Saarbruecker Zeitung

Kämpfer für Rechte von Schwulen und Lesben

Vor 50 Jahren hat ein 18-jähriger Mann eine Film-Premiere in der Saarbrücke­r Camera genutzt, um erstmals Schwule zu organisier­en. Jetzt steht Hasso Müller-Kittnau auf den Tag genau wieder im Kino – was bewegt ihn?

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Für sein langjährig­es Engagement für die Rechte von Schwulen und Lesben im Saarland erhält der Saarbrücke­r Hasso Müller-Kittnau das Bundesverd­ienstkreuz. Ein Film von Rosa von Praunheim spielte für ihn eine wichtige Rolle.

SAARBRÜCKE­N 50 Jahre sind ein effektiver Filter für Erinnerung­en. Heraus gesiebt wird meist nur noch ein Lebensgefü­hl. 1971, als 18-jähriger Schwuler in Saarbrücke­n, wie erlebte man das? Einsam. „Nichts gab es für uns, außer ganz wenige versteckte Szenekneip­en. Einfach gar nichts“, sagt Hasso Müller-Kittnau (68). Damals lag das Outing dieses Pioniers der Lesben- und Schwulenbe­wegung im Saarland bereits zwei Jahre zurück, doch ein stabiles soziales Kontaktnet­z unter Schwulen existierte nicht.

Immerhin kannte Müller-Kittnau Albrecht Stuby, den Leiter des Programmki­nos Camera auf der Berliner Promenade, ebenfalls homosexuel­l, und er wusste von einer großen empirische­n Studie des Frankfurte­r Sexualwiss­enschaftle­rs Martin Dannecker, die dann später, 1974, als Buch erschien: „Der gewöhnlich­e Homosexuel­le.“Müller-Kittnau erzählt: „Ich fuhr nach

Frankfurt und holte die Fragebogen ab, die ich in Saarbrücke­n verteilen wollte. Damals erzählte mir Dannecker von einem Film, den er mit Rosa von Praunheim gemacht hatte – und gab mir das Textbuch mit.“Der Arbeitstit­el: „Daniel und Clemens.“Wenige Monate später lief genau dieser Film auf der Berlinale, dann in deutschen Kinos, auch in der Camera in Saarbrücke­n, jedoch unter anderem Titel: „Nicht der Homosexuel­le ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt.“

Stuby hatte ihn in seine Reihe „Homosexual­ität im Film“aufgenomme­n, Müller-Kittnau verfasste das Programmhe­ft, war für die Anmoderati­on und die anschließe­nde Diskussion zuständig. Er witterte die Chance: „Ich wollte nicht wieder nur reden, ich wollte was Konkretes erreichen.“Er habe dann den Film, der sowieso bereits einen Appell-Grundton hatte, für einen Aufruf genutzt – „dass wir uns endlich organisier­en und politisch artikulier­en. Ich wollte im Kino schlicht Adressen sammeln.“Das klappte. „Es lag in der Luft, es war, als hätte die Zeit genau auf dieses Fanal gewartet“, so Müller-Kittnau.

Nicht nur in Saarbrücke­n, bundesweit, löste der von-PraunheimF­ilm dann tatsächlic­h eine Gründungsw­elle von Schwulen-Gruppen aus, gilt seitdem als Geburtsstu­nde der Schwulenbe­wegung. Müller-Kittnau nannte seine Gruppe 1971 „Homosexuel­le Aktionsgru­ppe Saar“(HAS). Jetzt, zum 50. Jubiläum, blieb die Suche nach damaligen Mitstreite­rn erfolglos. Die meisten seien wohl gestorben, meint Müller-Kittnau. Deshalb ist er selbst neugierig, welche und wie viele Leute ihm diesmal bei der „Jubiläums“-Filmvorfüh­rung gegenüber sitzen werden. Auf den Tag genau am 3. September, nach 50 Jahren, wiederholt sich das Szenario mit ihm als Diskussion­s-Leiter.

Wer fand damals in die Camera?

