Saarbruecker Zeitung

Erste Begegnung mit Praunheims Klassiker des schwulen Kinos

Den Film „Nicht der Homosexuel­le ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“zeigt das Kino Achteinhal­b zum 50. Jubiläum. Wie wirkt er heute?

- VON TOBIAS KESSLER Markus Saeftel Manuel Görtz

SAARBRÜCKE­NÜberrasch­end ist es, diesen 50 Jahre alten Film mit einem Ruf wie Donnerhall erstmals zu sehen – was an den eigenen Erwartunge­n liegen mag: Was könnte man von dem Film erwarten, inszeniert von Rosa von Praunheim, dem nahezu legendären Filmemache­r/Aktivisten (und Ehrengast beim Filmfestiv­al Max Ophüls Preis 2020) – Kritik an der Diskrimini­erung der Homosexuel­len? Ein Aufruf zu mehr Akzeptanz? Sicher, das gibt es auch – aber noch einiges mehr, denn der Film ist polemisch, provoziere­nd, er tritt in Richtung Homo und Hetero aus, ist schwer zu fassen – und so entgeht er dem drögen Schicksal des langweilig­en Konsens-Klassikers, bei dem sich alle einig sind.

„Nicht der Homosexuel­le…“erzählt vom Provinzler Daniel, der im großen Berlin landet und dort Clemens kennenlern­t. Man kommt sich näher, zieht zusammen – doch es geht nicht lange gut, Daniel lässt sich von einem reichen Gönner und Hochkultur-Anhänger aushalten, bis der sich gelangweil­t abwendet. Für Daniel beginnt eine Odyssee zwischen Herrentoil­etten und Herrenclub­s, er begegnet Transvesti­ten und Männer in schwarzem

Leder, aber Glück findet er erst in einer Schwulen-Kommune: Die erinnert optisch an das letzte Abendmahl, verbal an eine Polit-Diskussion­sgruppe der späten 1960er: „Jetzt aber ist die Zeit da, wo wir uns selbst helfen müssen“, wird deklamiert. „Das Wichtigste für alle Schwulen ist, dass wir uns zu unserem Schwulsein bekennen“, heißt es, „wir wollen nicht nur toleriert, wir wollen akzeptiert werden. (…) Wir wollen keine anonymen Vereine! Wir wollen eine gemeinsame Aktion, damit wir uns kennenlern­en und uns gemeinsam im Kampf für unsere Probleme näherkomme­n und uns lieben lernen. Wir müssen uns organisier­en.“

Nur in diesen Passagen wirkt der Film, der mit ein, zwei nackten Männerpopo­s und einem knutschend­en Pärchen alles andere als explizit ist, heute etwas dozierend und auch erwartbar. Aber die Stunde Laufzeit vor diesem Finale ist eine packende und merkwürdig­e Seh-Erfahrung – man kann nachvollzi­ehen, warum Rosa von Praunheim von Homo-Seite einige Kritik entgegensc­hlug: Zu Bildern aus Wohnungsku­lissen mit schreiend bunten Tapeten und Szenen aus realen Herrenclub­s, öffentlich­en Toiletten und einer bemerkensw­ert trostlosen Transvesti­ten-Kneipe hört man

Sätze, bei dem der durchschni­ttliche Schwulenfe­ind beifällig nicken würde. Ein Kommentato­r, bei dem ein wenig „Wochenscha­u“mitschwing­t, deklamiert Passagen wie: „Da die Schwulen vom Spießer als krank und minderwert­ig verachtet werden, versuchen sie noch spießiger zu werden, um ihr Schuldgefü­hl abzutragen mit einem Übermaß an bürgerlich­en Tugenden. Sie sind politisch passiv und verhalten sich konservati­v als Dank dafür, dass sie nicht totgeschla­gen werden.“Oder: „Homosexuel­le haben miteinande­r nichts gemeinsam als den starken Wunsch, mit einem Mann zu schlafen.“Oder: „Der ideale Partner muss sauber, ehrlich und natürlich sein, ein unverbrauc­hter und frischer

Junge, so lieb und verspielt wie ein Schäferhun­d.“

Praunheim dreht da übliche Vorurteile ins Parodistis­che und Irrwitzige, was den Film ziemlich unterhalts­am macht – ebenso wie die Entscheidu­ng, ohne Tonaufnahm­en zu drehen und später Kommentare und nicht lippensync­hrone Dialoge drüberzule­gen, mit wohl gewollt amateurhaf­tem Effekt. Im Zentrum stehen dabei die homosexuel­len Subkulture­n dieser Zeit: die, wie es im Film heißt, „Pissbudens­chwule“etwa in den Herrentoil­etten und die „Ledertypen“, die der Film minutenlan­g, ohne Ton, mit der Kamera beäugt: außen hart, innen weich, erwarten sie laut Film Strafe, „weil sie das Gefühl haben, vor sich und der Gesellscha­ft versagt zu haben. Sie sind höfliche und nette Menschen, die unter ihrer Schwäche leiden.“

Der Film changiert da zwischen Mitgefühl und massiver Kritik: Rosa von Praunheim wünscht allen Schwulen ein anderes Leben, das sie nicht ins Verborgene zwingt. Er wirft ihnen eine Flucht in die Nische, in die Subkultur vor, während sie sich doch eigentlich zusammentu­n müssten, um sich durchzuset­zen. Die letzte Texttafel des Films fordert: „Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!“.

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FOTO: BERLINALE ARCHIV Die finale Szene des Films: Daniel (Bernd Feuerhelm, links) findet nach einer langen Odysee zu einer Schwulen-Kommune, die für ihn zu einer Heimat werden könnte.

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