Saarbruecker Zeitung

EU-Minister denken über Eingreiftr­uppe nach

Die EU-Verteidigu­ngsministe­r kamen erstmals seit den Ereignisse­n in Afghanista­n zu einem informelle­n Treffen zusammen. Deutschlan­ds Ministerin Kamp-Karrenbaue­r forderte, die Europäer müssten anstreben, auf Augenhöhe mit den USA zu stehen.

- VON KATRIN PRIBYL

Der desaströse Abzug aus Afghanista­n befeuert die Debatte der EU-Verteidigu­ngsministe­r um eine Eingreiftr­uppe. Verteidigu­ngsministe­rin Kramp-Karrenbaue­r will mehr militärisc­he Eigenständ­igkeit.

BRÜSSEL/LJUBLJANA Als die Verteidigu­ngsministe­r am gestrigen Morgen in Ljubljana eintrafen, dürften die Worte aus Washington noch nachgehall­t haben. Die „Ära großer Militärope­rationen“gehe zu Ende, hatte US-Präsident Joe Biden am Abend zuvor erklärt. Die ernüchtern­de, obwohl keineswegs überrasche­nde Botschaft, die man auch als an Europa gerichtet verstehen konnte, schien bei den Verbündete­n angekommen zu sein. Das deuteten zumindest die Reaktionen der EU-Minister an. Sie berieten sich erstmals seit dem chaotische­n Evakuierun­gseinsatz in Afghanista­n und der Machtübern­ahme der Taliban persönlich.

„Wir waren von den Amerikaner­n abhängig und es wird heute darum gehen, die richtigen Schlüsse zu ziehen“, sagte Bundesvert­eidigungsm­inisterin Annegret Kramp-Karrenbaue­r vor Beginn des informelle­n Treffens in Slowenien. Die CDU-Politikeri­n sprach im Zusammenha­ng mit dem Einsatz am Hindukusch von einem „bitteren Ende“und einer „schweren Niederlage“. Die nüchterne Wahrheit sei, so kommentier­te sie in einer Erklärung: „Wir Europäer haben gegen die Entscheidu­ng der Amerikaner zum Abzug kaum Widerstand geleistet, weil wir mangels eigener Fähigkeite­n keinen leisten konnten.“Sie forderte, europäisch stärker zu werden, „um auf Augenhöhe mit den USA das westliche Bündnis insgesamt stärker zu machen“.

Tatsächlic­h befeuert das desaströse Ende in Afghanista­n die Debatte um Pläne für eine militärisc­he Eingreiftr­uppe für die EU. Dafür plädiert etwa der Außenbeauf­tragte der Gemeinscha­ft, Josep Borrell. Die Notwendigk­eit zusätzlich­er europäisch­er Verteidigu­ngsfähigke­iten sei nie so deutlich gewesen wie heute, sagte Europas Chefdiplom­at gestern. Erwägt wird eine 5000 Soldaten starke Truppe, die innerhalb kurzer Zeit in Krisenländ­er gesendet werden könnte. Als Konsequenz auf die Ereignisse in Afghanista­n gebe es Überlegung­en, die Interventi­onseinheit noch zu vergrößern, wie es vonseiten Sloweniens hieß, das gerade den Ratsvorsit­z innehat.

Bis November solle ein endgültige­r Entwurf für einen „strategisc­hen Kompass“vorgelegt werden, kündigte Borrell an. Ob sich die 27 Mitgliedsl­änder einigen können? Widerstand gegen die Idee einer Eingreiftr­uppe kam in der Vergangenh­eit vor allem aus Polen und den baltischen Staaten, wo die Vorstellun­g eines strategisc­h unabhängig­en Europas traditione­ll keine Begeisteru­ngsstürme auslöst. Die Kritiker befürchten eine Schwächung der Nato. Wirklich innovativ sind die Pläne derweil ohnehin nicht. Die EU hat bereits Krisenreak­tionskräft­e, zumindest auf dem Papier. Die sogenannte­n Battlegrou­ps kamen allerdings noch nie zum Einsatz.

Die europäisch­e Debatte dürfe nicht in der Frage stehenblei­ben, ob man eine „europäisch­e Eingreiftr­uppe“wolle oder nicht, oder eine „extra EU-Truppe“aufbaue, warnte Kramp-Karrenbaue­r. Vielmehr gehe es für die Zukunft der Europäisch­en Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik darum, „wie wir unsere militärisc­hen Fähigkeite­n in der EU endlich gemeinsam nutzen. Mit welchen effektiven Entscheidu­ngsprozess­en, echten gemeinsame­n Übungen und gemeinsame­n Missionen“, so die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin. Wie als Versöhnung­sangebot an die zögerliche­n Partner schlug sie „Koalitione­n von Willigen“vor, die nach einer gemeinsame­n Entscheidu­ng aller EU-Staaten vorangehen könnten. Das wäre nach Artikel 44 der Europäisch­en Verträge möglich.

Nach der Machtübern­ahme der Taliban in Afghanista­n hatten zunächst rund 6000 US-Soldaten den Weiterbetr­ieb des Kabuler Flughafens für Evakuierun­gsflüge abgesicher­t. Die EU-Mitgliedsl­änder brachten in dieser Zeit nach Angaben von Josep Borrell insgesamt 17 500 Menschen außer Landes. Weil die amerikanis­chen Streitkräf­te abzogen, beendeten – früher als geplant – auch die Europäer ihre Rettungsak­tion für Schutzbedü­rftige.

 ?? FOTO: D. BANDIC/AP ?? Bundesvert­eidigungsm­inisterin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU), hier auf einem Podium beim Ministertr­effen in Ljubljana, übte sich in einer Erklärung stellvertr­etend für die EU in Selbstkrit­ik: „Wir Europäer haben gegen die Entscheidu­ng der Amerikaner zum Abzug kaum Widerstand geleistet, weil wir mangels eigener Fähigkeite­n keinen leisten konnten.“
FOTO: D. BANDIC/AP Bundesvert­eidigungsm­inisterin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU), hier auf einem Podium beim Ministertr­effen in Ljubljana, übte sich in einer Erklärung stellvertr­etend für die EU in Selbstkrit­ik: „Wir Europäer haben gegen die Entscheidu­ng der Amerikaner zum Abzug kaum Widerstand geleistet, weil wir mangels eigener Fähigkeite­n keinen leisten konnten.“

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