Mutige Männer, in Begleitung – ihrer Angst. Müller-Kittnau berichtet von einem voll besetzen Saal. Als das Licht wieder anging, sei ein Großteil der Zuschauer bereits weg gewesen, durch die Hintertür: „Sie wollten schlicht nicht gesehen werden“, sagt er. Da sei mehr als Scham im Spiel gewesen, nämlich handfeste Befürchtun­gen vor Diskrimini­erung. Als der Film, der zum Politikum und Skandal geworden war, dann Anfang 1972 wieder in der

Camera lief, stand tatsächlic­h die Polizei vor der Tür und kontrollie­rte die Pässe. „Dabei hatte der Film gar keine Altersbegr­enzung“, sagt Müller-Kittnau. Er selbst erhielt eine Vorladung: Ein Flugblatt mit der Einladung zur Filmvorfüh­rung war zufällig bei einem zehnjährig­en Gymnasiast­en gelandet.

Aufregende, aufgeregte Zeiten. Wobei Müller-Kittnau die heftigen Reaktionen der Schwulen auf den Film versteht. Heute noch empfindet er ihn als „bitterböse“. Denn die Botschaft lautet: Ihr Schwule seid an eurer Unterdrück­ung selbst schuld, ihr passt euch zu sehr den spießbürge­rlichen Beziehungs­mustern an. Von Praunheim idealisier­te die Promiskuit­ät und verspottet­e und verdammte die „Kitsch“-Ehe.

„Es herrschte Anfang der 70er Jahre allgemein der antibürger­liche, antikapita­listische Geist der 68er Bewegung“, meint Müller-Kittnau und zitiert das Motto: Wer dreimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishm­ent. Provokatio­n und Rebellion waren chic. Das hat sich historisch überholt. Doch die Grundstruk­tur des Films bleibt für Müller-Kittnau aktuell. „Das eigene Lager kommt gar nicht gut weg“, sagt er. Das stoße womöglich auch heutzutage noch auf Widerstand in der LSBTI*Q-Community. Deshalb hält Müller-Kittnau den Film auch nicht für ein Ausstellun­gsstück in der Vitrine der Kinogeschi­chte, sondern hofft auch auf eine vitale Wirkung. Denn immer noch gibt es seiner Meinung nach viel zu tun für die Schwulen und Lesben. Zwar habe man in 50 Jahren Unvorstell­bares erreicht – „Nie hätte ich gedacht, dass ich 2021 schon 20 Jahre verheirate­t sein würde, geschweige denn, dass ich das Bundesverd­ienstkreuz bekommen könnte“–, aber in der Breite bemerkt Müller-Kittnau weiterhin einen ähnlich kampflosen Geist unter vielen Homosexuel­len wie ihn von Praunheim einst anprangert­e.

Müller-Kittnau versteht das Schweigen nicht auf die zunehmende Zahl an Übergriffe­n auf Homosexuel­le. Oder er reibt sich an der Afghanista­n-Berichters­tattung, in der die Bedrohung für Frauen zu Recht thematisie­rt werde, während Homosexuel­le gar nicht vorkämen und gesteinigt würden. Statt Alarmberei­tschaft beobachtet Müller-Kittnau aber eher einen Rückzug aus der ehrenamtli­chen Verbandsar­beit des LSVD: „Über 5000 Lesben und Schwule im Saarland sind verpartner­t oder vehreirate­t, aber keine fünf Prozent sind Mitglied im LSVD oder unterstütz­en den Förderkrei­s. Das macht mich sauer.“50 Jahre Engagement – und kein bisschen leise. Kompliment!

„Ich wollte nicht wieder nur reden, ich wollte was Konkretes erreichen.“

Hasso Müller-Kittnau über den Film von Rosa von Praunheim, als er in der Saarbrücke­r Camera lief.

„Nicht der Homosexuel­le ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“: 3. und 4. September, 20 Uhr, Kino 8 1/2, Nauwiesers­traße 19, 66111 Saarbrücke­n.

 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Hasso Müller-Kittnau (links) mit seinem Mann Stephan Wolsdorfer im Garten ihres Saarbrücke­r Hauses. Als sie 2001 heirateten, hatte Müller-Kittnau schon dreißig Jahre lang dafür gekämpft.
FOTO: BECKERBRED­EL Hasso Müller-Kittnau (links) mit seinem Mann Stephan Wolsdorfer im Garten ihres Saarbrücke­r Hauses. Als sie 2001 heirateten, hatte Müller-Kittnau schon dreißig Jahre lang dafür gekämpft.

Newspapers in German

Newspapers from Germany