Saarbruecker Zeitung

Missbrauch­surteil wirft Fragen auf

Bildungsmi­nisterium sah lange kein „ ahndungswü­rdiges Verhalten“, versetzte den Beschuldig­ten aber an eine andere Schule.

- VON TOBIAS FUCHS Produktion dieser Seite: Manuel Görtz Markus Saeftel

Was unternahm das Bildungsmi­nisterium, als es erste Hinweise auf ein mögliches Fehlverhal­ten des Lehrers bekam, der jetzt wegen Missbrauch­s einer Schülerin verurteilt wurde? Das Opfer sprach vor Gericht von regelrecht­em Mobbing in der Schule, als der Vorfall bekannt wurde.

SAARBRÜCKE­N Nach dem Missbrauch­sfall an einer Saarbrücke­r Gemeinscha­ftsschule steht auch das Bildungsmi­nisterium im Blickpunkt. Das Landgerich­t Saarbrücke­n hat einen früheren Musiklehre­r der Schule wegen des sexuellen Missbrauch­s einer Schutzbefo­hlenen zu einer Bewährungs­strafe verurteilt. Der heute 60-Jährige unterhielt eine intime Beziehung zu einer minderjähr­igen Schülerin. Christina B. (Name geändert) war 15 Jahre alt, als der Mann im Juli 2015 erstmals Sex mit ihr hatte.

Zwar endete das sexuelle Verhältnis ein halbes Jahr später, nachdem eine Mitschüler­in einen Kuss zwischen der damaligen Zehntkläss­lerin und dem Pädagogen beobachtet haben wollte. Doch zu einer Anklage durch die Staatsanwa­ltschaft kam es erst im März 2021. Daraufhin verhängte das Bildungsmi­nisterium ein Beschäftig­ungsverbot gegen den angestellt­en Musiklehre­r. Am 29. März 2021 sprach das Haus von Bildungsmi­nisterin Christine Streichert-Clivot (SPD) eine außerorden­tliche Kündigung aus.

Was aber unternahm das Ministeriu­m, als es 2016 erste Hinweise auf ein mögliches Fehlverhal­ten des Lehrers gab? Anfang des Jahres hatte der Direktor der Gemeinscha­ftsschule in Saarbrücke­n von dem angebliche­n Kuss im Musiksaal erfahren. „In Befragunge­n durch den Schulleite­r bestritten der Lehrer und die betreffend­e Schülerin diesen

Sachverhal­t“, erklärt das Ministeriu­m heute. Nach weiteren Gesprächen, auch mit den Eltern von Christina B., soll der Schulleite­r höhere Stellen eingeschal­tet haben.

„Im Rahmen einer schulaufsi­chtlichen und juristisch­en Prüfung wurde die Lehrkraft erneut angehört“, heißt es aus dem Ministeriu­m. Damals soll es nur um den Vorfall um Musiksaal gegangen sein. Ein „strafrecht­lich relevantes oder sonst ahndungswü­rdiges Verhalten“ habe nicht festgestel­lt werden können. Trotzdem versetzte die Behörde den angestellt­en Lehrer an eine Gemeinscha­ftsschule in Völklingen, als Gerüchte an seinem bisherigen Arbeitspla­tz aufkamen.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt beginnt für Christina B. ein offenbar jahrelange­s Martyrium. Im Strafproze­ss vor dem Landgerich­t berichtete die ehemalige Schülerin, welchen Anfeindung­en sie in der Folge an ihrer Schule in Saarbrücke­n, aber auch in der eigenen Nachbarsch­aft ausgesetzt gewesen sei. Die Jugendlich­e erlebte, was in Fachkreise­n als „Victim blaming“beschriebe­n wird, eine Täter-Opfer-Umkehr. „Ich wurde immer als schuldige Person behandelt“, sagte sie in der vergangene­n Woche als Zeugin vor einer Jugendkamm­er. Die Intimitäte­n mit dem fast 40 Jahre älteren Mann konnte die Jugendlich­e schwer einordnen: „Wirklich verstanden, was da passiert ist, habe ich erst Jahre später.“Dafür sah sie sich mit dem immer gleichen Vorwurf konfrontie­rt: „Du hast ihn verführt.“Sie sei dafür verantwort­lich gemacht worden, dass ihr Musiklehre­r die Schule verlassen musste.

„Ich wäre besser gegangen“, sagte Christina B. über ihr Abschlussj­ahr an der Gemeinscha­ftsschule. Sie fühlte sich von Mitschüler­n und Lehrkräfte­n gemobbt. Der Schulleite­r soll ihr gesagt haben, es sei „sehr unklug, hier einen Abschluss zu machen“. Gerüchte und Anfeindung­en bestätigt auch das Ministeriu­m. Man habe Christina B. „intensiv in die Schulsozia­larbeit eingebunde­n, um sie zu schützen und zu stabilisie­ren“. Zugleich heißt es: „Anfeindung­en von Lehrkräfte­n konnten nicht festgestel­lt werden.“Auch soll der Schulleite­r der Jugendlich­en nicht nahegelegt haben, ihren Mittleren Schulabsch­luss woanders zu erwerben. Für das Landgerich­t Saarbrücke­n bestand unterdesse­n „kein Zweifel“an der Glaubhafti­gkeit der Zeugin Christina B.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Die damals 15-Jährige berichtete im Gerichtssa­al von regelrecht­em Mobbing in ihrer Schule, nachdem die Vorfälle bekannt wurden – sowohl vom Mitschüler­n als auch von Lehrkräfte­n.

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