Missbrauchsurteil wirft Fragen auf
Bildungsministerium sah lange kein „ ahndungswürdiges Verhalten“, versetzte den Beschuldigten aber an eine andere Schule.
Was unternahm das Bildungsministerium, als es erste Hinweise auf ein mögliches Fehlverhalten des Lehrers bekam, der jetzt wegen Missbrauchs einer Schülerin verurteilt wurde? Das Opfer sprach vor Gericht von regelrechtem Mobbing in der Schule, als der Vorfall bekannt wurde.
SAARBRÜCKEN Nach dem Missbrauchsfall an einer Saarbrücker Gemeinschaftsschule steht auch das Bildungsministerium im Blickpunkt. Das Landgericht Saarbrücken hat einen früheren Musiklehrer der Schule wegen des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der heute 60-Jährige unterhielt eine intime Beziehung zu einer minderjährigen Schülerin. Christina B. (Name geändert) war 15 Jahre alt, als der Mann im Juli 2015 erstmals Sex mit ihr hatte.
Zwar endete das sexuelle Verhältnis ein halbes Jahr später, nachdem eine Mitschülerin einen Kuss zwischen der damaligen Zehntklässlerin und dem Pädagogen beobachtet haben wollte. Doch zu einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft kam es erst im März 2021. Daraufhin verhängte das Bildungsministerium ein Beschäftigungsverbot gegen den angestellten Musiklehrer. Am 29. März 2021 sprach das Haus von Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) eine außerordentliche Kündigung aus.
Was aber unternahm das Ministerium, als es 2016 erste Hinweise auf ein mögliches Fehlverhalten des Lehrers gab? Anfang des Jahres hatte der Direktor der Gemeinschaftsschule in Saarbrücken von dem angeblichen Kuss im Musiksaal erfahren. „In Befragungen durch den Schulleiter bestritten der Lehrer und die betreffende Schülerin diesen
Sachverhalt“, erklärt das Ministerium heute. Nach weiteren Gesprächen, auch mit den Eltern von Christina B., soll der Schulleiter höhere Stellen eingeschaltet haben.
„Im Rahmen einer schulaufsichtlichen und juristischen Prüfung wurde die Lehrkraft erneut angehört“, heißt es aus dem Ministerium. Damals soll es nur um den Vorfall um Musiksaal gegangen sein. Ein „strafrechtlich relevantes oder sonst ahndungswürdiges Verhalten“ habe nicht festgestellt werden können. Trotzdem versetzte die Behörde den angestellten Lehrer an eine Gemeinschaftsschule in Völklingen, als Gerüchte an seinem bisherigen Arbeitsplatz aufkamen.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt beginnt für Christina B. ein offenbar jahrelanges Martyrium. Im Strafprozess vor dem Landgericht berichtete die ehemalige Schülerin, welchen Anfeindungen sie in der Folge an ihrer Schule in Saarbrücken, aber auch in der eigenen Nachbarschaft ausgesetzt gewesen sei. Die Jugendliche erlebte, was in Fachkreisen als „Victim blaming“beschrieben wird, eine Täter-Opfer-Umkehr. „Ich wurde immer als schuldige Person behandelt“, sagte sie in der vergangenen Woche als Zeugin vor einer Jugendkammer. Die Intimitäten mit dem fast 40 Jahre älteren Mann konnte die Jugendliche schwer einordnen: „Wirklich verstanden, was da passiert ist, habe ich erst Jahre später.“Dafür sah sie sich mit dem immer gleichen Vorwurf konfrontiert: „Du hast ihn verführt.“Sie sei dafür verantwortlich gemacht worden, dass ihr Musiklehrer die Schule verlassen musste.
„Ich wäre besser gegangen“, sagte Christina B. über ihr Abschlussjahr an der Gemeinschaftsschule. Sie fühlte sich von Mitschülern und Lehrkräften gemobbt. Der Schulleiter soll ihr gesagt haben, es sei „sehr unklug, hier einen Abschluss zu machen“. Gerüchte und Anfeindungen bestätigt auch das Ministerium. Man habe Christina B. „intensiv in die Schulsozialarbeit eingebunden, um sie zu schützen und zu stabilisieren“. Zugleich heißt es: „Anfeindungen von Lehrkräften konnten nicht festgestellt werden.“Auch soll der Schulleiter der Jugendlichen nicht nahegelegt haben, ihren Mittleren Schulabschluss woanders zu erwerben. Für das Landgericht Saarbrücken bestand unterdessen „kein Zweifel“an der Glaubhaftigkeit der Zeugin Christina B.