler der Vergangenh­eit wiederhole­n.“

„Es gibt ein großes Bedürfnis nach diplomatis­cher Präsenz.“Heiko Maas (SPD) Bundesauße­nminister

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FOTO: IMAGO IMAGES Die Taliban kontrollie­ren inzwischen auch die afghanisch­en Grenzen. Wer Menschen aus dem Land schaffen will, muss daher mit ihnen verhandeln.

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