Drosten rechnet mit verschärften Maßnahmen
Der Virologe hält die Impf- Quoten in Deutschland angesichts der Delta-Variante für viel zu niedrig.
Saar-Ministerpräsident Hans und andere Politiker einen neuen Lockdown ausschließen, erwartet der Berliner Virologe Christian Drosten angesichts des sinkenden Impftempos im Herbst wieder verschärfte Anti-Corona-Beschränkungen. „Damit rechne ich fest“, sagte Drosten am Donnerstag. Das bisherige Szenario des Robert-Koch-Instituts (RKI), nach dem sich die Politik richte, müsse überarbeitet werden. So sei die Übertragungsrate der Delta-Variante höher als angenommen, das RKI habe zu optimistische Impfquoten eingerechnet.
BERLIN (dpa) Die vierte Pandemie-Welle hat Fahrt aufgenommen: Deutschland startet mit einer deutlich höheren Zahl täglicher Corona-Neuinfektionen in den Herbst als im Vorjahr. Zwar gibt es eine wachsende Impfquote von derzeit rund 60 Prozent und Risikogruppen sind weitgehend geschützt – doch reicht das, um ohne neue Einschränkungen durch den Winter zu kommen?
Aus Sicht des Berliner Virologen Christian Drosten sollte das bisherige RKI-Szenario überarbeitet werden. Denn die Delta-Variante, die in Deutschland inzwischen vollständig dominiert, hat die Lage grundlegend verändert. Würde die RKI-Modellierung nicht entsprechend dieser veränderten Lage aktualisiert, stünde die Einschätzung und Planung für den Herbst und Winter wissenschaftlich auf „dünnem Eis“, sagte Drosten.
Man müsse die RKI-Analyse nun zeitnah aktualisieren, sagte Drosten. „Man sollte sich nicht täuschen und durch zu wenig Vorsicht in eine Situation hineinlaufen, die man sich nicht wünscht und die untragbar ist: Dass es weitere Lockdowns gibt und die Schulen wieder schließen müssen.“Aufgrund von Delta könne niemand mehr mit voller Gewissheit sagen, dass selbst bei Erreichen bestimmter Impfquoten eine vierte Welle vermieden werden könne, ergänzte Drosten. Sars-CoV-2 habe sich nun schon mehrmals anders verhalten als zunächst von einem Coronavirus erwartet. „Alpha und Delta waren absolute Überraschungen.“Mit so massiven Steigerungen der Übertragungsrate habe kein Virologe gerechnet. „Man kann sich da schon rausimpfen“, sagte Drosten am Donnerstag im Deutschlandfunk. Bisher blieben die deutschen Quoten aber zum Beispiel im Vergleich zu England deutlich zurück. 61 Prozent vollständig Geimpfter reichten überhaupt nicht. „Mit dieser Quote können wir nicht in den Herbst gehen“, sagte Drosten dem Sender. Für ihn gibt es noch einen wenig beachteten weiteren Faktor: Die Viruslast im Hals von Geimpften bei einer Ansteckung steigt wieder, wenn die Impfung einige Monate her ist. „Sie haben den Erreger nur kurz, aber mit hoher Viruslast im Hals“, erklärte der Virologe. Entsprechend steige mit zunehmendem Abstand zur Impfung das Risiko, dass Geimpfte das Virus an andere weitergeben. Stand jetzt sei davon auszugehen, dass es noch einige Jahre lang ein starkes Infektionsgeschehen unter Erwachsenen geben werde, prognostizierte Drosten.
Der Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Florian Hoffmann, rechnet bereits Ende dieses Jahres mit einem Impfstoff für Kinder unter zwölf Jahren. Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, prognostizierte, im Herbst würden die Infektionszahlen noch einmal steigen. Die Zahl schwerer Erkrankungen werde allerdings deutlich unter der des vergangenen Winters bleiben. Für das Frühjahr ist Gassen sehr optimistisch. Einschränkungen würden dann wohl gänzlich unnötig werden.