Erste Begegnung mit Praunheims Klassiker des schwulen Kinos
Den Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“zeigt das Kino Achteinhalb zum 50. Jubiläum. Wie wirkt er heute?
SAARBRÜCKENÜberraschend ist es, diesen 50 Jahre alten Film mit einem Ruf wie Donnerhall erstmals zu sehen – was an den eigenen Erwartungen liegen mag: Was könnte man von dem Film erwarten, inszeniert von Rosa von Praunheim, dem nahezu legendären Filmemacher/Aktivisten (und Ehrengast beim Filmfestival Max Ophüls Preis 2020) – Kritik an der Diskriminierung der Homosexuellen? Ein Aufruf zu mehr Akzeptanz? Sicher, das gibt es auch – aber noch einiges mehr, denn der Film ist polemisch, provozierend, er tritt in Richtung Homo und Hetero aus, ist schwer zu fassen – und so entgeht er dem drögen Schicksal des langweiligen Konsens-Klassikers, bei dem sich alle einig sind.
„Nicht der Homosexuelle…“erzählt vom Provinzler Daniel, der im großen Berlin landet und dort Clemens kennenlernt. Man kommt sich näher, zieht zusammen – doch es geht nicht lange gut, Daniel lässt sich von einem reichen Gönner und Hochkultur-Anhänger aushalten, bis der sich gelangweilt abwendet. Für Daniel beginnt eine Odyssee zwischen Herrentoiletten und Herrenclubs, er begegnet Transvestiten und Männer in schwarzem
Leder, aber Glück findet er erst in einer Schwulen-Kommune: Die erinnert optisch an das letzte Abendmahl, verbal an eine Polit-Diskussionsgruppe der späten 1960er: „Jetzt aber ist die Zeit da, wo wir uns selbst helfen müssen“, wird deklamiert. „Das Wichtigste für alle Schwulen ist, dass wir uns zu unserem Schwulsein bekennen“, heißt es, „wir wollen nicht nur toleriert, wir wollen akzeptiert werden. (…) Wir wollen keine anonymen Vereine! Wir wollen eine gemeinsame Aktion, damit wir uns kennenlernen und uns gemeinsam im Kampf für unsere Probleme näherkommen und uns lieben lernen. Wir müssen uns organisieren.“
Nur in diesen Passagen wirkt der Film, der mit ein, zwei nackten Männerpopos und einem knutschenden Pärchen alles andere als explizit ist, heute etwas dozierend und auch erwartbar. Aber die Stunde Laufzeit vor diesem Finale ist eine packende und merkwürdige Seh-Erfahrung – man kann nachvollziehen, warum Rosa von Praunheim von Homo-Seite einige Kritik entgegenschlug: Zu Bildern aus Wohnungskulissen mit schreiend bunten Tapeten und Szenen aus realen Herrenclubs, öffentlichen Toiletten und einer bemerkenswert trostlosen Transvestiten-Kneipe hört man
Sätze, bei dem der durchschnittliche Schwulenfeind beifällig nicken würde. Ein Kommentator, bei dem ein wenig „Wochenschau“mitschwingt, deklamiert Passagen wie: „Da die Schwulen vom Spießer als krank und minderwertig verachtet werden, versuchen sie noch spießiger zu werden, um ihr Schuldgefühl abzutragen mit einem Übermaß an bürgerlichen Tugenden. Sie sind politisch passiv und verhalten sich konservativ als Dank dafür, dass sie nicht totgeschlagen werden.“Oder: „Homosexuelle haben miteinander nichts gemeinsam als den starken Wunsch, mit einem Mann zu schlafen.“Oder: „Der ideale Partner muss sauber, ehrlich und natürlich sein, ein unverbrauchter und frischer
Junge, so lieb und verspielt wie ein Schäferhund.“
Praunheim dreht da übliche Vorurteile ins Parodistische und Irrwitzige, was den Film ziemlich unterhaltsam macht – ebenso wie die Entscheidung, ohne Tonaufnahmen zu drehen und später Kommentare und nicht lippensynchrone Dialoge drüberzulegen, mit wohl gewollt amateurhaftem Effekt. Im Zentrum stehen dabei die homosexuellen Subkulturen dieser Zeit: die, wie es im Film heißt, „Pissbudenschwule“etwa in den Herrentoiletten und die „Ledertypen“, die der Film minutenlang, ohne Ton, mit der Kamera beäugt: außen hart, innen weich, erwarten sie laut Film Strafe, „weil sie das Gefühl haben, vor sich und der Gesellschaft versagt zu haben. Sie sind höfliche und nette Menschen, die unter ihrer Schwäche leiden.“
Der Film changiert da zwischen Mitgefühl und massiver Kritik: Rosa von Praunheim wünscht allen Schwulen ein anderes Leben, das sie nicht ins Verborgene zwingt. Er wirft ihnen eine Flucht in die Nische, in die Subkultur vor, während sie sich doch eigentlich zusammentun müssten, um sich durchzusetzen. Die letzte Texttafel des Films fordert: „Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!“.