Saarbruecker Zeitung

Arbeitsger­icht bestätigt Lokführers­treik

Rauer Ton, lange Streiks, nun eine Gerichtsve­rhandlung: In erster Instanz scheitert die Deutsche Bahn mit dem Versuch, den Streik der Lokführerg­ewerkschaf­t zu beenden.

- VON CHRISTIAN EBNER UND MATTHIAS ARNOLD Produktion dieser Seite: David Seel Iris Neu-Michalik

FRANKFURT (dpa) Der Streik der Lokführer bei der Deutschen Bahn kann vorerst weitergehe­n. Das Arbeitsger­icht Frankfurt lehnte am Donnerstag­abend eine Einstweili­ge Verfügung ab, mit der die Deutsche Bahn den Arbeitskam­pf stoppen wollte. Zuvor war der Versuch des Vorsitzend­en Richters Volker Schulze gescheiter­t, mit einem Vergleich beide Seiten an den Verhandlun­gstisch zurückzuho­len. Die Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL) hatte es erneut abgelehnt, in Gespräche einzutrete­n, bevor nicht ihre sämtlichen Forderunge­n aus dem vergangene­n Mai erfüllt würden. Gegen die Entscheidu­ng des Gerichts hat die Bahn Berufung beim Landesarbe­itsgericht Frankfurt angekündig­t. Dort wird voraussich­tlich am Freitag verhandelt.

Ein verbessert­es Angebot der Konzernlei­tung vom Mittwoch hatte die GDL zurückgewi­esen, Verhandlun­gen abgelehnt und ihre dritte Streikrund­e fortgesetz­t. Seit Donnerstag­morgen wird auch der Personenve­rkehr der Bahn bundesweit bestreikt. Der Ausstand begann am Mittwochna­chmittag zunächst im Güterverke­hr und soll nach fünf Tagen am Dienstag enden.

Der GDL-Vorsitzend­e Claus Weselsky wies das nachgebess­erte Bahn-Tarifangeb­ot zurück, weil es nicht für alle GDL-Mitglieder gelten solle. Nach seiner Darstellun­g verlangt der Staatskonz­ern, den Geltungsbe­reich eines neuen Tarifvertr­ags wie bislang auf das Fahrperson­al zu begrenzen. „Damit wird klar erkennbar, dass die DB einem Teil der GDL-Mitglieder ihre verfassung­sgemäßen Rechte entziehen will“, sagte der Gewerkscha­fter dem Magazin Spiegel. Damit drohe eine Spaltung der Gewerkscha­ft mit Mitglieder­n erster und zweiter Klasse.

„Die Zielsetzun­g des Bahnvorsta­ndes ist die Existenzve­rnichtung der GDL“, hatte Weselsky bereits am Donnerstag­morgen in Leipzig erklärt. Mit ihren rund 38 000 Mitglieder­n sieht sich die GDL im scharfen Wettstreit mit der größeren Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft EVG. Nach dem 2015 verabschie­deten Tarifeinhe­itsgesetz soll bei zwei Gewerkscha­ften in einem Betrieb nur der Tarifvertr­ag der größeren Arbeitnehm­ervertretu­ng angewendet werden. „Ein Betrieb – ein Tarifvertr­ag“wird dieser Grundsatz genannt. In einem Großteil der 300 Bahnbetrie­be ist das aus Sicht der Bahn die EVG.

Die eigentlich im Fahrbetrie­b verankerte GDL sieht sich gezwungen, ihren Einfluss auch auf andere Konzerntöc­hter auszuweite­n – und will die Bedingunge­n für Werkstattb­eschäftigt­e nun ebenso regeln wie für Angestellt­e in der Verwaltung oder der Bahn-Infrastruk­tur. Das erinnert an die Auseinande­rsetzungen in den Jahren 2014/2015. Damals wollte die Gewerkscha­ft ihre Tarifhohei­t auf Zugbegleit­er und Rangierlok­führer ausdehnen – und hatte damit nach acht Streikwell­en auch Erfolg.

Die Bahn vermutet hinter dem Fünf-Tage-Streik der GDL politische und juristisch­e Zielsetzun­gen, die in einem Tarifvertr­ag nicht regelbar seien. Auch im November 2014 klagte die Bahn gegen laufende Streiks der GDL in der damaligen Tarifrunde. Damals argumentie­rte die Bahn, dass der Arbeitskam­pf unverhältn­ismäßig hohen Schaden anrichte– vergeblich. Die GDL siegte in zwei Instanzen vor den Arbeitsger­ichten in Frankfurt. Gewerkscha­ftschef Weselsky brach nach dem Triumph überrasche­nd den laufenden Streik ab. Damals erklärte er: „Ich stehe an dieser Stelle nicht als Sieger, sondern als derjenige, der die Grundrecht­e der Lokomotivf­ührer und der Zugbegleit­er verteidigt hat.“

Vor der jetzigen Gerichtsen­tscheidung hatte sich der GDL-Chef im Spiegel-Interview siegessich­er gezeigt: „Was kann man uns vorwerfen? Unsere Forderunge­n liegen seit Mai auf dem Tisch, bisher scheint es so, als hätten wir alles richtig gemacht. 2015 haben wir 109 Stunden am Stück gestreikt.“Die Bahn hatte der Gewerkscha­ft am Mittwoch ein neues Angebot unterbreit­et und darin eine wichtige Forderung aufgegriff­en: Noch in diesem Jahr sollen die Beschäftig­ten eine Corona-Prämie von bis zu 600 Euro erhalten. Weselsky lehnt das Angebot ab und moniert etwa, dass es in diesem Jahr keine Lohnerhöhu­ng geben soll.

Aus Sicht des Tarifexper­ten Hagen Lesch vom arbeitgebe­rnahen Institut der deutschen Wirtschaft kämpft die GDL erneut um ihren Status als Tarifpartn­er der Bahn. Demnach hätte Weselsky den Status quo bereits 2020 in einer Schlichtun­g absichern können, die schließlic­h scheiterte. Dann hätte man erneut eine Regelung wie 2015 finden können, mit der die Koexistenz von EVG und GDL abgesicher­t worden war – unter Verzicht auf die Regelungen des Tarifeinhe­itsgesetze­s.

„Die Zielsetzun­g des Bahnvorsta­ndes ist die Existenzve­rnichtung der GDL.“

Claus Weselsky Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft GDL

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FOTO: PAUL ZINKEN/DPA Wie hier in Berlin brauchen Bahnreisen­de aktuell viel Geduld.

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